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Ein Kindergärtner spricht mit zwei Buben und einem Mädchen

Kindergärten brauchen auch Männer

Mehr als 99 Prozent der Kindergartenpädagogen in Österreich sind weiblich. Dass mehr männliche Bezugspersonen das Verhalten von Kindern verändert, zeigt eine Studie Innsbrucker Forscher. Dies gilt vor allem für die Buben.

Pädagogik 15.07.2014

"Buben gehen mehr auf männliche Kindergärtner zu und zeigen bei ihnen lebendigere Verhaltensweisen", sagt der Psychologe und Pädagoge Josef Christian Aigner gegenüber science.ORF.at. "In traditionellen Gruppen mit ausschließlich weiblichen Kindergärtnerinnen sind die Buben hingegen eher angepasst und halten sich am Rand auf. Mit Männern interagieren sie aktiver, fordern sie mehr zu etwas heraus."

Männer tolerieren eher Wildheit

Bereits im November 2012 hat Aigner mit seinem Team eine entsprechende Studie für das Sozialministerium erstellt ("Wirkungsstudie W-INN"). An zehn Kindergärten in Tirol und Salzburg wurde dabei das Verhalten von 30 - zufällig ausgewählten - Kindern untersucht, und zwar in zwei Gruppen: die einen wurden ausschließlich von Kindergärtnerinnen geleitet, die anderen von einem gemischtgeschlechtlichen Team.

Die Psychologen nahmen den Gruppenalltag der Kinder sowie spezielle Spielsituationen per Video auf und analysierten nachher ihr Verhalten gegenüber den Pädagogen. "Gegenüber 2012 neu sind einige Einzelfallstudien, die wir qualitativ ausgewertet haben. Dabei zeigt sich, dass Männer für die Eigenarten der Buben mehr Raum zur Verfügung stellen und dieser von ihnen auch genutzt wird - was übrigens auch bei einigen Mädchen der Fall ist. Männer gehen auf ein aktiveres Spiel, das in unserer Kultur als männlich angesehen wird, mehr ein", erklärt Aigner.

Statistisch signifikante Unterschiede zu Pädagoginnen gab es auch in den Bereichen "Freude an Körperkontakt" und "Streben nach exklusiver Aufmerksamkeit". Was so viel heißt wie: "Die Buben wollen sich eher in den Mittelpunkt stellen. Es ist, als ob sie sagen würden: 'Da ist jetzt ein Mann, da kann ich mir mehr erlauben.' Tatsächlich sind die Männer gegenüber diesem lebhaften Verhalten toleranter als die meisten Frauen, das haben wir schon früher zeigen können."

Kein Revival von Geschlechterklischees

Spricht das nun dafür, diesem Streben der Buben nachzugeben und ihnen den Raum zu geben, den sie beanspruchen? Und wird damit den Mädchen nicht wieder Raum weggenommen, wie aus feministischer Sicht argumentiert wurde? Josef Christian Aigner sieht keine Rückfallgefahr in alte Geschlechterrollen.

"Man könnte eher sagen, dass das klischeehafte Verhalten von Buben auf diese Weise eher sichtbar wird und pädagogisch bearbeitet werden kann. Während sie sich in reinen Frauengruppen am Rand aufhalten und draußen, wenn der Kindergarten vorbei ist, sozusagen wieder ihre Machoallüren pflegen können." Notwendig sei deshalb eine genderbewusste Ausbildung sowohl von männlichen als auch weiblichen Kinderpädagogen.

Studien aus Norwegen würden auch zeigen, dass ab einem bestimmten Geschlechterverhältnis - an manchen Kindergärten arbeiten dort bis zu 30 Prozent Männer - die Verhaltensweisen überhaupt ins Wanken geraten.

"Sie vermischen sich. Wenn mehr Männer vorhanden sind, kommen auch immer mehr Mädchen drauf, dass etwa eine wildere Spielweise für sie interessant sein kann. Und nicht nur das: Auch die weiblichen Pädagoginnen lassen sich von dem, was ihre männlichen Kollegen einbringen, 'anstecken', sodass man überhaupt nicht sagen kann, dass hier Geschlechterklischees wieder auferstehen würden."

Väter fehlen in den Familien

Was der Grund für die unterschiedlichen Reaktionen der Buben auf weibliche oder männliche Kindergärtner ist, kann Aigner nicht erklären. Dafür sei die Pilotstudie noch zu klein gewesen. "Aber es gibt deutliche Hinweise, dass es mit der mangelnden Präsenz von Vätern in den Familien zu tun hat. Auch wenn sich einiges geändert hat, sind Väter in den Familien noch immer eher randständig. Wenn dann ein Mann da ist - noch dazu hauptberuflich und der nicht sagt 'Jetzt hab ich mal fünf Minuten Zeit' -, dann können sich Buben an dem reiben."

Aigner spricht sich deshalb für mehr Männer in Kindergärten aus. "Ich bin ein Gegner von Quoten. Aber je mehr Männer, desto besser." Wie das funktionieren soll? "Wichtig wäre es, die Wertigkeit des Berufs zu erhöhen. Und zwar nicht weil jetzt die Männer kommen, sondern auch für die Frauen - denn Kindergartenerziehung ist die anspruchsvollste und wichtigste Pädagogik überhaupt und dennoch die mit der schlechtesten Bezahlung und Ausbildung."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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