Einen Tag nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juli 1914 hat der steirische Fürstbischof Leopold Schuster seinen ersten Hirtenbrief der Kriegszeit verfasst. Er stand von 1893 bis 1927 der Diözese Seckau vor, seine Hirtenbriefe mussten in den Pfarren verlesen und im kirchlichen Verordnungsblatt publiziert werden.
Dort hat sie auch die katholische Theologin Edith Petschnigg von der Universität Graz gefunden, die all seine während des Ersten Weltkriegs verfassten Briefe analysiert hat. Beispielhaft für die katholische Kirche hat Schuster Texte und Figuren der Hebräischen Bibel aufgegriffen, weil vor allem sie kriegsrelevante Beispiele enthält.
Bibeldeutung nach Bedarf
Bibelkongress in Wien:
Edith Petschnigg hat ihren Vortrag zum Thema beim "International Meeting der Society of Biblical Literature" gehalten. Der Weltkongress fand von 6. bis 10. Juli 2014 im Hauptgebäude der Universität Wien statt.
ORF-Programmschwerpunkte:
Schusters Kriegstheologie war klar: Das Bild des sündigen Menschen auf der einen Seite, das Bild des strafenden Gottes auf der anderen. Am Anfang des Krieges hat Schuster noch von einem Gott gepredigt, der zum Sieg verhilft. Besonders erfolgreich war das nicht, denn "der Sieg der Habsburgermonarchie über die Entente-Mächte ist nicht wie erwartet nach einigen Monaten eingetreten. So hat Schuster sich genötigt gesehen, auch Deutungen für die Niederlagen anzubieten", erklärt Petschnigg die Ambivalenz seiner Rhetorik.
Die österreichischen Bischöfe hätten den Krieg einheitlich gedeutet, Schuster aber habe in besonderem Maß auf das Strafgericht Bezug genommen. Zugleich betonte er, dass sich Gott um sein Diözesangebiet kümmere, die Steiermark: Sie ist bis Kriegsende von Kampfhandlungen verschont geblieben. Schuster sah Gott als Schutzgott für seine Diözese an.
"In der Bibel streitet Gott selbst für sein Volk, das Volk Israel, und besiegt die Feinde. Fürstbischof Schuster hat die k. u. k. Monarchie an die Stelle Israels gesetzt und vom Beistand Gottes für die Habsburgermonarchie gesprochen", sagt Petschnigg. Diese Gleichsetzung habe jedoch nicht die politische Situation gedeutet, sondern die moralische.
"Fürstbischof Schuster sah das moralische Versagen der Gläubigen als die Hauptursache des Krieges", so die Theologin. Sünden wie Habsucht, Modesucht, Abfall vom Glauben, Genusssucht oder Luxussucht seien für ihn die eigentlichen Ursachen des Krieges gewesen, deshalb forderte er Buße der Gläubigen. "Wenn die Gläubigen Buße tun, dann könne sich Gott wieder dem Volk zuwenden und das Volk retten."
"Bibelton" als allgemeines Bildungsgut
Auf die Bibel zurückzugreifen, war bis weit ins 20. Jahrhundert üblich, die Bibel habe zum allgemeinen Bildungsgut gehört, sagt Petschnigg. Auch Schichten, die nicht religiös waren, hätten auf biblische Texte, Bilder und Metaphern Bezug genommen. Auf Dichtung, Literatur und Kunst habe die Bibel Einfluss gehabt, im Judentum genauso wie im Christentum.
Welche Bibelstellen zitiert werden, sage jedoch oft mehr über den Leser aus als über die biblische Tradition an sich, betont Petschnigg die vielen Deutungsmöglichkeiten. "Die Bibel ist facettenreich, es gibt keine einheitlichen Modelle. Die rezipierenden Personen suchen sich die Zitate heraus, mit denen sie ihre Standpunkte belegen wollen." So habe Leopold Schuster die Bibel nach seinen Bedürfnissen zur Hand genommen, er habe kaum biblische Friedensvisionen angeführt.
Entsprechend wichtig sei es, die Deutungen in ihrem kulturell-historischen Umfeld zu analysieren. Die Bibel zu verwenden, könne negative als auch positive Auswirkungen haben.
Lucia Reinsperger, science.ORF.at
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