Standort: science.ORF.at / Meldung: "Die Eigenverantwortung - ein Balanceakt"

Porträtfoto des Philosophen Konrad Paul Liessmann

Die Eigenverantwortung - ein Balanceakt

Universitäten und Unternehmen sollen in Dialog treten - das ist das Ziel des Forums "University meets Industry" der Universität Wien. Für beide wichtig ist die Verantwortung für das eigene Handeln. Oft sind aber andere Menschen oder Umstände verantwortlich - das Abwägen bleibe immer ein Balanceakt, meint der Philosoph Konrad Paul Liessmann.

Philosophie 25.09.2014

Auch wenn die Voraussetzungen für das eigene Tun sehr unterschiedlich sein können, "sind letztlich wir es, die handeln", meint Konrad Paul Liessmann im science.ORF.at-Interview.

Sie gelten nicht als Freund von leichtfertig verwendeten Begriffen wie "Wissensgesellschaft" oder "lebenslanges Lernen". Dennoch halten Sie bei der Jahrestagung von UniMind, das sich selbst als "Forum für lebenslanges Lernen und Wissenstransfer" bezeichnet, den Hauptvortrag - wie passt das zusammen?

University meets Industry:

"University meets Industry" ist eine Initiative des Postgraduate Center an der Universität Wien. Laut Eigenbeschreibung will es "dazu beitragen, Österreich zu einer noch fortschrittlicheren Wissensgesellschaft mit nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung, mehr und besseren Arbeitsplätzen und noch stärkerem sozialem Zusammenhalt zu entwickeln". Am 25.9. findet die Jahresveranstaltung zum Thema Eigenverantwortung statt.

Ö1 Sendungshinweise:

Dem Thema "Eigenverantwortung" widmet sich auch ein Beitrag in "Wissen Aktuell" am 25.09. um 13:55.
Dem Thema "Schuld und Sühne" widmet sich zudem das Salzburger Nachstudio am 24.09. um 21:00.

Konrad Paul Liessmann: Es stimmt, ich habe gegenüber Begriffen wie "lebenslangem Lernen" eine gewisse Skepsis - das klingt immer wie eine Verurteilung, und ich weiß nicht, ob das eine gute Assoziation ist. Aber klar ist, dass es eine Verbindung von Wissenschaft und Weiterbildung im Beruf geben muss und soll. Die Universität Wien hat verschiedene Angebote, Berufstätige wieder in Kontakt mit der Wissenschaft zu bringen, eine davon ist UniMind. Umgekehrt kann es für Wissenschaftler gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften interessant sein, auf Menschen mit bestimmten Berufserfahrungen zu treffen. In dem Sinne hab ich keine Probleme, mich im Bereich der Weiterbildung zu betätigen.

Das Jahresthema von UniMind lautet "Eigenverantwortung". Welchen Stellenwert hat Verantwortung im Aufeinandertreffen von Universitäten, Unternehmen und Gesellschaft?

Der Begriff zählt zu den umstrittensten der Gegenwart. Denn er stellt die Frage, in welchen Bereichen und mit welchen Möglichkeiten der Mensch Verantwortung für sein Handeln übernehmen kann. Das ist in Unternehmen genauso eine Frage wie an Universitäten. Wie sehr sind Unis für die Ausbildung ihrer Studierenden verantwortlich? Wie sehr müssen sie selbst initiativ sein und für das, was sie tun oder nicht tun, die Verantwortung übernehmen?

Das gleiche gilt für Unternehmen. Verantwortung steht auch hier immer im Spannungsfeld zwischen dem, wofür man selbst verantwortlich ist und wofür ein anderer. Ein anderer kann die Verantwortung für mein Handeln haben, wenn ich etwa Vorgaben erfülle, Standards gehorche oder weil etwa ein Betrieb schlecht gemanagt wurde. Oder ich kann selbst initiativ werden, aber dann muss ich auch die Verantwortung für die Folgen übernehmen, die sich daraus ergeben.

Im gesellschaftspolitischen Kontext ist das ein ganz heißes Thema. Denn jeder Sozial- und Wohlfahrtsstaat muss sich die Frage stellen: Wie viel kann, soll und muss man den Menschen zumuten, dass sie Aufgaben eigenverantwortlich übernehmen, und wie viel an dieser Verantwortung muss ihnen abgenommen und von anderen geregelt werden? Ist es z.B. Aufgabe des Staats dafür zu sorgen, dass sich alle Mitglieder richtig ernähren? Oder kann man ihnen mit einer gewissen Aufklärung zumuten, dass sie selbst entscheiden, was sie essen und trinken?

Wie würde Ihre Antwort etwa für den Schulbereich aussehen?

Hier ist die Frage, wie viel an Verantwortung bei den Eltern liegt, wie viel bei den Kindern, wie viel bei der Gesellschaft, dem Staat und dem Erziehungssystem. Da werden die Bälle ständig hin- und hergeschoben. Die Lehrer sagen: "Das Kind will nicht, es kann nicht, was soll ich tun?" Die Eltern und Kinder sagen: "Dafür ist doch die Schule zuständig, die Lehrer sollen halt mein Kind motivieren, die Verantwortung liegt bei ihnen." Ich denke, diese Fragen sind nicht zu entscheiden, das ist ein ständiger Balanceakt. Die verschiedenen Zuständigkeiten der Verantwortung müssen in einer gesellschaftlichen Dynamik immer wieder neu ausgehandelt werden und stehen immer wieder neu zur Disposition.

Im Titel Ihres Vortrags verweisen Sie auf den Roman "Schuld und Sühne" von Dostojewski. Dessen Hauptfigur Raskolnikow stellt sich am Ende der Verantwortung für seine Morde. Kann man daraus schließen, dass Sie letztlich doch ein Verfechter der Eigenverantwortung sind?

In gewisser Weise ja, wobei ich nicht verkenne, dass jeder Mensch unter Umständen handelt, die er nicht selber gewählt hat. Natürlich gibt es leichtere und schwierigere Voraussetzungen für das eigene Handeln. Aber letztlich sind wir es, die handeln. Das wusste auch Raskolnikow, dieser traurige Held in Dostojewskis Roman. Gleichgültig, wie er sich selbst sein Handeln erklärt, welche Ausreden er konstruiert, am Ende weiß er: Es war seine Tat.

Die Frage ist: Bekenne ich mich zu meinen Taten, nehme ich ihre Konsequenzen auf mich und bereue ich sie gegebenenfalls? Oder glaube ich weiter, dass ich eigentlich richtig gehandelt habe, die Gesellschaft das aber nicht richtig findet, und ich mich deshalb einer Norm oder einem Gesetz beuge, dem ich gar nicht zustimme. Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen ist das eine wichtige Frage. Niemand ist fehlerlos, jeder verletzt den anderen wissentlich oder unwissentlich. Die Frage ist, ob ich mich dazu bekenne, und die Möglichkeit habe zu bereuen, etwas gutzumachen und vor allem ins Auge zu fassen, in Zukunft anders zu handeln.

Raskolnikow hat für seine Taten acht Jahre in Sibirien gesühnt …

Ja, und wie Dostojewski es so schön andeutet, konnte er das deshalb, weil er die Liebe einer Frau gefunden hat. Sie trägt ihn über seine Taten und auch über seine Selbstzerknirschung hinweg und eröffnet dem Paar neuen Perspektiven. Ob das dann auch glückliche Perspektiven waren, darüber hat Dostojewski wohlweislich geschwiegen.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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