Einige waren aber weniger gleich, denn die Armen konnten sich das stundenlange Training und die Wettkämpfe nicht leisten. Die Ungleichheit wurde ihnen buchstäblich in ihre Körper eingeschrieben. Über nackte Athleten und ihre politische Bedeutung diskutierten Forscher an diesem Wochenende bei einer wissenschaftlichen Tagung an der Universität Graz.
Es begann in Sparta

Associated Press
Statue eines Diskuswerfers im Stadion von Athen, in dem 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit stattfanden
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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 30.6., 13:55 Uhr.
Es war ungefähr im Jahr 650 v. Chr., als sich die Praxis des "nackten Sports" flächendeckend in ganz Griechenland durchgesetzt hat. Zwar gab es schon davor zu bestimmten Anlässen nackte Körper in der Öffentlichkeit - etwa bei Initiationsritualen, in denen der Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter gefeiert wurde.
"Aber wenn man im Athen des 6. Jahrhunderts in ein beliebiges Gymnasion ging, sah man, dass die Männer dort jeden Tag nackt übten", sagt der Althistoriker Paul Christesen vom Dartmouth College.
Erfunden haben das aber nicht die Athener, sondern die Spartaner, wie es der Historiker Thucydides überliefert hat. "Sparta war im 7. Jahrhundert vor Christus sehr bestrebt, Gleichheit zwischen den Reichen und der Mittelklasse herzustellen", erklärt Christesen gegenüber science.ORF.at. "Der Sport und die Nacktheit waren dafür ein wichtiges Mittel." So wie Uniformen oder ähnliche Kleidung heute soziale Unterschiede verschleiern und einen Eindruck von Gleichheit schaffen können, lautete auch die Strategie der Spartaner.
Reiche und Mittelschicht gleich nackt
"In dieser Zeit stellte sich in vielen griechischen Stadtstaaten die Frage, wer die Regierung kontrolliert. Nur die Reichen oder auch die Mittelklasse? Die Armen kamen nicht in Frage, die waren sowieso fast immer von der Regierung ausgeschlossen", schildert Christesen das Szenario. Um Reiche und Mittelklasse zu einer Gruppe zu "verschmelzen", die sie - sozial betrachtet - gar nicht war, diente der Sport.
"Nacktheit war in der griechischen Gesellschaft an sich nicht weit verbreitet. Es gab sie nur im Gymnasion und bei den Wettkämpfen. Wenn sich Reiche und Angehörige der Mittelklasse dabei trafen, sahen sie gleich aus. Sie hatten die gleiche schöne Ganzkörperbräune, die gleichen trainierten Muskeln. Die Armen sahen anders aus, waren viel blasser." Die Nacktheit sollte also nicht nur die beiden oberen sozialen Schichten zusammenschweißen, sondern auch die untere ausschließen.
Dieses sportliche Ziel wurde damals sehr erfolgreich erreicht. Zwar erhielten die Armen etwa in Athen das Wahlrecht, in den meisten der rund 1.000 Stadtstaaten Griechenlands war das aber nicht der Fall. "Die Bedeutung, die die Nacktheit der Athleten bei diesem sozialen Prozess gespielt hat, hat schon Aristoteles sehr genau beschrieben", sagt Christesen.

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Christentum beendete die Praxis
Mindestens tausend Jahre lang währte die Praxis der unbekleideten Athleten, ehe ihr das frühe Christentum den Garaus gemacht hat. "Die Frühchristen haben sich nicht sehr wohl gefühlt mit der Körperlichkeit der Griechen. Die nackten Athleten hatten einen sehr starken erotischen Beiklang. Zwar haben nur Männer an den Wettkämpfen teilgenommen, sie wurden aber sowohl von Männern als auch von Frauen als erotische Objekte wahrgenommen. Und das war nichts für die Frühchristen."
Dementsprechend sind die nackten Sportler ungefähr ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. ausgestorben. Und zwar nahezu zeitgleich mit dem griechischen Sport als solchem. Zwar hat es laut Christesen eine kurze Phase gegeben, in der einige Sportarten weiter ausgeübt wurden: Ringen etwa, das offenbar - wieder angezogen mit Lendenschurz, Tunika und Gürtel - betrieben wurde. Aber generell sollte der griechische Sport fast 1.500 Jahre lang Pause machen, bis ihn die Olympische Bewegung der Neuzeit wiederbelebte.
Keine Nacktheit in der Neuzeit
Obwohl sich ihr Begründer - der französische Baron Pierre de Coubertin - stark an das Vorbild der Antike hielt, war Nacktheit dabei kein Thema. "Er war daran überhaupt nicht interessiert. Seine Idee von Sport war von der britischen Tradition inspiriert, und die Briten waren immer angezogen", erklärt Christesen.
Selbst die Versuche einiger Athleten der wiederbelebten Nemëischen Spiele, nackt antreten zu dürfen, sind in jüngster Zeit gescheitert. "Die Griechen haben das immer abgelehnt, weil sie das den Zuschauern nicht zumuten wollten."
Dementsprechend unwahrscheinlich sei es auch, dass Fußballspieler eines Tages dem antiken Vorbild folgen werden. Zwar reißt sich der eine oder andere auch bei der aktuellen WM in Brasilien im Überschwang eines Torerfolgs schon einmal das Trikot vom durchtrainierten Oberkörper - nicht zuletzt weil das mit einer gelben Karte bestraft wird, war es das aber auch schon.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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