Summe ist mehr als ihre Teile
Waschmittelreste, Medikamente, alte Glühbirnen - schon Alltagsabfälle enthalten verschiedenste Chemikalien, Industrieabfälle umso mehr. Viele gelangen in Folge in Flüsse und Böden. Die Umweltbelastung versucht man, in Europa durch Grenzwerte für den Einsatz von Weichmachern, Schwermetallen und Co. gering zu halten.
Die Studie:
"Mixtures of Chemical Pollutants at European Legislation Safety Concentrations: How Safe are They?" von Raquel N. Carvalho et al. ist am 23.6. in "Toxicological Sciences" erschienen.
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 7.10., 13:55 Uhr.
Die von der EU geförderte Studie des Joint Research Centre
hat jetzt in Labortests erforscht, wie sich Gemische von alltäglichen Chemikalien auf Wasserlebewesen auswirken. Die Testmischungen enthielten mehrere Chemikalien, die alle unter ihren gesetzlich erlaubten Schwellwerten beigefügt waren. Dabei hat sich gezeigt, dass die Wirkstoffe - auch in diesen kleinen Mengen - so miteinander reagieren können, dass sie Organismen wie z.B. Froschembryonen, Wasserflöhe oder Algen in ihrer Entwicklung stören oder vergiften. Und zwar auch, wenn gesetzlich festgelegte Grenzwerte nicht überschritten werden.
Das Problem ist, dass der Grenzwert für eine Substanz nur nach Begutachtung des jeweiligen einzelnen Stoffes festgelegt wird - Wechselwirkungen mit anderen Chemikalien werden nicht berücksichtigt. Helmut Burtscher, Umweltchemiker bei Global 2000, meint, man könne sie auch gar nicht berücksichtigen, denn die wissenschaftlichen Grundlagen dazu würden fehlen.
Unerforschte Folgen
Außerdem stehe man vor einer schier unendlichen Materie, sagt Burtscher: "An sich weiß man ganz wenig darüber, wie ein bestimmtes Gemisch interagiert - weil sich Milliarden verschiedener Kombinationsmöglichkeiten ergeben, sobald mehr als zehn Wirkstoffe vorhanden sind." Sogar mehr als hundert verschiedene Wirkstoffe finde man aber oft zum Beispiel in Flüssen.
Man weiß also nur, dass man eigentlich nichts weiß. Um dem Rechnung zu tragen, schlägt Burtscher vor, Grenzwerte für jeden einzelnen Stoff vorsichtshalber niedriger anzusetzen, beispielsweise um den Faktor Zehn herunterzustufen.
Die Konzentrationen von Wirkstoffcocktails, die in der Studie kleinere Organismen sehr belasten, seien für Menschen eher nicht gefährlich, erklärt Burtscher. Aber er verweist auf Pestizidrückstände in Lebensmitteln und meint: "Bei Lebensmitteln nehmen wir Schadstoffe in Mengen zu uns, die möglicherweise in Kombination nicht ohne Wirkung bleiben. Im Verlauf einer Mahlzeit ist man mit zehn bis 20 verschiedenen Pestizidwirkstoffen konfrontiert. Sofern man sich nicht biologisch ernährt."
Entscheidungen auf EU-Ebene
Thomas Jakl leitet die Abteilung Chemiepolitik im Umweltministerium und hält eine generelle Senkung der Grenzwerte für ein zu grobes Konzept. Er räumt aber ein, dass man in Zukunft auf diese Cocktaileffekte bei der Grenzwertfestlegung mehr Rücksicht nehmen wolle. Noch offen ist aber die Methodik, mit der man entscheidet, wie man neue Grenzwerte bestimmen soll.
Das Ministerium habe schon verschiedene Studien zu Cocktaileffekten in Auftrag gegeben. Strengere Grenzwerte könnten Staaten aber nicht alleine festlegen - es komme auf die EU an. Österreich sei einer der Staaten, die eher auf eine Neubewertung der Schwellwerte drängen, sagt Jakl.
Isabella Ferenci, Wissen aktuell
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