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Dämmerung: Ein Soldat steht auf einem Panzer

Naher Osten: Kein Frieden in Sicht

Drei Konfliktherde sind Thema eines Gastbeitrages der Nahostexpertin Gudrun Harrer. Im Iran, in Syrien sowie in Israel und Palästina sind in jüngster Zeit Friedensbemühungen unternommen worden - bisher vergeblich. Die Bilanz, schreibt sie, sehe verheerend aus.

Forum Alpbach 16.08.2014

Weichenstellungen im Nahen Osten

Von Gudrun Harrer

Gudrun Harrer

Manfred Weis

Zur Autorin

Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin der Tageszeitung "Der Standard" und Lehrbeauftragte für Moderne Geschichte und Politik des Nahen Ostens an der Universität Wien und an der Diplomatischen Akademie Wien.

Sie studierte Arabistik, Turkologie, Islamwissenschaften und Politikwissenschaften an der Universität Wien. 2006 war sie Sondergesandte des österreichischen EU-Vorsitzes im Irak und Geschäftsträgerin der Österreichischen Botschaft Bagdad.

Ihr letztes Buch "Dismantling the Iraqi Nuclear Programme" erschien 2014 bei Routledge, im September kommt bei Kremayr & Scheriau der Band "Nahöstlicher Irrgarten" heraus.

Seminare beim Forum Alpbach:

Im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach leitet Renate Kicker mit vier weiteren Außenpolitikexperten das Seminar "Europa und seine Nachbarn – EU-Außenbeziehungen im Umbruch?". science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor - bisher erschienen:

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Ö1 Hinweise:

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2014 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.

Mitglieder des Ö1 Club erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent

Abseits der Frage nach der politischen Korrektheit, von einer zentralistischen europäischen Perspektive aus gesehen, hat der Begriff "Naher Osten" eine zutreffende Botschaft: Jerusalem, Damaskus, Bagdad, aber auch noch Teheran, das sind alles Städte, die von Europa in einigen Stunden zu erreichen sind, Hinterland des "mare nostrum". Und der Zustand dieser Region spiegelt sich täglich in den Tragödien auf eben diesem Mittelmeer wider, erstmals kommen mehr Flüchtlinge aus Syrien mit seiner relativ geringen Einwohnerzahl als aus Afrika. Der Nahe Osten ist uns nicht nur nahe, er geht uns auch nahe.

Die Behauptung, ein Jahr im Kalender wäre entscheidender für das Schicksal einer Region als ein anderes, ist mehr als angreifbar. Aber 2014 ist tatsächlich ein spezielles Jahr insofern, als in drei Konflikten konkrete Lösungsversuche stattgefunden haben (und noch stattfinden), deren Resultate, positiv oder negativ, Weichenstellungen für die Zukunft bedeuten.

Verhandelt wurden 1. ein politischer Kompromiss im Bürgerkrieg in Syrien, 2. eine Zweistaatenlösung für Israel und Palästina, 3. die Beilegung des Atomstreits zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft. Diese drei Punkte decken sich mit den von US-Präsident Barack Obama genannten amerikanischen Prioritäten im Nahen Osten. Das heißt, es geht auch um Erfolg oder Misserfolg der US-Nahostpolitik – aber auch der europäischen.

Denn nach der Überwindung der schweren transatlantischen – und innereuropäischen – Spaltung anlässlich der US-geführten Irak-Invasion im Jahr 2003 haben sich vermehrt gemeinsame Ansätze zwischen USA und der EU im Nahen Osten entwickelt. Das eindrücklichste Beispiel dafür ist das Format der Iran-Gespräche, bei denen die EU-Außenpolitikbeauftragte Catherine Ashton die Verhandlungen für die fünf Uno-Vetomächte und Deutschland führt.

Enttäuschte Hoffnungen

Es ist nun über die Halbzeit in diesem entscheidenden Jahr, und die Zwischenbilanz sieht verheerend aus. Bei keinem der drei Konfliktlösungsversuche liegt ein Durchbruch auf dem Tisch, zwei können als einstweilen erfolglos abgeschlossen gelten, und die Hoffnungen auf eine Lösung des Atomstreits mit dem Iran sind nur durch geborgte Zeit intakt: Die Verhandlungen wurden bis Ende November verlängert.

Darüber hinaus ist 2014 im Nahen Osten zum Jahr des Vormarsches einer jihadistischen Organisation, des "Islamischen Staats", geworden, die in Syrien und im Irak – wie gesagt, ein paar Flugstunden von Europa entfernt – Territorium kontrolliert und administriert. Ganz wie in Afghanistan Mitte der 1990er Jahre ist das nur möglich, weil Teile einer erschöpften und der Zentrale politisch entfremdeten Bevölkerung die neue Ordnungsmacht akzeptieren, zumindest anfänglich. Ganz offensichtlich ist das im Irak: Dort ist es dem "Islamischen Staat" gelungen, einen sunnitischen Aufstand gegen die Regierung in Bagdad zu usurpieren.

Zu den drei Initiativen zur Konfliktlösung:

Syrien: Staatenordnung in Auflösung

Bereits zu Beginn des Jahres fand unter dem Titel "Genf 2" der Versuch statt, das syrische Regime und die syrische Opposition zu einer verhandelten Übergangslösung zu bringen. Genf 2 stand unter der gemeinsamen Ägide der USA und Russlands, und obwohl Differenzen über so wichtige Details wie die politische Zukunft von Präsident Bashar al-Assad und die Rolle des Iran bestanden, gab es Anlass zur Hoffnung: Der Wille in Washington und in Moskau würde die beiden Seiten in einen Kompromiss zwingen.

Aber dieser Wille schwand mit Ausbruch und Verhärtung des Konflikts in der Ukraine. Genf 2 wurde ergebnislos abgebrochen, von einem Genf 3 ist nicht die Rede. Was sich im Jahr 2012, als der Aufstand in Syrien an Schwung gewann, niemand vorstellen konnte, wurde 2014 Realität: Assad betrachtet sich durch die Anfang Juni abgehaltenen Präsidentschaftswahlen, auch wenn sie nicht international anerkannt sind, als neu legitimiert. Einen kurzfristig bevorstehenden Regimewechsel in Syrien erwartet im Sommer 2014 niemand mehr.

Da das Regime jedoch die Kontrolle über einen Teil des syrischen Staatsterritoriums verloren hat und in absehbarer Zeit nicht mehr erlangen wird, wird damit der Zerfall Syriens zementiert. Die Jihadisten des "Islamischen Staats" beherrschen ein Gebiet über die syrisch-irakische Grenze hinweg, die syrischen Kurden verwalten sich selbst, die irakischen Kurden sind auf dem Sprung, ihre Autonomie in eine Unabhängigkeit zu verwandeln.

Während wir in Europa des Beginns des Ersten Weltkriegs gedenken, beginnt sich die nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches entstandene – oder besser, von den Europäern kreierte – Staatenordnung aufzulösen. Man würde das vielleicht nicht übermäßig bedauern, wenn diese Transformationen nicht so viel Gewalt und Leid für die betroffenen Bevölkerungen mit sich bringen würden.

Israel/Palästina: Neue Intifada?

Von manchen Experten und Politikern wurde die von Außenminister John Kerry getragene und im Frühjahr gescheiterte Initiative der US-Regierung, auf dem Verhandlungsweg einen Palästinenserstaat zu etablieren, als die letzte Chance gesehen. Denn das Fenster für eine Zweistaatenlösung schließt sich, die jüdische Besiedlung des Westjordanlands, die einen Staat, der diesen Namen verdient, bald unmöglich machen wird, schreitet fort.

Die Erwartung einiger, dass sich Obama nach den Midterm-Wahlen – nach denen er in seiner Präsidentschaft keine Wahlen mehr zu schlagen hat – noch einmal engagiert, ist durch den Gaza-Krieg noch geringer geworden.

Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinenserführung sind schon öfter gescheitert, neu ist die Befürchtung, dass der Status quo – die Verwaltung des Westjordanlands durch eine von der EU und den USA abhängige, schwache Palästinenserbehörde – vielleicht nicht mehr lange aufrechtzuerhalten sein wird.

Was danach kommt, kann niemand sagen: eine neue Intifada, womöglich mit israelischer Wiederbesetzung der heute selbstverwalteten Gebiete, was außer dem Leid für die Betroffenen auch genau die Anfrage an die israelische Demokratie bringen würde, die die israelische Linke Anfang der 1990er Jahre dazu veranlasste, Verhandlungen mit den Palästinensern aufzunehmen: Wie sähe ein binationaler Staat Israel aus? Wie Südafrika zu Zeiten der Apartheid, oder würde Israel eine Demokratie mit einer arabischen Mehrheit werden, mit allen Folgen für den jüdischen Staat?

Iran/Atom: Machtkampf mit Saudis

Die von den USA betriebene Wiederaufnahme der Verhandlungen über das Atomprogramm des Iran – und zwar mit völlig neuen Parametern, die sogar die den Iran betreffenden UNO-Sicherheitsratsresolutionen mit ihrem Ruf nach einem sofortigen Stopp der Uran-Anreicherung ignorieren – zeigt, wie sehr sich die Region verändert hat. Das erklärte Verhandlungsziel ist, eine iranische Atombombe zu verhindern, und dafür, dass sich der Iran klaren Beschränkungen und Kontrollen unterwirft, ist man bereit, ihm das prinzipielle Recht auf Urananreicherung und die Herstellung seines eigenen nuklearen Brennstoff zuzugestehen.

Aber es geht um viel mehr: um den Versuch, den seit der Islamischen Revolution 1979 andauernden Konflikt mit dem Iran zu beenden, um den Preis, dass man dem Iran seine regionale Rolle zugesteht – zu deren Stärkung die US-Regierung von George W. Bush durch die Irak-Invasion 2003 entscheidend beigetragen hat.

Die Iran-Verhandlungen in dieser Form sind nicht zuletzt eine Folge des Verlaufs des Kriegs in Syrien, wo längst nicht mehr das Assad-Regime, sondern die Jihadisten als der gefährlichste Feind des Westens angesehen werden. Auf dem syrischen Schlachtfeld wird jedoch auch ein iranisch-saudischer Stellvertreterkrieg ausgetragen:

Deshalb sehen Saudi-Arabien und seine Klienten jeden Normalisierungsversuch der USA und des Westens mit dem Iran als Parteinahme, nicht nur in Syrien, sondern in der gesamten hegemonialen Auseinandersetzung zwischen dem Schiitenstaat und dem wahhabitischen Königreich Saudi-Arabien.

Sie hat viele Schauplätze, vom Aufstand der zaiditischen Houthis im Jemen über Bahrain, den Irak, bis in den Libanon. Neben Israel ist es deshalb Saudi-Arabien, das die Iran-Verhandlungen mit der größten Skepsis verfolgt. Aber wenn sie scheitern, dann ist auf lange Zeit die Chance vertan, das iranische Atomprogramm unter Kontrolle zu halten. Das Wunschziel ist eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten, die neue Realität könnte ein nukleares Wettrüsten sein.

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