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Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, zeigt die Rekonstruktion eines Neandertaler-Schädels

"Sex im Pleistozän interessiert mich nicht"

Svante Pääbos Fach ist die Paläogenetik - die Erbgutanalyse bereits ausgestorbener Arten. Der Chef des Leipziger Max Planck-Instituts für Evolutionäre Genetik spricht in einem Interview über Neandertalergene in unserem Erbgut - sowie über unbekannte Menschenarten, die noch entdeckt werden könnten.

Gespräch 26.09.2014

Wo immer zwei Gruppen Menschen zusammenkommen, passiert die wichtigste Nebensache der Welt: Sex. Wieso gaben sich alle so überrascht, dass dies auch bei modernen Menschen und Neandertalern der Fall war?

Svante Pääbo: Man hat diese Möglichkeit zuvor lange diskutiert, aber von der genetischen Variation bei Menschen gab es wenige Hinweise darauf. Ich war auch eher voreingenommen, dass es keine Vermischung gab. Sex hat man immer, aber aus genetischer Sicht ist es wichtig, ob es Kinder gibt, die sich fortpflanzen können.

Scherzhaft gesagt: Mich interessiert nicht, mit wem der moderne Mensch im Spätpleistozän Sex hatte, sondern was davon Spuren in unserer genetischen Variation hinterlassen hat. Unsere Untersuchungen haben nachgewiesen, dass die Neandertaler tatsächlich dazu beigetragen haben.

Was sagen uns die DNA-Sequenzen über diese Liaison?

Wir wissen immer noch sehr wenig darüber. Der Beitrag der Neandertaler zum Genom des jetzigen Menschen ist mit etwa ein bis zwei Prozent nicht groß. Die meisten Menschen haben aber unterschiedliche Teile von den Neandertalern geerbt. Es reichen einige hundert Europäer, um mindestens 20 Prozent des Neandertalergenoms zusammenzupuzzeln, vielleicht sogar 40.

Ein großer Teil ihres Erbguts existiert also noch in heute lebenden Menschen. Wir wissen auch, dass sie sich mindestens zweimal gemischt haben, denn in Asien sehen wir ein bisschen mehr Neandertaler-Beitrag als in Europa.

Das Ganze passierte ja auch mit Denisova-Menschen. Und auch diese dürften sich mit einer bisher unidentifizierten Menschenart gepaart haben.

Der Denisova-Mensch ist überhaupt nur durch die DNA-Sequenz identifiziert worden. Auch dass er sich mit dem Neandertaler gemischt und besonders viel zum Erbgut der Menschen im pazifischen Raum beigetragen hat, wissen wir von den genetischen Daten.

Vor kurzem hat eine Gruppe der Universität Berkeley nachgewiesen, dass ein wichtiges Gen der Menschen in Tibet zur Anpassung an sehr niedrige Sauerstoffkonzentrationen von den Denisovanern kommt. Ohne diesen Beitrag hätte es dort vielleicht lange keine Menschen gegeben.

Der moderne Mensch hat sich von den Neandertalern in Europa ebenfalls die passenden Gene von den "Locals" geholt, nämlich welche für Haut und Haare zum Kälteschutz.

Ja, manche Gene für die Immunverteidigung kommen von den Neandertalern sowie einige Stoffwechselgene und Strukturgene für Haut und Haare. Zur Zeit hat man aber eigentlich nur eine gute Version des Neandertalergenoms, in der nächsten Zeit wird man sicher mehr herausfinden.

Gibt es Hinweise, wer die unidentifizierte Menschenart war, deren Spuren im Denisova-Genom zu finden sind?

Es wäre verlockend zu sagen, dass es Homo erectus oder irgendetwas ähnliches wäre, aber das ist bloß geraten.

Ist es wahrscheinlich, dass man in den DNA-Sequenzen von modernem Mensch, Neandertalern und Denisova-Mensch noch Spuren einer anderen Menschengruppe findet?

Ja, sicherlich. Wir wissen ja auch, dass es diesen "Hobbit" genannten Homo floresiensis gibt, und es werden sicher noch mehr. Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt, wir wissen bereits das meiste. Aber seit wir den Denisovaner gefunden haben: Ja, warum sollte man nicht noch mehr Sachen herausfinden.

Sie sind auch daran interessiert, was den modernen Menschen auszeichnet, und warum er sich gegen die anderen durchgesetzt hat. Kann man das in den Genen finden?

Ich denke, in Zukunft ja. Aber im Moment verstehen wir viel zu wenig, wie Veränderungen im Genom sich im Individuum auswirken. In der Genomforschung sind wir eigentlich noch sehr schlecht darin, dies vorherzusagen.

Im Vorjahr ist es Ihnen und Kollegen gelungen, 400.000 Jahre altes menschliches Erbgut zu entziffern - vor ein paar Jahren hätten Sie wohl selbst gesagt, das wird nie möglich sein - wo ist die Grenze, kennen wir vielleicht bald die DNA-Sequenz vom 3,2 Millionen Jahre alten Lucy-Skelett oder ähnliches?

Ich würde sagen: Nein. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn ich falsch liege. Außer bei Funden im Permafrostboden, die kontinuierlich gefroren waren, würde es mich sehr wundern, wenn man jenseits einer Million Jahre käme.

Dann ist es vermutlich unwahrscheinlich, da die Ursprünge der Menschheit in Afrika sind, wo das Klima die Erhaltung nicht gerade begünstigt.

Ja, aber es gibt natürlich schon seit zwei Millionen Jahren Menschenformen außerhalb Afrikas. Doch schon bei den 400.000 Jahre alten Funden ist bereits viel mehr DNA abgebaut als zum Beispiel bei den Neandertalern. Es ist daher eine große Herausforderung, sie zu analysieren. Bei den meisten anderen Funden dieser Zeit ist aber einfach überhaupt keine DNA mehr da.

Außer mögliche, neu auftauchende Funde zu untersuchen, was ist Ihr nächstes Ziel?

Einerseits, mehr dieser älteren Funden zu untersuchen. Zusätzlich zu den 400.000 Jahre alten Sima de los Huesos-Menschen (deren mitochondriale Genomsequenz Pääbo im Vorjahr bestimmte, Anm.) gibt es noch andere Fundstätten, die ungefähr eine halbe Million Jahre alt sind. Da kann man vielleicht noch andere Menschenformen finden.

Andererseits wollen wir auch zumindest einige dieser menschenspezifischen Veränderungen verstehen. Das ist eigentlich noch schwieriger. Doch es gibt bloß 87 Proteine, die beim Menschen spezifisch Unterschiede tragen und ein bisschen über 3.000 andere Veränderungen, die wahrscheinlich regulieren, wann und wo Gene eingeschaltet werden. Das ist bei einem Drei-Milliarden-Basenpaare-Genom nicht enorm viel.

Das heißt, man hat Chancen, einen entscheidenden Unterschied zu finden.

Ja, aber vermutlich erst, wenn ich schon in Pension bin.

Interview: Jochen Stadler/APA

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