Stühle waren in der Evolution des Menschen eher nicht vorgesehen. Im Internet kursiert seit Jahren eine Abbildung, auf der Homo sapiens und seine Vorfahren zu sehen sind: Unsere affenartigen Ahnen gingen noch auf allen vieren, in den Jahrmillionen darauf richtete sich der Mensch Schritt für Schritt auf. Dann kam der Backlash der Kultur. Er hat uns wieder in die gebückte Haltung zurückbefördert - sitzend, vor der Computertastatur.
Ist das dauernde Sitzen natürlich? Zumindest ist der damit verbundene Bewegungsmangel auf Dauer nicht sonderlich gesund. "Homo sessilis" leidet unter Übergewicht, Kreislauferkrankungen und einer verkürzten Lebensspanne, das besagen Statistiken. Daher raten Arbeitsmediziner mittlerweile dazu, Büroarbeiten häufiger im Stehen zu verrichten. Ein weiteres Argument für die Verbannung der Stühle aus dem Büroalltag liefern nun Andrew Knight und Markus Baer. Die beiden Psychologen von der Washington University in St. Louis luden mehr als 200 Studenten zu einem Test ins Labor.
Die Studie
"Get Up, Stand Up: The Effects of a Non-Sedentary Workspace on Information Elaboration and Group Performance", Social Psychological and Personality Science ( DOI: 10.1177/1948550614538463
Aufrecht aufmerksamer
Die Probanden mussten Gruppen zu je drei bis fünf Personen bilden und ein Konzept für ein universitäres Werbevideo entwickeln. Die Hälfte der Teilnehmer tat das in einem ganz normalen Konferenzzimmer mit Tisch, Stühlen und Notizblöcken. Die andere Hälfte tat das im gleichen Raum, allerdings ohne Bestuhlung. Wie Knight und Baer im Fachblatt "Social Psychology and Personality Science" schreiben, hatte das messbare Auswirkungen.
Jene, die ihr Konzept stehend entwickelten, waren während der Arbeit wacher und aufmerksamer. Die Arbeit ging auch mit einer verminderten "Territorialität der Ideen" einher, wie die Forscher schreiben. Soll heißen: Den Teilnehmern fiel es leichter, sich auf die Einfälle der anderen einzulassen. Vor allem Letzteres gilt als die Grundvoraussetzung für gelungenes Brainstorming, insofern spräche einiges dafür, die tägliche Sitzung im Büro bisweilen durch eine "Stehung" zu ersetzen, zumindest dann, wenn es um neue Ideen geht.
Endprodukt dennoch nicht besser
Die Untersuchung der beiden Sozialpsychologen hat allerdings einen Schönheitsfehler. Die von den Studenten entwickelten Videos wurden auch gedreht und einer Fachjury vorgelegt. Diese konnte keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen erkennen, die Filme der Steher waren laut Juryurteil weder kreativer noch ästhetisch gelungener. In diesem Fall folgt jene Standardconclusio, die Forscher bei unklaren Verhältnissen immer in ihre Berichte schreiben: "Further research has to be done."
Gesetzt den Fall, die "weiteren Forschungen" fielen positiv aus - es wäre nicht die erste Verbindung zwischen körperlicher und geistiger Beweglichkeit. Schon die Peripatetiker philosophierten, so wird erzählt, im Gehen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2011 macht sogar Kaugummikauen wach und aufmerksam. Da bewegt sich zwar nur die Kinnlade, doch selbst das scheint etwas zu bringen.
Robert Czepel, science.ORF.at
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