Standort: science.ORF.at / Meldung: "Freuds Stimme kehrt zurück"

Porträtfoto von Sigmund Freud

Freuds Stimme kehrt zurück

Am 23. September 1938 ist Sigmund Freud in London gestorben, nachdem er zuvor von den Nazis aus Wien vertrieben wurde. 75 Jahre später erklingt seine Stimme erneut in der Berggasse 19. In jenem Haus, in dem er 40 Jahre lebte und wirkte, befindet sich heute das Sigmund Freud Museum - zum 75. Todestag gibt es dort eine Klanginstallation.

75. Todestag 22.09.2014

Die neue Direktorin Monika Pessler spricht in einem Interview über Freuds Todestag, seine Vertreibung und über die geplante Neuausrichtung des Museums.

science.ORF.at: Bevor Sigmund Freud am 23. September 1939 starb, kam es zu einem Interview, welches die einzige Tonaufnahme von Sigmund Freud darstellt. Wenn Sie die Aufnahme hören, was für ein Eindruck entsteht bei Ihnen?

Porträtfoto von Monika Pessler, der Direktorin des Sigmund Freud Museums

Sigmund Freud Privatstiftung/Nathan Murrell

Monika Pessler ist seit 1. Jänner 2014 Direktorin des Sigmund Freud Museums
hat Kunstgeschichte in Graz und die Ausbildung zur Museums- und Ausstellungskuratorin an der Donau-Universität Krems absolvierte. 2014 Abschluss des Masterstudiums "Organisationsentwicklung/Organisationen beraten" am Institut für Fortbildung und Forschung (IFF) an der Alpen Adria Universität Klagenfurt. 2003 übernahm Pessler die Direktion der Österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, die sie nach zehn Jahren abgab, um die Position im Sigmund Freud Museum zu übernehmen.

Sigmund Freud im Orientexpress bei der Abreise ins Exil, Wien Westbahnhof 1938

Sigmund Freud Privatstiftung

Sigmund Freud im Orientexpress bei der Abreise ins Exil, Wien Westbahnhof 1938

Links:

Monika Pessler: Als diese Aufnahme im Dezember 1938 entstand, befand sich Freud bereits in London. Ein halbes Jahr zuvor ist er von Wien dorthin ins Exil geflohen, nachdem Österreich dem NS-Deutschland beigetreten war. Freud hatte zuvor in Wien mehr als 40 Jahre gelebt und gewirkt. Nach meinem Erachten spürt man in seiner Stimme einen Schmerz. Dieser Schmerz rührt einerseits von seinem Kieferkrebsleiden her, das ihn über 30 Operationen kostete und das Sprechen erschwerte. Andererseits kommt dem Schmerz in seiner Stimme noch eine weitere Bedeutungsebene hinzu.

… und zwar?

Am Ende der Aufnahme fällt er vom Englischen ins Deutsche und sagt: "Im Alter von 82 Jahren verließ ich infolge der deutschen Invasion mein Heim in Wien und kam nach England, wo ich mein Leben in Freiheit zu enden hoffe." Diesen großen Wunsch, in Freiheit zu sterben, schrieb er bereits Monate vor der Flucht seinem Sohn Martin. Mich persönlich trifft diese Stelle - nicht nur als Direktorin, sondern auch als Österreicherin: Sie erinnert an die Involviertheit der Österreicher; wir waren es, die dem Anschluss an das NS-Deutschland zugestimmt haben.

Der Wechsel in der Sprache erweckt den Eindruck, als wollte Freud sicherstellen, dass gerade dieser Satz auch von jenen verstanden wird, die kein Englisch konnten.

Durchaus - wobei ich nicht glaube, dass dieser Sprachwechsel bewusst intendiert war. Es liegt nahe, dass es sich dabei um eine Botschaft in Richtung Österreich handelte. Eine solche Geste korrespondiert auch mit der letzten Fotografie am Westbahnhof (siehe Bild links). Er steht dort mit seiner Tochter Anna im Orientexpress, und schaut kurz vor der Abreise ins Exil aus dem Fenster. Dabei zeigt er mit dem Finger auf jemanden, der sich von ihm verabschiedet und auf der Plattform steht. Das ist eine anklagende Geste, sozusagen das visualisierte Pendant zum deutschen Satz auf der Tonbandaufnahme der BBC.

Zu Freuds Todestag werden sie diese Tonaufnahme im Stiegenhaus des Museums erklingen lassen - warum?

Peter Nömaier, der kaufmännische Leiter, und ich wollen uns damit von den anderen Gedenkfeierlichkeiten abgrenzen und der Stimme Freuds den Vorzug geben - und zwar für jeden zugänglich, auch ohne Museumskarte. Wir wollen so die Institution selbst, und alle, die für die Vermittlung seiner Inhalte sich bisher so wortreich engagierten, einmal in Schweigen hüllen. Zudem verdecken wir das große Museumsschild vor dem Haus, auf welchem sein Name steht und das ein sehr sichtbares Kennzeichen dieses Hauses und Ortes ist.

Sozusagen mit stummer Stimme ein Zeichen setzen?

So kann man das ausdrücken. Dieses Zeichen hat mit dem Verschwinden zu tun und damit auch mit einem Thema, das sich mir in meiner Funktion als Direktorin zur Aufgabe stellt: ein Museum zu leiten, das eigentlich ein Museum des Verlustes ist. Wichtige Gegenstände, wie die Couch zum Beispiel befinden sich aufgrund der Vertreibung im Freud Museum in London. Auf der schwarzen Verhüllung vor dem Haus ist Freuds Zitat: "Si vis vitam, para mortem - Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein" zu lesen. Das verweist auf Freuds kulturhistorische Schriften und seine Auseinandersetzung mit Themen wie "Krieg" und "Tod".

Neben Sigmund Freud flüchteten auch zahlreiche weitere Analytiker. Die Psychoanalyse wurde dann vor allem in den USA und England weiterentwickelt. Welche Auswirkungen hatte die erzwungene Emigration auf die Landschaft der Psychoanalyse in Österreich?

Historiker und Psychoanalytikerinnen sind hier berufener, diese Frage genau einzuschätzen. Dennoch denke ich, dass dieser Verlust nachhaltig bis heute wirkt. Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit haben die Entwicklung der Psychoanalyse in Österreich bis in die 80er Jahre schwer beeinträchtigt. Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass durch die Nazi-Herrschaft an die 80 Psychoanalytiker bzw. Psychoanalytikerinnen zur Emigration gezwungen waren. Dass Freud nach London ging, lag wahrscheinlich auch daran, dass sich zu jener Zeit dort schon ein internationales Zentrum der Psychoanalyse auszubilden begann.

Aus dem Erbe Freuds haben sich sehr unterschiedliche Strömungen entwickelt, die sich voneinander abgrenzen. Welche Rolle spielt das Freud Museum in dieser Auseinandersetzung innerhalb der Psychoanalyse?

Das Museum ist ein Ort, der ein kulturelles Erbe pflegt. Ich denke, dass er sich daher sehr gut als Treffpunkt der verschiedenen Strömungen eignet. Hier können sie zu ihrem Ursprung zurückkehren, um die neusten Tendenzen zu verhandeln. Als Direktorin des Sigmund Freud Museums sehe ich eine meiner Aufgaben darin, eine neutrale Plattform zu bilden und den verschiedenen Entwicklungssträngen der Psychoanalyse Raum zu bieten. Es geht dabei darum, ein Kommunikationsforum und eine Vernetzungsstelle zu bilden, die auch internationalen Austausch ermöglicht. Dadurch wird das Museum seiner Funktion als Kulturgut gerecht, das aktivierend auf die aktuellen Auseinandersetzungen innerhalb der Psychoanalyse und ihrer Nachbardisziplinen der Psychologie, Medizin und Kulturwissenschaften wirkt.

Sie sind seit Jänner 2014 im Amt. Gibt es einen langfristigen Kurs, den Sie als Direktorin des Freud Museums verfolgen wollen?

In den vergangenen 30 Jahren hat sich an der Präsentation, wie sie sich jetzt gestaltet kaum etwas geändert. Daher bemühe ich mich um eine Neuausrichtung. Ziel ist es, ein zeitgenössisches kulturhistorisches Museum zu erschaffen, das auch Platz für gegenwartsbezogene Projekte bietet.

Wie meinen Sie das genau?

Auf der einen Seite war das Haus Freuds Lebens- und Arbeitsraum für mehr als 40 Jahre. Das bedeutet, dass der Geschichte der Psychoanalyse und ihrem Ursprung mehr Raum gegeben werden muss: Die Psychologische Mittwochsgesellschaft ist hier zusammengetroffen und hat die Grundzüge der Psychoanalyse als Wissenschaft des Unbewussten begründet. Das bedeutet, dass hier auch ein Ort entstehen soll, an dem die Entwicklungsgeschichte der Psychoanalyse, aber auch ihre gegenwärtige Bedeutung für Individuum und Gesellschaft dargestellt werden. Andererseits ist die Berggasse 19 auch kennzeichnend für Vertreibung und Verlust von Kultur und Menschlichkeit – der Hinweis darauf gelangt in und durch die Räume der Berggasse 19 zur Darstellung.

Sie wollen das Haus also stärker 'aktualisieren'?

Ja, ich denke, dass es neben den historischen Ausstellungen auch Veranstaltungen geben wird, die auf aktuelle kultur- und sozialpolitische Themen eingehen. Damit wollen wir nicht nur den ausländischen Besuchern die kulturelle Wende, die das Werk von Sigmund Freud bewirkt hat, vermitteln, sondern auch die Österreicher immer wieder in dieses Haus bringen.

Es gibt auch ein Freud Museum in London. Gibt es hier Kooperationen?

Unser Schwesternhaus (lacht), wenn man das so sagen kann, ist die zweite Seite der Medaille. Es gab bereits Ideen, beide Häuser virtuell zusammen zu führen und den Betrachtern das gesamte Spektrum von Leben und Werk Sigmund Freuds zu vermitteln. Das geht eigentlich nur an zwei Orten: in Wien und in London. Das stellt eine Herausforderung dar, mit der sich sonst kein Museum auf der Welt konfrontiert sieht.

Sie haben von einer neutralen Plattform für die unterschiedlichen Schulen der Psychoanalyse gesprochen. Wie stehen Sie zu den wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Psychoanalytischen Akademie, der Sigmund-Freud-Universität oder der Universität Wien?

Ich bin mit den verschiedenen Repräsentanten dieser Einrichtungen seit Beginn meiner Tätigkeit in Kontakt. Allen diesen Parteien ist das Sigmund Freud Museum ein Anliegen und sie unterstützen es. Wichtig ist mir bei Gesprächen über mögliche Kooperationen, einen zukunftsorientierten Blick beizubehalten und vor allem sachbezogen auf einander zu zugehen. Es geht darum, zu untersuchen, welche Bereiche von welcher Institution bearbeitet werden und wo Synergieeffekte und Überschneidungen genutzt werden können. Das ist auch etwas, das bereits stattfindet.

So wie die Kooperation mit der Universität Wien betreffend der Sigmund-Freud-Vorlesung von Judith Butler?

Ja, das war eine sehr erfolgreiche Kooperation. Wir mussten noch während der Veranstaltung zusätzliche Hörsäle an der Universität Wien öffnen, da sehr viele Menschen Butler reden hören wollten.

Sie sind ausgebildete Kulturhistorikerin. Ist das ein Nachteil oder kommt Ihnen das bei ihrer Aufgabensetzung zu Gute?

Ich lerne noch (lacht). Ich denke, das tut man immer. Was die Psychoanalyse betrifft, bin ich keine Expertin auch wenn ich mich während meines Studiums mit Freud beschäftigte. Als Geisteswissenschaftlerin und Kunsttheoretikerin kommt man nicht um die psychoanalytische Kunsttheorie herum. Interesse war jedoch immer vorhanden, ich hatte zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn begonnen Medizin zu studieren und mich dabei mit Psychologie und Psychiatrie beschäftigt; dann jedoch der zeitgenössische Kunst den Vorzug gegeben.

Der Grund mich an dieses Haus zu holen, war sicherlich auch ein pragmatischer: Ich habe zehn Jahre lang eine Privatstiftung geleitet und bin an Organisationsentwicklung sehr interessiert. Dabei geht es für mich darum, eine kulturelle Institution im Hinblick auf die Öffentlichkeit, aber auch im Wechselspiel mit anderen Einrichtungen zu entwickeln. Ich habe tolle Mitarbeiter, die eine große Expertise in ihren Bereichen besitzen, den international besetzten wissenschaftlichen Bereit habe ich auch schon erwähnt. Ich denke, dass die Zeiten vorbei sind, wo man in der Funktion als Direktorin so tut, als würde man das ganze Wissen und Erfahrung allein für sich gepachtet haben.

Interview: Aaron Salzer, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: