Natürlicher Abbau
Die Studie in "Nature Neuroscience":
"Enhancing dentate gyrus function with dietary flavanols improves cognition in older adults" von A. M. Brickman et al., erschienen am 26. Oktober 2014.
Schleichend und zu Beginn oft unbemerkt funktioniert unser Gedächtnis mit zunehmendem Alter immer schlechter. Der Abbau beginnt laut den Forschern um Adam M. Brickman von der New Yorker Columbia University schon im frühen Erwachsenenalter, die Lebensqualität wird dadurch aber erst in den Fünfzigern oder Sechzigern beeinträchtigt: Man kann sich die Namen von neuen Bekannten nicht mehr merken und vergisst, wo man das Auto geparkt oder den Schlüssel hingelegt hat. Das ist nicht vergleichbar mit einer echten neurodegenerativen Demenzerkrankung, wie z.B. Morbus Alzheimer, sondern entspricht dem natürlichen Lauf der Dinge, wie die Forscher schreiben.
Frühere Studien legen nahe, dass Veränderungen in einer bestimmten Gehirnregion an diesem Gedächtnisabbau beteiligt sind, nämlich im Gyrus Dentatus, einem Teil des Hippocampus. Es handelt sich allerdings um rein statistische Korrelationen, zumindest beim Menschen. Im Mausmodell sind die Ergebnisse schon etwas konkreter. Dort zeigte sich, dass sich die kognitiven Leistungen von älteren Tieren z.B. durch gezielte genetische Manipulation der Region deutlich verbessern lassen.
Nachdem ein derartiger Eingriff bei Menschen nicht wirklich machbar ist, suchten die Forscher nach weniger invasiven Methoden. Fündig wurden sie ebenfalls bei einer Mäusestudie. Diese hatte ergeben, dass die Einnahme eines speziellen Pflanzenstoffs die Nervenfortsätze im Gyrus Dentatus wachsen ließ; mehr noch, wenn sich die Nager gleichzeitig viel bewegten. Auch die Blutgefäße wurden dadurch dichter. Insgesamt wurde der Stoffwechsel aktiver und mehr Blut floss durch die Hirnregion.
Flavonol-Bombe
In ihrer Studie versuchten die Forscher, diesen Effekt nun bei Menschen zu reproduzieren. 37 gesunde Freiwillige zwischen 50 und 69 Jahren nahmen an dem Experiment teil. Eine Verbesserung des Gedächtnisses sollte durch ein vom Nahrungsmittelkonzern Mars Inc. - Erzeuger des bekannten Riegels - speziell für Forschungszwecke entwickeltes Getränk aus Kakaobohnen erzielt werden. Dieses enthält besonders viel Flavonole, das sind sekundäre Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Flavonoide, die auch in manchen Gemüsen und in Tee enthalten sind. Im Rahmen einer großen Studie mit 18.000 Teilnehmern wurde erst vor kurzem nachgewiesen, dass dasselbe Wundergetränk die Herzgesundheit verbessert.
In der aktuellen Untersuchung erhielt die Hälfte der Teilnehmer drei Monaten lang das extrem flavonolhältige Produkt, das entspricht einer Menge von 900 Milligramm Flavonole täglich. Das Getränk der anderen Hälfte enthielt nur eines mit 10 Milligramm. In beiden Gruppen sollte wiederum die Hälfte der Probanden zusätzlich an vier Tagen der Wochen eine Stunde Sport betreiben. Vor Beginn des Programms wurden die geistigen Leistungen erfasst. Dafür wurde einerseits die Blutmenge im Gyrus Dentatus durch Aufnahmen des Gehirns gemessen. Andererseits mussten die Teilnehmer einen zwanzigminütigen Gedächtnistest absolvieren, bei dem es um Mustererkennung ging. Am Ende der dreimonatigen Phase wurde beides wiederholt.
Deutliche "Verjüngung"
Bei jenen, die das Spezialgetränk getrunken hatten, zeigten sich laut den Forschern tatsächlich Wirkungen. Ihr Gyrus Dentatus war viel besser durchblutet als jener der Kontrollgruppe. Auch im Gedächtnistest schnitten sie viel besser ab. "Jene Teilnehmer, die zu Beginn das Gedächtnis eines typischen 60-Jährigen hatten, waren nach der Phase im Test so gut wie ein 30- oder 40-Jähriger", fasst Koautor Scott A. Small die Ergebnisse zusammen. Die sportlichen Aktivitäten hatten hingegen keinerlei Einfluss. Die Forscher vermuten jedoch, dass dies nur an der Art des Trainings lag. In optimierter Weise könnte es den Effekt vielleicht noch verstärken.
Zum Abschluss warnen die Forscher davor, nun einfach große Mengen Kakao oder Schokolade zu sich zu nehmen, denn diese enthalten nur einen vergleichsweise geringen Anteil von Flavonolen. Im normalen Produktionsprozess gehe nämlich ein großer Teil der Inhaltsstoffe aus der rohen Kakaobohne verloren. Ob das Getränk je im Handel erhältlich sein wird, verraten die Wissenschaftler nicht, der internationale Lebensmittelkonzern wird sein Geld aber vermutlich nicht völlig selbstlos investiert haben. Vorerst muss die Wirkung aber ohnehin noch in einer größeren Stichprobe überprüft werden.
Eva Obermüller, science.ORF.at