Welches ist das größte, dauerhaft an Land lebende Tier der Antarktis? "Dauerhaft" fallen Pinguine, Robben und brütende Vögel aus der Liste. Somit geht der Titel an ein unscheinbares, einen halben Zentimeter großes Tier.
Nämlich an das einzige Insekt auf diesem Kontinent: "Belgica antartica" wurde im 19. Jahrhundert erstmals von belgischen Naturforschern entdeckt. Schon sie mögen sich darüber gewundert haben, wie es die Zuckmücke schafft, mit den ausgesprochen unangenehmen Bedingungen auf der südlichsten Landmasse der Erde fertig zu werden.
Die Studie
"Compact genome of the Antarctic midge is likely an adaptation to an extreme Environment", Nature Communications (12.8.2014; doi: 10.1038/ncomms5611).

Richard E. Lee Jr
Dass es auf Antarktika kalt ist, dürfte hinlänglich bekannt sein, aber es ist hier mitunter auch extrem trocken, die UV-Strahlung ist intensiv und das Salz des Meerwassers macht das Überleben an diesem Ort nicht gerade einfacher. Dennoch, all diese Stressfaktoren sind für die kleine Mücke offenbar kein Problem.
Genetischer Ballast abgeworfen

Richard E. Lee Jr
Nicht besonders schön - aber besonders robust: Zuckmückenlarven
Grund genug, in ihrem Erbgut nach Spuren dieser Anpassungen zu suchen. Fündig sind nun Forscher um David Denlinger geworden. Wie der Biologe von der Stanford University im Fachblatt "Nature Communications" berichtet, ist das Genom der Mücke mit knapp 100 Megabasen das bisher kleinste, das man in der Gruppe der Insekten gefunden hat. Die Zuckmücke "hat ihr Erbgut wirklich bis auf das absolute Minimum reduziert", sagt Denlinger.
Soll heißen: Aller Ballast, der sich normalerweise im Erbgut ansammelt, wurde abgeworfen. Ob es sich dabei um "Junk DNA" handelt, wie das mitunter despektierlich ausgedrückt wird, oder einfach nur um genetische Pufferzonen, die in anderen Lebensumständen durchaus nützlich sein könnten, bleibt offen.
Denlinger jedenfalls glaubt, dass die Genomschrumpfung ursächlich mit der extremen Lebensweise zusammenhängt. Sollte das zutreffen, müsste das auch für andere, besonders widerstandsfähige Lebewesen gelten: "Es wäre interessant zu wissen, ob auch Zecken und Milben auf Antarktika ein ähnlich kleines Erbgut besitzen. Wir wissen es nicht", sagt Denlinger.
Trockenheit: "Mücken sehen aus wie Rosinen"
Die Kleinheit des Mückenerbguts bedeutet im Übrigen nicht, dass es wenig zu bieten hätte. "Belgica antartica" besitzt mit mehr als 13.000 Genen ebenso viele Erbfaktoren wie "normale" Vertreter der Insekten. Offenbar ist nur die Architektur des Genoms schlicht gehalten, nicht aber der Inhalt. Hier finden sich viele Gene, die man auch von anderen Organismen kennt.
Beispielsweise Hitzeschockproteine - sie schützen vor hohen Temperaturen, erweisen sich aber auch bei Strahlenbelastung, Kälte und anderen widrigen Einflüssen als nützlich. Möglicherweise besteht der besondere Trick der Zuckmücke darin, solche genetischen Schutzschalter nicht nur im Bedarfsfall, sondern dauerhaft eingeschaltet zu lassen. Im Fall der Hitzeschockproteine wurde das bereits nachgewiesen. Auch von Fischen im Eismeer weiß man, dass sie eine ähnliche Strategie verfolgen.
Eindrucksvoll bleibt die Widerstandsfähigkeit von "Belgica antartica" dennoch. Was etwa Dehydrierung betrifft, ist die Zuckmücke im Reich der Insekten ohne Konkurrenz. Sie kann ihren Wassergehalt um bis zu 70 Prozent reduzieren ohne dadurch nennenswerten Schaden zu nehmen. "Dann sehen die Mücken aus wie kleine Rosinen", sagt Denlinger. "Gibt man Wasser hinzu, quellen sie auf und leben munter weiter, als wäre nichts gewesen."
Robert Czepel, science.ORF.at
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