Wenn der Begriff "Flaschenhals" auf eine Berufssparte zutrifft, dann wohl auf die Wissenschaft. Laut einer Untersuchung der Royal Society schaffen es nur 0,3 Prozent aller britischen Studierenden eines naturwissenschaftlichen Faches bis zur Position des Professors. Der Rest scheitert - oder verfolgt dieses Ziel erst gar nicht.
"Der Wettbewerb in der Wissenschaft ist riesig, die Chancen in diesem System zu bleiben, sind hingegen gering", sagt Ulrike Felt. Die Wissenschaftsforscherin von der Universität Wien untersucht seit Jahren die Binnenbedingungen der akademischen Welt. "Die Wissenschaft ist eine große Hoffnungsfabrik", lautet ihr Resümee.
Hoffnungen erkennt Felt in zweierlei Hinsicht. Dort, wo die Forschung Fortschritt und Heilung verspricht. Krebs, Klimawandel, Energie - das sind Themen, mit denen sich die Wissenschaft legitimiert und als Heilsbringer der Gesellschaft "mittlerweile einer großen Versprechenslogik bedient". Das gilt nicht zuletzt auch bei den Forschern selbst, die auf ein erfülltes und erfolgreiches Arbeitsleben hoffen. Eine Hoffnung freilich, die sich nur in seltenen Fällen erfüllt.
Die Studie
"Warum Wissenschaftlerinnen die Universität verlassen. Eine biografische Fallanalyse zu Ausstiegsgründen aus dem österreichischen Universitätssystem", SWS-Rundschau (Heft 2, 2014 : 159–180).
Ö1-Sendungshinweis
Über dieses Thema berichtet auch "Wissen aktuell", 26.6.2014, 13:55 Uhr.
Mobil sein um jeden Preis
Ein Grund dafür ist etwa der Mobilitätszwang, der mittlerweile in den meisten Fächern regiert. Speziell von Jungforschern wird erwartet, dass sie in anderen Ländern Erfahrung sammeln. Internationalität gilt als Generaltugend. Dass sich ein derart nomadenhafter Lebensstil nicht unbedingt mit einem Privatleben vereinbaren lässt, scheint in diesem System - noch - keine allzu große Rolle zu spielen. "Viele realisieren sehr rasch: Wenn man nicht bereit ist, die Heimat zu verlassen, dann wird es schwierig. Vor allem, wenn man Familie hat", sagt Felt.
Zu einer ähnlichen Diagnose kommt Nina-Sophie Fritsch. Die Sozialwissenschaftlerin von der Universität Wien hat kürzlich Interviews mit Aussteigerinnen geführt - Forscherinnen, die der Wissenschaft den Rücken gekehrt haben, weil sich ihr Job nicht mehr mit dem anderen, außerberuflichen Leben vereinbaren ließ.
Eine ihrer Interviewpartnerinnen war etwa Karin. Sie ist 38 Jahre alt, ehemalige Assistenzprofessorin, nun im Kreditwesen tätig und sagt rückblickend: Gut, ich war damals noch recht jung - aber trotzdem war mir schon klar: Irgendwann möchte ich sicher eine Familie gründen, Kinder haben und das ist einfach nicht das Umfeld … ein zu unsicheres Umfeld.
Claudia, 30 Jahre alt, ist an der Universität geblieben, arbeitet nun allerdings im administrativen Bereich. Der Grund für ihren Ausstieg war die sehr kurzfristige Planbarkeit. Man weiß halt manchmal nur für ein bis zwei Semester, wie es weiter geht. Und dass es eigentlich finanziell ja trotzdem nicht ausreicht. [...] Man arbeitet für eine Stunde, die man bezahlt bekommt, sechs Stunden. [...] Und zu wissen, dass es über eine sehr, sehr lange Zeit noch eine prekäre Situation bleiben wird, wenn ich diesen Weg weiter gehe, das wollte ich nicht.
Prekariat und die Unsicherheit sind keine Einzelfälle, sondern Teil des Systems. An österreichischen Universitäten gilt die sogenannte Kettenvertragsregelung (§ 109 des UG 2002), der zufolge Forscher und Forscherinnen nur für sechs bis acht Jahre mit befristeten Verträgen angestellt werden dürfen. Dann müssen sie ihren Standort wechseln, an eine andere Uni gehen oder gleich in ein anderes Land.
"Die Idee für diese Reglung war, Austausch und Internationalität zu fördern und Jungforschen die Chance zu geben, nachzurücken", sagt Fritsch. "Ob das nun so aufgeht wie geplant, ist fraglich. Und es stellt sich auch die Frage, ob diese Regelung für die Universitäten Sinn macht. Sie investieren viel in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter. Die müssen dann früher oder später zur Konkurrenz gehen."
"Leaky Pipeline"
Auch Männer leiden zusehends unter der Schwierigkeit, Forschung und Familie unter einen Hut zu bekommen, konzedieren Felt und Fritsch gegenüber science.ORF.at. Gleichwohl sind es eher die Frauen, die das System Wissenschaft - freiwillig oder auch nicht - verlassen. "Leaky Pipeline" nennen Sozialwissenschaftler jene eigentümliche Verschiebung der Geschlechterverhältnisse entlang akademischer Biografien.

Uniko
Sie ist auch in Österreich nachzuweisen. Laut der Statistik-Datenbank des Wissenschaftsministeriums sind 53 Prozent aller Studierenden weiblich, bei den Erstabschlüssen liegt der Frauenanteil gar bei 58 Prozent.
Dann öffnet sich die Schere: Unter den Assistenten sind 42 Prozent Frauen, auf der Ebene der Dozenten und Professoren liegt der Frauenanteil gar nur mehr bei 21 Prozent. Warum? "Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht", sagt Fritsch. "Es ist ein Mischung vieler Faktoren, Frauen müssen mehr Barrieren überwinden und profitieren weniger von Netzwerken."
Zwei mögliche Gründe benennt der Linzer Wissenschaftsforscher Gerhard Fröhlich. "Dual Career und Anti-Nepotismus-Regeln gehen zu Lasten der Frauen. Viele Frauen haben an einem Ort einen schönen Wissenschaftsjob, dann bekommt der Gatte an einem anderen Ort den Posten seines Lebens, die Frau geht mit, und bekommt am Traumort des Gatten keine adäquate Position, vielleicht einen kleinen Lehrauftrag. Unter Anti-Nepotismus-Regeln, ob formell oder informell, leiden primär die Frauen, denn wenn ein Mann etwas ist, dann darf die Frau am selben Institut, an derselben Fakultät nichts werden."
"Es hat sich etwas getan"
Fritsch hat im Rahmen ihrer Studie herausgefunden, dass Jungforscherinnen mehr administrative Tätigkeiten übernehmen müssen - ein Wettbewerbsnachteil, der wohl auch etwas mit Geschlechterstereotypen zu tun hat. Gleichwohl will Fritsch diesen Faktor nicht überbewerten.
"Frauen nur in die Opferrolle zu drängen wäre weder angemessen noch zielführend. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen: Es hat sich schon etwas getan. Es gibt Mentoring-Programme und weibliches Empowerment. Zurzeit haben wir fünf Rektorinnen in Österreich, bei den Vizerektoren ist das Geschlechterverhältnis sogar fast ausgeglichen. Das gab es bisher noch nie."
Normierter Leistungsdruck
Ein weiterer Ausstiegsgrund ist für viele der permanente Leistungsdruck. "Publish or perish" lautet die Formel, mit der im angelsächsischen Raum die Produktivität der Wissenschaft beschworen wird. Mittlerweile haben sich die Sozial- und Geisteswissenschaften die Bewertungslogik der Naturwissenschaften angeeignet. Als Leistungsnachweis werden (fast) nur mehr Journalbeiträge in Zeitschriften mit Peer Review akzeptiert. Aufsätze in Büchern und Sammelbänden gelten indes nur mehr wenig, manchmal auch gar nichts.
Es kommt also auch darauf an, wo man publiziert. Dahinter steht wohl das Bedürfnis, Exzellenz zu objektivieren (und gegebenenfalls auch zu quantifizieren). Nicht alle blühen in diesem normierten Leistungssystem auf. "Eine meiner Interviewpartnerinnen sagte zu mir: 'Dieser Druck hat mich eher gelähmt, als dass er mich gepusht hätte'", erzählt Fritsch.
Für die 28-jährige Sozialwissenschaftlerin hat das Forschungsthema auch autobiografische Bedeutung. Sie ist selbst von der Kettenregelung betroffen und muss nach Abschluss ihrer Dissertation die Universität Wien verlassen. "In dreieinhalb Jahren kommt der Cut. Dann werde ich alle drei Jahre von Stelle zu Stelle, von Land zu Land ziehen. Sollte ich das nicht mehr machen wollen, brauche ich ein anderes Standbein."
Robert Czepel, science.ORF.at
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