Hinterlistig, versoffen, brutal: Dass der gutmütige Kasperl bis vor 200 Jahren ein fauler Nichtsnutz und Trunkenbold war, weiß die Grazer Germanistin Beatrix Müller-Kampel. Sie erforscht seit Jahren den Werdegang vom Taugenichts zur didaktischen Paradefigur.
Ihre Studentin Evelyn Zechner-Matscheko hat die Auslegung der Kasperl-Figur vor der Kulisse des Ersten Weltkrieges untersucht und zeichnet nun ein facettenreiches Bild.
Die Arbeit:
"'Kasper saust von Sieg zu Sieg'. Sozialhistorische und soziologische Studien zu ausgewählten Puppenspielen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs" von Evelyn Zechner-Matscheko ist in der "Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie" erschienen.
Gegen die Kriegszweifler
Erst im Laufe der Zeit wurde aus der männlichen Gestalt die fröhliche Kinderfigur: "Die Kasperlfigur wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu der niedlichen Figur, die wir heute kennen. Zuvor war die Rolle an Erwachsene adressiert", betonte Zechner-Matscheko.
So hetzte der "feldgraue" Kasper zur Zeit des Ersten Weltkrieges gegen afrikanische Kolonialsoldaten, wies Kriegszweiflern die Schranken und griff sogar selbst ins Kampfgeschehen ein. "Kasper saust von Sieg zu Sieg", wie es die Grazer Germanistin auch im Titel ihrer Masterarbeit festhielt.

Fotografie. In: Welt und Haus 14 (1916)
Die Auslegungen der Figur sei vielfältig: "Sie konnte im Schützengraben kämpfen und mitleidlos Feinde gefangen nehmen, Phrasen dreschen. Oder aber auch kriegsbedingte Missstände im Hinterland kritisieren und opportunistische Kriegsgewinnler anprangern", schilderte Zechner-Matscheko. Das Publikum bestand mitunter aus Soldaten, die sich mit den Aufführungen der Front-Puppenbühnen über den freudlosen Alltag hinweghalfen, oder auch verwundete Soldaten im Lazarett, wie die Germanistin erhob.
Im Zuge ihrer Recherchen ist sie auf sechs Kasperl-Texte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges gestoßen und hat diese untersucht. "Alle Autoren stammten aus dem bürgerlichen Milieu und waren keine berufsmäßigen Puppenspieler. Der Grazer Autor Fritz Oberndorfer war etwa Leiter des Referats für Kartoffelversorgung und kannte das Leid im Hinterland nur allzu gut, was sich auch in seinen Texten widerspiegelt", so Zechner-Matscheko.
science.ORF.at/APA
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