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Eine Nervenzelle unter dem Mikroskop

Nervenkrankheit bei Kindern entdeckt

Forscher des Instituts für Molekulare Biotechnologie der österreichischen Akademie der Wissenschaften haben gemeinsam mit Forschern aus Texas eine bis dato unbekannte Krankheit bei Kindern entdeckt: Eine Nervenkrankheit, die Muskeln und Gehirnzellen zerstört.

Molekularbiologie 25.04.2014

Mutation im CLP 1 oder "Clip one" Gen

Vor einem Jahr entdeckten Wissenschaftler des Instituts für Molekulare Biotechnologie in Wien bei Versuchen mit Mäusen einen Mechanismus, der Nervenzellen absterben lässt. Die Ursache war die Mutation eines Gens mit der Bezeichnung CLP 1. Zur selben Zeit entdeckten Forscher des Baylor College of Medicine in Texas denselben Gendefekt bei Kindern, die an neurologischen Störungen litten. Ursache war ebenfalls eine Mutation im Gen CLP 1.

"Die Kollegen in Texas haben ein völlig neues Krankheitsbild beschrieben. In mehreren Kindern. Überraschenderweise war die Mutation, die diesem Krankheitsbild zugrunde liegt, in einem Gen, an dem wir schon lange arbeiten: Dem Clip one Gen", erklärt der Direktor des IMBA Josef Penninger. Javier Matinez habe schon 2007 eine Arbeit in "Nature" publiziert als er Clip one entdeckt hat. Er hat sich fünf Jahre in einem Kaltraum des IMBA eingesperrt und hat ein Protein isoliert und kam auf Clip one. So ein Enzym habe man vorher gar nicht gekannt. "Es war eine völlig neue Dimension dafür, was Proteine alles machen können", so Penninger.

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Muskelschwäche und kleines Gehirn

Die Forscher des IMBA in Wien und die Forscher aus Texas taten sich zusammen und beschrieben das neue Krankheitsbild: eine sehr schwere Erkrankung des Nervensystems. Die Kinder werden normal geboren. Anstatt zu wachsen, sterben ihre Nervenzellen aber ab.

Die betroffenen Kinder bekommen eine Muskelschwäche, können sich kaum bewegen und nicht sprechen. Außerdem haben sie eine voranschreitende Verkleinerung des Gehirns. Man nennt das Mikrozephalie. In Wien erkannten die Forscher diese Krankheit durch Experimente mit Mäusen.

"Wir haben erkannt, dass im Clip one Gen mutierte Mäuse ein Erkrankungsbild hatten, das ausgeschaut hat wie die amyotropher Lateralsklerose, also die Krankheit, die der Physiker Stephan Hawking hat. Die Mäuse verlieren progressiv Nervenzellen, die den Muskel betreffen. Sie kriegen eine Muskelschwäche und sterben daran", erklärt Penninger.

Nur wenige Kinder betroffen

Von der bislang unbekannten Nervenkrankheit sind nur wenige Kinder betroffen. Die Forscher in Texas fanden elf Kinder in fünf Familien heraus, die an diesen neurologischen Störungen litten. Ärzte hatten diese Störungen nicht zuordnen können. Auch in San Diego machten Forscher betroffene Kinder ausfindig. Ihre Untersuchungen sind ebenfalls in der Wissenschaftszeitschrift "Cell" veröffentlicht. Da man noch wenige Kinder mit diesem Krankheitsbild kennt, gehört sie zu den seltenen Krankheiten.

Beweis für Theorie der "Clan-Genetik"

Die Vorfahren der betroffenen Kinder in Texas stammten alle aus der Türkei. Zwischen den fünf Familien gab es auf den ersten Blick keinen Zusammenhang. Es stellte sich aber heraus, dass die Vorfahren dieser Familien vor vielen Generationen verwandt waren.

"James Lupski hat vor ein paar Jahren die Idee der Clan-Genetik geboren. Also dass es für größere Familien Clans gibt, die verwandt sind, aber nicht mehr von den gemeinsamen Urahnen wissen. Es stellte sich heraus, dass alle betroffenen Kinder wahrscheinlich über Generationen hinweg verwandt sind. Sie wussten nur nichts davon", so Penninger. Erst die moderne Genetik habe den Beweis gebracht, dass sie wirklich verwandt sind. Aus den Gegebenheiten der Genetik wisse man, dass seltene Krankheiten oft vorkommen, wenn die Eltern verwandt sind. Auch wenn sie in größeren Clans verwandt sind.

Molekulare Schere ist defekt

Unter der Leitung des Biochemikers Javier Martinez erforschte der Postdoktorand Stefan Weitzer am IMBA die Hintergründe der Krankheit. "Clip one" ist ein Teil einer molekularen Schere, die für das tRNA splicing notwendig ist. Das ist der Vorgang, wo kleine RNA Stückchen aus einer Transfer RNA herausgeschnitten werden, die nicht benötigt werden. Das Herausschneiden ist wichtig, damit die Übersetzung von genetischem Code in Proteine überhaupt funktioniert.

Stefan Weitzer und seine Forschergruppe fanden heraus, dass CLP 1 nicht mehr Teil dieser molekularen Schere ist. Daher funktioniert das Abschneiden dieser RNA-Stücke nicht mehr so wie es sollte. Auch die Übertragung der Gen-Information in die Proteine kann daher auch nicht mehr so gut funktionieren

"Unsere Aufgabe war es, die Zellen von kranken Kindern zu analysieren. Wir haben erstmals biochemisch zeigen können, dass dieses RNA-splicing defekt ist. Wir vermuten, dass deswegen diese Übersetzung des genetischen Codes in Proteinen bei den kranken Kindern nicht mehr so gut funktioniert wie bei den gesunden Eltern", erklärt Stefan Weitzer, Biochemiker am IMBA. Es gebe noch einen weiteren Enzymkomplex, der notwendig ist, um diese RNA-Stücke wieder zusammen zu kleben. Um damit eine funktionelle Reife der tRNA hergestellt werden kann. Weitzer untersucht, wie dieser Legationsprozess funktioniert.

Am IMBA wir intensiv weiter geforscht, um den Mechanismus vollständig zu entschlüsseln. Die Forscher wollen herausfinden, wie dieser Gendefekt dazu führt, dass die Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark absterben. Danach können sie eventuell ein Medikament entwickeln, das diesen Mechanismus blockiert.

Edith Bachkönig, Ö1 Wissenschaft

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