Furcht und Angst sind genau genommen nicht das Gleiche. Erstere kennt einen konkreten Anlass, letztere ist, wie Psychologen sagen, eine Stimmung ohne Objekt - Alarm auf Sparflamme, der die zukünftige Bedrohung vorwegnimmt. Dass Wirbeltiere wie zum Beispiel Affen und Nager zur Angst fähig sind, gilt als gesichert. Selbst Zebrafische zeigen Verhaltensweisen, die auf ängstliche Gefühle hindeuten. Abseits des Wirbeltierstammbaums verliert sich die Spur der Evidenzen.
Forscher um Daniel Cattaert haben sich nun im Tierreich an weit entfernter Stelle auf die Suche nach der Angst gemacht. Und zwar bei Flusskrebsen, die zur Gruppe der Krustentiere gehören und somit den Spinnen und Insekten nahestehen.
Der Biologe von der Universität Bourdeaux versetzte Flusskrebsen leichte Stromstöße und untersuchte, ob und wie sich dieser Reiz auf das Verhalten auswirkte. Normalerweise bevorzugen Flusskrebse beschattete Areale im Wasser, andererseits sind sie durchaus unternehmungslustig und wagen sich mitunter auch in lichtere Regionen vor.
Mehr Botenstoffe im Gehirn
Cattaert stellte den Versuchstieren beides zur Verfügung: ein Bassin mit vier Armen, zwei davon waren hell, die anderen beiden dunkel. Wie Cattaert und seine Mitarbeiter im Fachblatt "Science" schreiben, bewegten sich die Krebse aus der Kontrollgruppe in allen vier Armen des Aquariums, die anderen indes blieben im Dunkeln und trauten sich nicht hervor.
Video
Ängstliche Krebse meiden das Licht.
(c) Pascal Fossat.
Studie
"Anxiety-like behavior in crayfish is controlled by Serotonin", Science (12.6.2014).
Für die These, dass sie die unangenehme Behandlung tatsächlich verängstigt hatte, sprechen auch neurologische Befunde. Die übervorsichtigen Krebse hatten allesamt einen erhöhten Serotoninspiegel im Gehirn. Und dieser Neurotransmitter dürfte die Ursache des ängstlichen Verhaltens sein, Cattaert verabreichte Krebsen aus der Kontrollgruppe nämlich Serotonininjektionen - und siehe da: Auch sie blieben im Dunkeln sitzen.
"Benzos" wirken auch bei Krebsen
Bemerkenswert jedenfalls, dass sich die verängstigten Tiere durch Medikamente wieder beruhigen ließen. Der Arzneistoff Chlordiazepoxid gehört zur Gruppe der Benzodiazepine und wirkt bei Menschen bekanntermaßen angstlösend und entspannend - so auch bei Krebsen, wie Cattaert schreibt.
Die Pharmaindustrie wird durch diese Erkenntnis ihren Kundenkreis wohl nicht erweitern, aber die Evolutionsbiologen dürfte der Befund interessieren. Angst ist mitnichten eine Erfindung der Wirbeltiere, schließen die französischen Forscher aus ihren Versuchen. Sie ist vielmehr eine uralte Erfindung des tierischen Lebens. Die an dem Gefühl beteiligten Moleküle haben sich im Laufe der Jahrmillionen offenbar kaum verändert.
Robert Czepel, science.ORF.at
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