Dieser globalen Dimension geht eine Konferenz nach, die am Donnerstag an einem historischen Ort eröffnet wird: im Kongresssaal des Bundeskanzleramtes, wo schon der Wiener Kongress tagte.
Die globale Dimension des Wiener Kongresses
Von Christian Cwik

Christian Cwik
Christian Cwik, Jahrgang 1970, hat Geschichte und Philosophie an der Universität Wien studiert. Er ist Lektor an den Universitäten Wien, Dresden und Graz und unterrichtet seit 2008 als Dozent an der Universität zu Köln. 2013 wurde er als Professor für Atlantische und europäische Geschichte an die University of the West Indies in Trinidad and Tobago berufen.
Die Konferenz:
"Der Wiener Kongress und seine globale Dimension, XI. International ADHILAC conference commemorating the bicentenary of the Congress of Vienna 1814 - 15", 18. bis 22. September 2014, Universität Wien
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Am 18. September jährt sich zum 200. Mal die Eröffnung des Wiener Kongresses von 1814/15. Der Einladung des österreichischen Staatkanzlers Fürst Klemens Metternich in das teilweise als Folge der napoleonischen Kriege noch immer zerstörte Wien waren Delegierte aus über 300 "Staaten" gefolgt.
Im Kongresssaal der Geheimen Hofkanzlei, heute Bundeskanzleramt, begannen jene neunmonatigen Verhandlungen, die letztlich eine neue Weltordnung schufen, deren Folgen bis heute noch immer spürbar sind.
Die Veranstalter der internationalen Konferenz "Der Wiener Kongress und seine globale Dimension" wollen vor allem das enge Korsett der europäischen Historiografie über den Wiener Kongress aufschnüren und die Entscheidungen der Kongresstätigkeit von 1814 bis 1822 aus globalgeschichtlicher Perspektive analysieren.
Koloniale Expansion Europas nach Übersee
Dass es hier viel aufzuarbeiten gibt, lässt bereits ein kurzer Blick auf das Zeitalter des Wiener Kongresses vermuten. Die sechs Koalitionskriege, die von 1792 bis 1815 geführt wurden, breiteten sich rasch über den gesamten Erdball aus. Die globale Dimension des Krieges verwundert nicht, betrachtet man die koloniale Expansion Europas nach Übersee in der Epoche des Merkantilismus.
Das revolutionäre Frankreich sah sich nicht nur in Europa einer Übermacht gegenüber, sondern auch in Asien, den Amerikas und in Afrika, wobei der britischen Seestreitmacht eine besondere Bedeutung zukam. Doch der französische Sieg über die Niederlande 1794 und Spanien 1795 veränderte die Bündnisstruktur in Übersee zugunsten Frankreichs. Die Freundschaft zu den USA, die König Ludwig XVI. im Krieg gegen die Briten mit großem Erfolg unterstützt hatte, verunsicherte das ohnehin angeschlagene Großbritannien.
London war seit dem Verlust seiner 14 Kolonien in Nordamerika im Jahre 1783 auf ständiger Suche nach neuen Kolonien, schließlich sollten die wirtschaftlichen Einbußen rasch kompensiert werden.

gemeinfrei/Wikimedia
Kein Zurück vor die Revolutionen
Um ein Übergreifen der Revolution auf die französischen, niederländischen und spanischen Kolonien zu verhindern, besetzte Großbritannien zahlreiche Kolonien in den Amerikas, Asien und Afrika. Die enormen territorialen Veränderungen wurden zum Gegenstand der Verhandlungen in Wien. Manche davon sind bis heute heftig umstritten, wie etwa der spanisch-portugiesische Grenzstreit um die Provinz Olivenca.
Das eherne Ziel, zur Ordnung von vor 1792 zurückzukehren, gelang vielerorts nicht. 23 Jahre "französische und amerikanische Revolution" hatten die Welt auch kulturell verändert. Die durch die Französische Revolution und ihre Verbündeten zu Ungunsten der Koalition geschlossenen Verträge, wie beispielsweise der Verkauf Louisianas im Jahre 1803, sollten wieder rückgängig gemacht werden, woran der Wiener Kongress und alle anderen Konferenzen des Vienna Systems (1815 - 1853) jedoch scheiterten.
Entgegen den Zielsetzungen der Siegermächte handelte Großbritannien, das sich nicht mehr von seinen besetzten Gebieten in Übersee trennen wollte. Von den treuhändig übergebenen Gebieten im Pazifik (Indonesien) in Asien (Indien und Südostasien) und in den Amerikas (Trinidad, Guyanas, diverse karibische Inseln) versprach sich London die erhoffte Kompensation für den Verlust in Nordamerika.
Der neuerliche Versuch, die abtrünnigen Kolonien in Nordamerika zurückzuerobern, war soeben gescheitert (Krieg von 1812 bis 1815) womit andere Weltregionen immer stärker in den Fokus des neuen britischen Imperialismus gerieten.

Österreichische Nationalbibliothek
Keine Zeit des Friedens
Eine neue Gefahr drohte den europäischen Großmächten durch die antispanischen Unabhängigkeitskriege, die in Hispanoamerika zu zehn Jahren brutalem Krieg mit rund einer Million Toten und ebenso vielen Verwundeten führten. Auch in Brasilien schien die Situation militärisch ab 1815 zu eskalieren.
Nach der Gründung des Königreichs Brasilien 1815 als Folge des Wiener Kongresses überfielen die Truppen des portugiesischen Königs Joao VI. - er war mit britischer Hilfe vor den napoleonischen Truppen 1807/08 von Lissabon nach Rio de Janeiro geflohen - die Provinzen Banda Oriental (heute Uruguay) und Mesopotamia (heute Argentinien und Brasilien), und König Joao gründete die Provinz Cisplatina. In all diesen militärischen Auseinandersetzungen in den Amerikas kämpften Tausende europäische Söldner, von denen die meisten Veteranen aus den Koalitionskriegen waren.
Vom Beginn einer Friedenszeit als Konsequenz des Wiener Kongresses kann mit Verweis auf die Situation in den Amerikas also sicherlich nicht gesprochen werden, doch auch ein Blick auf Europa sowie die anderen Kontinente erschüttert die gängige Lehrmeinung von der einzigartigen Friedensperiode, wie sie etwa Henry A. Kissinger in seiner 1957 publizierten Dissertation "A World restored. Metternich, Castlereagh, and the Problems of Peace 1812-1822" beschworen hat.

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Revolutionen und Konterrevolutionen
Die von der Vereinigung lateinamerikanischer und karibischer HistorikerInnen (ADHILAC) gemeinsam mit der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien veranstaltete internationale Konferenz möchte zunächst die Situation vor dem Ausbruch der Koalitionskriege in den Amerikas beschreiben und danach auf die territorialen Veränderungen in den Koalitionskriegen (Napoleonischen Kriegen) näher eingehen, um schließlich im Jahr 1814 anzukommen.
Es soll damit jene politische und territoriale Realität erfasst werden, wie sie sich den Delegierten auf dem Wiener Kongress darbot, als sie am 18. September 1814 ihre Verhandlungen aufnahmen. Im Zentrum der Fragestellungen stehen die reziproken Auswirkungen von atlantischen Revolutionen und Restaurationen (Konterrevolutionen) sowie der Unabhängigkeitserklärungen und damit verbundenen Unabhängigkeitskriege in den Amerikas auf den Wiener Kongress und vice versa.
Perspektivisch knüpft der Beitrag an die Forschungen des deutschen Historikers Manfred Kossok (1930 - 1993) an, dem es 1964 gelang, die sogenannte Südamerikafrage aus den Kongressakten zu synthetisieren.
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