Im Interview mit science.ORF.at sprach der Berliner Politikwissenschaftler, der auch Berater der chinesischen Regierung in Sachen Umweltpolitik war, über den Einfluss der Kohlelobby, den Boom der Windenergie und den reichsten Mann Chinas.
science.ORF.at: China scheint im Westen das Sinnbild für Wachstum um jeden Preis zu sein, auch um den Preis umweltschädlicher Emissionen.

Freie Universität Berlin
Martin Jänicke ist Gründungsdirektor des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. 2004 sowie 2011 bis 2012 war der Politikwissenschaftler eines von sechs Mitgliedern der international besetzten Umweltkommission der chinesischen Regierung. Zuletzt war er als Review Editor des 5. Weltklimaberichtes des Weltklimarates IPCC tätig. Im Rahmen der Konferenz "Nachhaltiger Klimaschutz" referierte Martin Jänicke am 26. Mai 2014 in Wien.
Literatur:
"Wachstum und Umwelt in China - Widersprüche mit System" ist im "Jahrbuch Ökologie 2014" erschienen (Abstract).
Ö1 Sendungshinweis:
Über Chinas Umwelt- und Klimapolitik berichtet auch "Wissen Aktuell" am 27. Mai 2014 um 13.55 Uhr.
Martin Jänicke: Das stimmt zwar in der Realität. Aber bei dieser Diskussion wird immer übersehen, dass China sich seit langem ein geringeres Wirtschaftswachstum und vor allem Wachstum aus sauberen Industrien vornimmt. In den Fünf-Jahres-Plänen sind immer niedrigere Raten angesetzt, derzeit beispielsweise sieben Prozent, und das ist auch wieder übertroffen worden.
Das heißt, die wirtschaftliche Dynamik ist der Regierung auch in Hinblick auf die Umweltverschmutzung entglitten?
Ja, genau. In den 1970er Jahren haben sich die Menschen in den großen Städten Chinas mit Oberleitungsbussen und Fahrrädern fortbewegt. Das war eine extrem umweltfreundliche Form der Mobilität. Durch das schwerindustrielle Wachstum, die Privatisierung des Verkehrs und die Ausrichtung der Wirtschaft auf materielle Interessen sind viele Dynamiken ausgelöst worden, die auch für die Regierung überhaupt nicht kontrollierbar waren.
Passt diese Entwicklung mit Klimaschutz zusammen?
In diesem Zusammenhang interessant ist der Bruch, der 2013 eingetreten ist. Bis dahin hat es einen enormen Widerspruch gegeben zwischen den durchaus klima- und umweltfreundlichen Vorgaben seitens der Regierung und der Umsetzung auf der lokalen Ebene. Dort waren die Funktionäre in erster Linie daran interessiert, dass ihre Städte wachsen, dass investiert wird. Da haben lokale Funktionäre - auch über Korruption - ihr Geld verdient. Seit 2013 hat China eine neue Führung und ab diesem Zeitpunkt gab es dramatische Einbrüche im positiven Sinn.
Zum Beispiel?
China fördert ja nicht nur die Hälfte der Kohle in der Welt, es importierte bis 2012 auch noch 300 Millionen Tonnen im Jahr. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Land so viel Kohle verbraucht. Ich war damals in China und habe miterlebt, wie beunruhigt die die politische Führung von dieser Importabhängigkeit war. Auch das wollte man so nicht. Vor kurzem gab es nun plötzlich Fotos von Kohlehaufen in den Importhäfen, die nicht mehr abgeholt werden. Warum? Weil die Provinzen in der Zwischenzeit ihre Politik geändert haben. Zwölf Provinzen haben erklärt, dass sie 1,3 Milliarden Tonnen CO2 bis 2020 vermeiden wollen. Das ist sehr viel und hat dazu geführt, dass die Kohle liegen blieb.
Auch im Bereich der Alternativenergie ist die Entwicklung explodiert, allein bei der Windenergie sind die Ziele fünfmal von 20.000 Megawatt auf 200.000 Megawatt hinaufgesetzt worden. China ist ein Land voller Widersprüche. Es gibt dieses enorme Wachstum, teilweise auch immer noch bei der Schwerindustrie, gleichzeitig wächst auch die Umweltindustrie so schnell wie kaum ein anderer Bereich. Der reichste Mann Chinas war lange Zeit der Gründer eines Solarenergie-Unternehmens.
Was bedeutet das für internationale Klimaabkommen?
China hat - wie Indien und andere Entwicklungsländer - keine Lust, sich Verträgen zu beugen, die in seiner Wahrnehmung von den Verursacherländern des Klimawandels diktiert werden. Was stattdessen funktioniert, ist die freiwillige Übernahme von Maßnahmen, die in anderen Ländern gut funktioniert haben. Dass Klimaschutz in Europa eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte geworden ist, hat man auch in China gelernt.
Wird der Klimawandel von der politischen Elite in China, aber auch der Bevölkerung als Problem wahrgenommen?
Ja, sehr. Es wird über den Anstieg der Meere berichtet, ebenso wie über Umweltverschmutzung ganz generell. Die Luftverschmutzung ist eines der Hauptprobleme in China. Die Kohlekraftwerke, die fast alle in den Städten sind, sind hier das zentrale Thema, weil sie nicht nur Staub und Schwefeldioxid, sondern auch Quecksilber und Arsen ausstoßen. Klimaschutz bedeutet deshalb auch Umwelt- und Gesundheitsschutz. Gleichzeitig ist Klimaschutz in China auch gleichbedeutend mit Versorgungssicherheit. Das Problem der hohen Importabhängigkeit muss - auch in den Augen der Politik - gelöst werden. Gleiches gilt für die Wasserprobleme: China hat in den Städten kein Wasser und kann es sich nicht leisten, dass Kohlekraftwerke in großem Maß Wasser verdampfen. Allein von den Zwangslagen her spricht vieles dafür, dass mehr für den Klimaschutz gemacht wird. Ob es ausreicht, ist natürlich die Frage.
Wer bzw. was hemmt denn den Umstieg auf alternative Energien?
Beispielsweise die Kohlelobby. Der Chef der chinesischen Kohleindustrie ist gleichzeitig auch im Rang eines Minister - das illustriert schon, wie tief der Strukturwandel auch in der Politik noch greifen muss.
In China werden Politik und Wirtschaft noch immer zumindest der Form nach zentralistisch gesteuert. Können Umweltmaßnahmen einfacher durchgesetzt werden als in unseren Breiten?
Das stellt man sich bei uns immer so vor, aber dem ist eigentlich nicht so. Dem Staatsapparat wird zwar in China auch historisch große Bedeutung beigemessen, dennoch konnten die lokalen Autoritäten lange Zeit mehr oder weniger unbehelligt agieren. Inzwischen hat die Führung einige Instrumente auch in der Umweltpolitik in der Hand: Sie kann Städten beispielsweise Investitionen verbieten, wenn Umweltstandards nicht eingehalten werden. Die Parteiführung kann verhindern, dass Funktionäre mit Umweltsünden aufsteigen. Das Strafrecht ist verschärft worden mit mittlerweile harten Strafen.
Ein Blick in die Zukunft: Wie lange wird es dauern, bis sich die Energieerzeugung grundlegend umgestellt hat?
Ich glaube, dass die CO2-Emissionen Chinas entgegen bisherigen Ankündigungen schon vor 2020 ihren Höhepunkt erreichen und zu sinken beginnen werden. Ich bin optimistisch, weil erkannt wurde, dass Klimapolitik auch wirtschaftliche Vorteile bringen kann. China sieht in seinen Photovoltaikanlagen großes Exportpotenzial - insbesondere in Entwicklungsländer.
Wie viele Jahre werden wir noch Bilder von chinesischen Städten im Smognebel sehen?
Das große Problem bei den Städten ist ihr Wachstum, das auch politisch noch immer gewollt ist. Statt das Land zu entwickeln, pumpt man immer mehr Geld in die Städte. Gleichzeitig gibt es mittlerweile unter Führung der Regierung ein Netzwerk der 300 größten chinesischen Städte, das sich nachhaltige Entwicklung auf die Fahnen geschrieben hat. Kurz gesagt: Im Plan bis 2020 steht, dass die Emissionen zurückgehen müssen - und das halte ich auch für erreichbar.
Interview: Elke Ziegler, science.ORF.at