Auch Geld alleine werde die Situation nicht verbessern. Notwendig ist laut Liu eine massive und international koordinierte Mobilisierung der Hilfsmaßnahmen.
Wie die Ebola-Epidemie eingedämmt werden könnte
Von Joanne Liu, Ärzte ohne Grenzen
Ganze Familien werden ausgelöscht. Gesundheitspersonal stirbt dutzendweise. Die derzeit in Guinea, Liberia und Sierra Leone grassierende Ebola-Epidemie hat bereits mehr Menschen getötet als jede davor und breitet sich weiter unvermindert aus. Die Zahl der Todesopfer erhöht sich durch eine weitere Katastrophe, die zur eigentlichen Katastrophe noch hinzukommt.

P.K. Lee/MSF
Joanne Liu - im Bild links mit einer Mitarbeiterin in Kailahun, Sierra Leone - ist die internationale Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen (Medecins Sans Frontieres, MSF). Ihr Artikel ist vor kurzem auf Englisch auf der Website von "Time" erschienen.
Die Menschen sterben auch an leicht zu verhindernden und behandelbaren Krankheiten wie Malaria und Durchfallerkrankungen, da aus Angst vor Verseuchung medizinische Einrichtungen geschlossen haben. Das führt zum nachhaltigen Zusammenbruch der Gesundheitssysteme. Während ich in Liberia war, haben sechs schwangere Frauen im Laufe eines einzigen Tages ihre Babys verloren, da kein Krankenhaus sie aufnehmen und ihre Komplikationen behandeln wollte.
Mehr Personal notwendig
In den vergangenen Wochen wurden begrüßenswerte Schritte unternommen, aber das ist nicht genug: Über 1.500 Menschenleben hat die Epidemie bisher gefordert. Um weitere Todesfälle zu verhindern, müssen die angekündigten Initiativen in den betroffenen Gebieten sofort und effizient umgesetzt werden.
Wir brauchen mehr medizinisches Personal und Helfer mit Katastropheneinsatzerfahrung, die weitere Infizierte ausfindig machen, die Bevölkerung über Schutzmaßnahmen informieren und in den Behandlungszentren arbeiten. Es braucht viel mehr Personal an Ort und Stelle - und das sofort.
Spendenkonto:
Spenden für den Ebola-Einsatz an: Erste Bank, AT43 2011 1289 2684 7600, Spendenzweck: Ebola.
Links:
Ö1 Sendungshinweis:
Über die aktuelle Ebola-Epidemie berichten laufend die Ö1-Journale sowie "Wissen aktuell".
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen (Medecins Sans Frontieres, MSF) haben in Guinea, Sierra Leone und Liberia über 900 Patienten behandelt. Wir haben derzeit 1.984 Mitarbeiter in diesen Ländern und gerade ein 120-Betten-Behandlungszentrum in der liberianischen Hauptstadt Monrovia eröffnet, das bei weitem das größte Ebola-Behandlungszentrum in der Geschichte ist. Aber es ist bereits überfüllt, und wir haben schlicht keine zusätzlichen Kapazitäten mehr. Nun müssen andere einspringen.
Allgegenwärtige Angst
In Kailahun in Sierra Leone müssen 2.000 Personen, die mit Ebola-Patienten Kontakt hatten, dringend weiter beobachtet werden. Wir konnten aber bisher nur mit etwa 200 von ihnen Kontakt aufnehmen. Ebola-Informationskampagnen und die Bergung der Toten werden ausgesetzt, weil es zu wenig Fahrzeuge und Benzin gibt. Epidemiologen können nicht arbeiten, weil es ihnen an logistischer Unterstützung fehlt. Zusätzlich führte die allgegenwärtige Angst in Dörfern, in denen Ebola noch nie aufgetreten ist, zu Aufständen gegen Gesundheitspersonal.
Die Epidemie kann ohne massiven Einsatz an Ort und Stelle nicht eingedämmt werden. Vor allem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) muss sich der Herausforderung stellen. Regierungen mit den nötigen medizinischen und logistischen Ressourcen müssen mehr tun, als nur Gelder zuzusagen und sofort Experten für Infektionskrankheiten und Katastrophenhelfer in die Region entsenden.
Ausgangssperren helfen nicht
Zusätzliche Ressourcen sind nötig, um die weitere Entwicklung der Epidemie abbilden zu können, wirksame Hygienemaßnahmen an allen medizinischen und öffentlichen Orten durchzuführen, sichere Behandlungszentren zu betreiben, Verdachtsfälle zurückzuverfolgen, Gesundheitspersonal auszubilden, funktionierende Warnsysteme und Überweisungsmechanismen einzuführen und um - ganz wesentlich - präzise Informationen darüber zu verbreiten, wie sich die Menschen vor einer Infektion schützen können.
Ebenso wichtig ist es, die Angst in der Bevölkerung zu bekämpfen. Quarantänen und Ausgangssperren verstärken diese nur. Die Menschen brauchen Zugang zu Information, sonst wird das Misstrauen des Gesundheitspersonals nur verstärkt und weitere Gewalt provoziert. Gemeinden und Regierungen müssen zusammenarbeiten, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen und die Kranken zu versorgen.
Außerdem muss im Kampf gegen Ebola ein gewisses Maß an Menschlichkeit wiederhergestellt werden. Da es keine verfügbare Therapie gegen Ebola gibt und aufgrund der hohen Anzahl von Infizierten können wir als Ärzte kaum mehr als palliative Pflege anbieten. Die extremen Schutzmaßnahmen für Gesundheitspersonal wie das Tragen erstickend heißer Schutzanzüge bedeuten auch, dass wir nicht am Krankenbett der Patienten bleiben und so ihr Leid lindern oder das den Familienmitgliedern erlauben können. Viele Menschen sind daher in ihren letzten Stunden allein.
Kreative Lösungen für Menschlichkeit
Unsere Teams bemühen sich um kreative Lösungen, damit die Familien mit ihren kranken Angehörigen kommunizieren können. Sie sollten zumindest so weit unterstützt werden, dass sie sicher an den Beerdigungen ihrer Liebsten teilnehmen können. Das würde auch dazu beitragen, das Vertrauen zwischen der Bevölkerung und den Helfern wiederherzustellen.
Gleichzeitig sind zusätzliche Hilfsanstrengungen notwendig, um zu verhindern, dass die Gesundheitssysteme in Liberia und Sierra Leone noch weiter zusammenbrechen. Nach Jahren des Bürgerkriegs kämpfen diese Länder bereits genug damit, eine medizinische Basisversorgung zu gewährleisten. Wie sollen sie nun alleine mit einem öffentlichen Notstand dieser Größenordnung fertig werden? Sierra Leone und Liberia zum Bespiel haben jeweils nur 0,2 bzw. 0,1 Ärzte für 10.000 Menschen zur Verfügung. Diese Rate ist 240-mal geringer als jene in den USA.
Mehr Kapazitäten statt Grenzen schließen
Vorvergangene Woche waren plötzlich alle Spitäler Monrovias geschlossen. Derzeit gibt es keine chirurgische Versorgung im ganzen Land. Schwangere Frauen bekommen keine Kaiserschnitte. Die Gesundheitseinrichtungen müssen wieder öffnen oder neue müssen errichtet werden, wo gängige Krankheiten behandelt werden. Sonst sind wir mit einer zweiten Welle in dieser medizinischen Katastrophe konfrontiert.
Die Eindämmung und Beendigung dieser Epidemie erfordert viel mehr als nur Geld und Erklärungen. Der einzige Weg ist eine Erhöhung der Kapazitäten in den betroffenen Gebieten und nicht das Schließen von Grenzen oder die Einstellung des Flugverkehrs. Wenn wir nicht noch wochenlang weiterhin nur die Toten zählen wollen - ob aufgrund von Ebola oder weit weniger dramatischen Erkrankungen -, ist eine massive und koordinierte Mobilisierung von Hilfe notwendig.
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