90 Prozent aller Männer und Frauen fühlen sich mit ihren Sorgen, Schmerzen und Ängsten rund um ihr Intimleben alleingelassen, das ergibt eine deutsche Studie, bei der 27.500 Männer und Frauen befragt worden sind. Das steht im Widerspruch zur Forderung der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, wonach sexuelle Gesundheit ein Menschenrecht ist.
Ärzte sollten bei ihren Behandlungen, etwa Operationen oder Medikamentenverschreibung, auch immer die sexuelle Gesundheit ihrer Patienten berücksichtigen.
Kritik an Ausbildungsniveau
Ö1 Sendungshinweis:
Über das Thema berichteten auch die Ö1 Journale, 2.6., 12:00 Uhr.
Elia Bragagna, Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit in Österreich kritisiert das Ausbildungsniveau vieler Mediziner und Medizinerinnen auf dem Gebiet der sexuellen Gesundheit. Viele würden nicht bedenken, dass etwa die Gabe von Antidepressiva zu Sexualstörungen führen kann. Oder dass Lustlosigkeit, die Folge von Asthma, Rheuma, Arthrose oder Krebs sein kann.
Unterschätzt werde vor allem die Rolle von Übergewicht. "Als Ärzte muss uns interessieren, was die Ursache hinter einer Sexualstörung ist", meinte sie im Ö1 Mittagsjournal. "Wenn ich etwa bei einer Frau eine Erregungs- oder beim Mann eine Erektionsstörung diagnostiziere - dann kann die Ursache dafür im Übergewicht liegen, das zu Bluthochdruck, Cholesterin und Diabetes führen kann; und das wiederrum verursacht Gefäßschäden."
"Mehr Mut" von Ärzten und Ärtzinnen
Sexualmedizin sei kein Fach, das separat gesehen werden dürfe, vielmehr gehöre sie integriert. Jeder Arzt, jede Ärztin sollte auf seinem, ihrem Gebiet über ein sexualmedizinisches Basiswissen verfügen.
"Was zur Patientenbetreuung hinzukommt, ist, dass Ärzte mutig genug sein müssen, Fragen zum Thema sexuelle Gesundheit zu stellen mit dem Wissen, dass sie dabei nicht die Intimität verletzen. Sondern sich bewusst machen, dass sie als Arzt fragen - wie es den Blutgefäßen des Penis bzw. der Klitoris geht und wie es dann in der Folge dem Menschen geht, wenn die nicht mehr 'funktionieren'. Wenn sich Mediziner bewusst sind, dass das eine ärztliche Handlung ist, trauen sie sich mehr zu sagen, wie etwa: Bitte kontrollieren sie den Zucker auch für ihr Intimleben!", meinte Bragagna.
Bessere Ausbildung an den Medizinunis gefordert
Seit fünf Jahren zeigt sie an der Akademie für Sexualmedizin Ärzten, die interessiert an dieser Weiterbildung sind, die Zusammenhänge zwischen Intimleben und Krankheiten auf. Doch mit 2015 schließt sie die Akademie, und zwar aus einem Grund: Bragagna will nicht mehr dem Staat die Arbeit abnehmen, sagt sie. Die Universitäten sollten angehende Mediziner und Medizinerinnen im Bereich der Sexualmedizin ausbilden.
"Ich möchte, dass das Gesundheitssystem dafür sorgt, dass jeder Medizinstudent, der die Uni verlässt, den Zusammenhang zwischen seiner Fachrichtung und dem Thema sexuelle Gesundheit kann, so wie es die WHO fordert."
Wichtig für Beziehungsleben
Fazit von Bragnana: Sexuelle Gesundheit ist mehr als der reine Geschlechtsakt. Ein gesundes Sexleben, wie immer sich das für den einzelnen gestaltet, ist wesentlich für Körper und Seele und ebenso für das Funktionieren von Beziehungen, durch die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin.
"Nähe, Emotion, Sicherheit, sich getragen fühlen, stark sein - das ist für mich eine der essenziellsten Dimensionen der Sexualität. Wir Ärzte sollten also darauf schauen, ob unser Patient aufgrund seines Gesundheitszustandes seine Sexualität leben kann. Und wenn nicht, sollten wir schauen, wie wir ihm dazu verhelfen."
Gudrun Stindl, Ö1 Wissenschaft
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