Warum der Schutz von geistigem Eigentum nicht im Widerspruch zu gesellschaftlichen Fortschritt stehe und sich rechtliche Rahmenbedingungen entsprechend dem Empfinden der Menschen weiterentwickeln müssen, erklärt der Leiter des Kompetenzzentrum für Intellecutal Property (IP) Management der Universität St. Gallen im Interview mit science.ORF.at.
science.ORF.at: Viele sehen in Patenten einen Anreiz für Innovationen. Andere betrachten sie als Hemmnis für gesellschaftlichen Fortschritt. Wie bewerten Sie diesen Gegensatz?
Martin Bader: Wir stehen hier auf einer neutralen Seite. Diese Schutzrechte kommen aus der Zeit der industriellen Revolution in England. Man hatte kein Interesse daran, dass eine neue Maschine, etwa der Webstuhl, gleich von allen nachgemacht wird, und so ist diese industrielle IP-Welt entstanden.
Wenn ich heute in der Software-Branche beginne, in einem Bereich etwas zu entwickeln, an dem gerade viele andere auch dran sind, kann man davon ausgehen, dass man in Konflikt mit den Rechten Dritter kommt. Und das wird von vielen als Hemmnis verstanden. Gleichzeitig schätzt ein Unternehmer, der in eine teure Entwicklung investiert hat und vielleicht hunderte Mitarbeiter beschäftigt, ein Instrument, mit dem er seinen Fortschritt gegenüber Dritten verteidigen kann.

BGW AG
Zur Person:
Martin Bader ist Europäischer und Schweizer Patentanwalt und leitet an der Universität St. Gallen am Institut für Technologiemanagement das Kompetenzzentrum für Intellectual Property Management. Zudem ist er Geschäftsleiter der BGW AG (Management Advisory Group St. Gallen - Wien). Zuvor war er unter anderem bei Infineon Technologies in München tätig.
Technologiegespräche Alpbach:
Von 21. bis 23. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Forschung und Innovation: At the crossroads". Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Martin Bader wird am Arbeitskreis "IP-Strategien in Unternehmen: Herausforderungen für das IP-Management und die Innovationspolitik“ teilnehmen.
Links:
Weitere Beiträge:
Tesla hat kürzlich bekannt gegeben, die Patente für seine E-Autos frei zu geben, bzw. nicht mehr gegen Patentverletzungen durch Dritte vorzugehen. Tesla-Chef, Elon Musk, begründet das damit, dass es kontraproduktiv für die Förderung nachhaltiger Mobilität wäre, "Landminen in Form von Patenten" zurück zu lassen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Auf den ersten Blick erscheint Teslas Ankündigung altruistisch vorbildlich: die Einführung des Open Source Ansatzes in der Automobilbranche zum Wohle der Gesellschaft. Der Elektroauto-Pionier gibt seine hart erarbeitete und mit teuren Patenten geschützte Schlüsseltechnologie allen zur Gratis-Nutzung frei. So wird es derzeit vor allem in zahlreichen Presseartikeln kommentiert. Tesla hat aber tatsächlich nur folgende Ankündigung gemacht: "Tesla will not initiate patent lawsuits against anyone who, in good faith, wants to use our technology."
In den relativ breiten Interpretationsspielraum fällt hierbei, dass Unternehmen, die Teslas Patente nutzen, Tesla wiederum nicht aus ihren Patenten verklagen können sollen - es ist also vor allem ein implizites Patentlizenzaustausch - bzw. gegenseitiges Nichtangriffsangebot. In Expertenkreisen wird die fragwürdige rechtliche Qualität und niedrige Erfindungshöhe im Tesla-Patentportfolio bereits offen diskutiert und kritisiert. Die Automobilbranche warnt schon davor, sich nicht unnötig durch voreilige Nutzung von Teslas Technologie abhängig zu machen.
Wer weiß, ob Tesla hier also schlussendlich nicht mehr aus der eigenen Not, also das Risiko der Patentverletzung von Patenten anderer Automobilhersteller, eine Tugend machen wollte. Es ist eine sehr interessante Aktion, aber möglicherweise auch ein beabsichtigter PR-Schachzug, der den Aktienpreis schlussendlich allerdings auch nur sehr kurzweilig beeinflussen konnte.
In dem Arbeitskreis, an dem Sie in Alpbach teilnehmen, wird es um die Entwicklung von IP-Strategien gehen. Im Beschreibungstext ist zu lesen, dass "Geheimhaltung" dabei eine wesentliche Rolle spielt. Das klingt nach Entwicklungsarbeit im stillen Kämmerchen, von der möglichst niemand etwas mitbekommen soll. Gleichzeitig werden aber Trends beschworen, wonach Open Innovation, also die Einbindung von Usern, eine zunehmend wichtigere Rolle spielt. Wie passt das zusammen?
Das harmoniert wunderbar miteinander. Open Innovation heißt im Wesentlichen, dass man die Innovation nicht mehr alleine im Unternehmen durchführt, dass nicht mehr nur eine große Forschungsabteilung alles alleine macht. Man unterteilt vielmehr in Themen, bei denen man jemand von außen holt, und konzentriert sich intern auf bestimmte Dinge, wie etwa Marketing und Design.
Apples iPod zum Beispiel kam von außerhalb des Unternehmens.
Wenn Sie Open-Source-Ansätze meinen, bei denen die Entwickler frei, intrinsisch motiviert arbeiten - das ist auch eine interessante Bewegung. Viele Unternehmen haben Themen identifiziert, die sie öffentlich haben wollen, die allen zur Verfügung stehen sollen.
Welche Themen eignen sich besonders für den Open Source Ansatz?
Überall, wo man Standards haben möchte, wo sich viele auf eine gemeinsame Technologie beziehen, macht das Sinn. Unser Mobilfunknetzwerk ist ein Beispiel dafür. Das ist zwar kein Open Source Standard, aber es steht allen zur Verfügung. Demgegenüber entscheiden Sie als Konsument, wenn Sie ein Mobiltelefon kaufen, wahrscheinlich nicht anhand der Netzwerkdatenleistung, sondern eher nach Design oder sonstigen Features des Gerätes.
Digitalisierung und Internet haben Bewusstsein und Akzeptanz, was geistiges Eigentum betrifft, stark verändert. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
Es gibt ein interessantes Beispiel aus der Schweiz, was das Urheberrecht betrifft: Man hat sich geeinigt, den normalen Bürger zu entkriminalisieren. Das heißt, Sie können mit ihrem Smartphone oder ihrem Computer alles herunterladen, was Sie herunterladen können.
Das ist ein Beispiel, wo sich etwas weiterentwickelt. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass sich ein Recht weiterentwickeln muss, denn es muss ja auch dem Empfinden der Gesellschaft entsprechen.
Ich nehme an, diese Weiterentwicklung ist eine große Herausforderung für Ihre Arbeit - sowohl als Berater, als auch in der wissenschaftlichen Arbeit an der Universität.
Das ist es, weil wir mit beiden Strömungen zu tun haben. Wir haben mit den Konservativen zu tun, da müssen wir auch Lösungen finden. Wir sehen aber gerade über die Wissenschaft neue Entwicklungen und Konfliktherde, und da haben wir ein starkes Interesse uns einzubringen und Lösungswege aufzuzeigen.
Zurück zu Alpbach: Dort wird es darum gehen, erfolgreiche IP-Strategien und die Rolle der Innovationspolitik dabei zu diskutieren. Können Sie ein Beispiel für ein Land nennen, das hier als Vorbild gelten kann?
Als Land kann man sich beispielsweise China anschauen. Da hat man sich vor ein paar Jahren das Ziel gesetzt, weltweit die Nummer Eins bei der Anmeldung von Patenten zu werden. Es wurden in weiterer Folge Fokus-Technologiebereiche und -Branchen identifiziert und dann in der klassischen Jahresplanung zu erreichende Ziele definiert und gezielt gefördert. Mit der Konsequenz, dass China inzwischen wirklich Anmelde-Land Nummer Eins ist.
China gibt in seinen Fünf-Jahresplänen sehr strikt vor, wie viele Patente pro 10.000 Einwohner zu erreichen sind. Leidet da nicht zwangsläufig die Qualität der Erfindungen, wenn man nur danach strebt, sein Fünf-Jahres-Soll zu erreichen?
Aus unserem Verständnis heraus leidet die Qualität sicher. Man darf aber nicht vergessen, dass Quantität auch eine Rolle spielt. Lernprozesse funktionieren oft nach dem Prinzip "Trial and Error". So gesehen ist es wichtiger, überhaupt irgendwas zu machen, Dinge auszuprobieren und zu versuchen, sich dadurch inhaltlich und qualitativ zu verbessern, als aus Respekt vor der Qualität gar nichts zu tun. Und man muss einfach anerkennen, dass China sich etwas vorgenommen hat, es aufgesetzt und durchgezogen hat - und es läuft.
Das heißt die chinesische Planwirtschaft soll ein Vorbild für künftige österreichische IP-Strategien sein?
Ich will kein Plädoyer für die Planwirtschaft halten. Aber in manchen Fällen muss man einfach sagen: ausprobieren und machen! Damit kommt man oft schneller ans Ziel, als mit rein qualitativen Vorgaben.
Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at