Der Workshop der Gruppe "Guerilla Gardening Wien" trägt den Titel "Seedballs basteln, verstehen, und verwenden". Jene Leser und Leserinnen, deren Herz bei diesen Worten höher schlägt, gehören höchstwahrscheinlich zur wachsenden Gruppe der Urban-Gardening-Fans.
Ob im öffentlichen Raum, auf der Dachterrasse oder im Gemeinschaftsgarten - Garteln auch in Städten ist wieder in. Immer mehr Menschen suchen alternative Beschaffungswege zum Massenkonsum. Geht es dabei darum, dass die Produkte billiger sind und besser schmecken oder vielleicht doch um mehr?
Biographisches:
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und war bis Ende 2013 sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages. Sein Forschungsschwerpunkt ist internationale Ressourcen- und Umweltpolitik.
Andreas Exner ist Ökologe und Publizist. Er ist seit 2007 Experte für Naturraummanagement im Umweltbüro Klagenfurt.
Links:
- WWTF
- Gemeinsam garteln, Stadt Wien
- Urban Farming, Stadt Wien
- Guerilla Gardening Wien
- LoBauerInnen
- Nachbarschaftsgarten Macondo
- "So ungesund ist das Stadtgemüse", "Stern"-Artikel
Für den Politikwissenschaftler Ulrich Brand und den Ökologen Andreas Exner ist das einerseits eine indirekte Reaktion auf die Angst vor wirtschaftlicher Instabilität und ökologischen Krisen. "Es ist aber auch der Anspruch der Menschen, Stadt zu verändern. Stadt ist heute nicht mehr nur der Ort, wo materielle Güter einfließen, die am Land produziert werden", meint Brand im Interview. Die Nutzung von Grünflächen, und damit auch meist von öffentlichem Raum innerhalb einer Stadt, bezeichnet der Politologe als "sozialen Bewegungsmelder".
In einem dreijährigen, vom Wiener Wissenschaftsfonds (WWTF) mit knapp 330.000 Euro geförderten Projekt untersucht er gemeinsam mit vier anderen Forscherinnen und Forschern, wie gemeinschaftlich angelegte landwirtschaftlichen Flächen den öffentlichen Raum neu definieren können.
Kleine und große Gemeinschaftsgärten
Garteln hat in Wien seit jeher Tradition. Das geht auf den vor mehr als 100 Jahren gegründeten Wiener Siedlerbund zurück. Heute hat künstliche Landschaft Brachland im Stadtgebiet allerdings so gut wie vollkommen verdrängt. Die Stadt bietet dafür aber immerhin eine Reihe an Förderprogrammen für die Nutzung von öffentlichen Grünflächen an.
Und das zu verschiedensten Zwecken: Integrations-Vorzeigeprojekt ist der von Asylwerbern und Migranten bewirtschaftete Gemeinschaftsgarten Macondo in Wien Simmering. Laut Umweltstadträtin Ulli Sima hat Wien bereits 30 Gärten gefördert, Ziel ist ein Gemeinschaftsgarten in jedem Wiener Bezirk.
Es muss auch nicht immer ein Garten sein. Mit einer Baumpatenschaft kann man auch das viereckige Grün rund um den Baum vor der eigenen Haustür bepflanzen. Seit diesem Sommer hat mit dem Karlsgarten auch der Karlsplatz ein Stück Gartenkultur vorzuweisen: Auf 2.000 Quadratmetern entsteht ein Schau- und Forschungsgarten, Bäume, Beete und Bienen inklusive - offizieller Eröffnungstermin war der 29. Mai.
Forschungsfrage: Was sind die Motive?
Wien kann sich also durchaus sehen lassen, wenn es um "gemeinschaftliches Grün" in der Stadt geht. Warum also dieses "teure" Forschungsprojekt? Für Brand und Exner spielt der ideologische Kontext heute eine größere Rolle als je zuvor.
Gärtnern sei heute nicht mehr selbstverständlicher Teil des Alltags: "Es ist interessant zu sehen, dass die meisten vorliegenden Arbeiten, die wir untersucht haben, Gemeinschaftsgärten relativ rasch positive Wirkungen unterstellen. Sie sollen die Gesundheit und den sozialen Umgang fördern, kulturell verbindend wirken, oder sogar eine Rolle bei der Gleichstellung der Geschlechter spielen. Es gibt aber wenige Untersuchungen dazu, ob diese Hoffnungen eingelöst werden. Zentrale Forschungsfragen sind für uns daher: Wie entstehen diese Projekte und was sind die Motive dahinter?"
Die Forscher wollen u.a. mittels Fallstudien und Befragungen untersuchen, ob und wie das Bedürfnis nach einer aktiven Mitgestaltung von Land überhaupt existiert, und wo es primär um eher individuelle Interessen wie die Freude am Gärtnern oder gesunde Ernährung geht.
Everybody's Darling
Schwenk nach Wien Donaustadt. Dort betreibt eine Gruppe von Frauen und Männern seit 2012 einen Gemeinschaftsgarten in der Lobau. Was als Kooperation mit dem Filmarchiv Austria für die Gastronomie bei "Kino unter Sternen" begann, ist nun zu einem Beispiel für den Versuch autarker Landwirtschaft im Stadtgebiet geworden.
"Wir säen und pflanzen, was wir essen", heißt es schlicht auf der Website, und es wird betont: "Wir arbeiten selbstbestimmt, entscheiden demokratisch und arbeiten nicht gewinnorientiert." Für eine hundertprozentige Selbstversorgung reichen die Erträge bisher allerdings noch nicht. Die Stadt hat mit den "LoBauerInnen" inzwischen einen Pachtvertrag abgeschlossen.
Vorbildlich? Andreas Exner, der selbst in Graz als Mitglied des Vereins "Flächenfreikauf" seit heuer mit Freunden und Bekannten ein Stück Land bebaut, meint: "Gartenprojekte sind in der Politik oft Everybody's Darling. Da ist es interessant zu schauen, ob tatsächlich alle treibenden Gruppen gleich behandelt werden. Der Pachtvertrag mit den LobauerInnen hat sich zum Beispiel etwas in die Länge gezogen."
Urban vs. Guerilla Gardening
Interessant ist, dass die Stadt Wien verstärkt auf Maßnahmen zur Bürgerbeteiligung im Grünraum gesetzt hat, als die in den USA entstandene Bewegung des "Guerilla Gardening" auch in Österreich erste Anhänger fand. Es kam zur Bebauung "wilder" Flächen in Wien und Umgebung, die Alleinherrschaft des Stadtgartenamts wurde angezweifelt.
Wurde Urban Gardening gerade deswegen gezielt institutionalisiert? Und, um es auf die Spitze zu treiben: Könnten von der Stadt verwaltete Gemeinschaftsgärten dann nicht auch letztlich dazu beitragen, aktivistische Aktivitäten einzudämmen und Privatbesitz zu auszuweiten?
Brand lacht: "Wir fragen natürlich danach, was wollen diejenigen, die bei der Stadt um Förderungen ansuchen? Einige gehen auf das städtische Angebot ein, wo gehen andere weiter? Wie versuchen Bewegungen den Rahmen zu verändern? In Wien wiegt man sich gerne in der Sicherheit, dass die Stadt funktioniert und dass es genug öffentlichen Raum gibt. De facto erleben wir aber eine enorme Privatisierung, etwa im Wohnbau. Wir wollen erläutern, ob das öffentliche Bild der Stadt stimmt, oder ob im Hintergrund restriktive Mechanismen am Werk sind."

Stadt Wien/MA 49/Lammerhuber
Ein Projekt zur ideologischen, politischen und sozialen Bedeutung "Gärtnern in Wien" im Kontext eines "Recht auf Stadt" also, gefördert vom WWTF, der Forschung mit Wienbezug finanziert - droht hier nicht Instrumentalisierungsgefahr? Ulrich Brand sieht das nicht so: "Der Wiener Lokalstaat ist sehr fragmentiert. Unser Ziel ist auch nicht, zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen. Auch nicht zu jenem, dass der Staat schlecht ist. Staat soll etwas ermöglichen."
Der Konsens, betont Brand, sei nicht nur für das Zusammenleben in Städten wichtig. Auch Gärtnern könne als Dialog gesehen werden der sprichwörtlich dazu dient, neue Räume zu erschließen - geografische, aber auch gesellschaftliche.
Historische Vorbilder - und Unterschiede
Ein weiterer Teil des Projekts ist die Analyse der Zwischen- und Nachkriegszeit. In beiden Perioden war Urban Gardening Teil des Alltags. Die Ausgangspunkte könnten allerdings nicht verschiedener sein, meint Brand. Gärtnern sei damals auf alle Fälle nichts Reflektiertes, oder gar bewusst Vollzogenes gewesen: "Gärtnern war etwa in der Zwischenkriegszeit ja kein gesellschaftliches Statement, wie das heute durchaus der Fall sein kann. Ein Beweggrund damals einen Garten zu haben war die fehlende 'Durchökonomisierung' des Lebens. Es gab so gut wie keine industrialisierte Reproduktion von Nahrungsmitteln. Das galt eher als Luxuskonsum."
Brand spielt damit etwa auf die Siedlerbewegung in Wien an. Sie entstand in den 1920er Jahren durch die herrschende Nahrungsmittelknappheit. Ärmere Teile der Bevölkerung versuchten sich am Stadtrand durch Kleingärten zu erhalten.
Auf diesen als "Kleingärten" genutzten Flächen, etwa am Nordufer der Donau, errichteten Sie zunächst illegale Behausungen, die von der Stadt später aber rechtlich anerkannt wurden. Jetzt ist für Brand ein guter Zeitpunkt zu sehen, ob es nach der "Reproduktions-Ära der 70er- und 80er-Jahre", oder anders gesagt, am Höhepunkt des Massenkonsums, "vielleicht doch wieder einen Aufschwung in diese Richtung gibt."
Und die Krise?
Auch Urban Garding, der "Darling" der Politik, ist also nicht unantastbar. Doch damit ist die Kritik noch bei weitem nicht am Ende. Weitere oft genannte Minuspunkte: Es verschandle Kulturlandschaft, und laut einer Studie der TU Berlin (2010) sind im Stadtgebiet angebautes Obst und Gemüse nicht gerade frei von Schadstoffen.
Braucht es also in einer so regulierungswütigen Stadt wie Wien auch dafür eine Regulierung? Für Brand geht es auf jeden Fall nicht darum, neue Gesetze zu kreieren, wann wo und wie in Wien Saatgut angebaut werden kann. Darüber wünscht er sich eher einen Dialog, denn Konsens, findet er, könne man sich auch aushandeln.
Mit Blick auf die Wirtschaftssituation in Europa bleibt die Frage: Geht es bei diesem Bedürfnis der Menschen, wieder Erde unter den Fingern zu spüren, nicht auch darum, wieder Kontrolle über Handlungsabläufe zu gewinnen, die scheinbar außer Kontrolle geraten sind? So einfach will es sich Brand nicht machen: "Das ist eine Frage ans Projekt. Unsere Hypothese ist, dass es hier einen Zusammenhang gibt, aber das ist eine Forschungsfrage. Wie weit wirken sich Finanzkrise und Produktionsauslagerung darauf aus?”
Aktivismus, Krisenängste, soziales Umfeld - Gärtnern scheint, bei näherer Betrachtung, nahezu so komplex wie die menschliche Psyche. Das Land als Abbild der Seele? Warum nicht.
Denise Riedlinger, science.ORF.at
Mehr zu dem Thema: