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Rotbrauner Reismehlkäfer

Stammbaum der Insekten wird neu gezeichnet

Den Stammbaum der vielfältigsten Tiergruppe, jener der Insekten, hat ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung so genau wie nie zuvor gezeichnet. "Damit konnten etwa die Schlüsselereignisse der Insekten-Evolution exakt datiert werden", so Nikolaus Szucsich vom Naturhistorischen Museum Wien.

Entomologie 07.11.2014

Die Forscher unter der Leitung von Bernhard Misof vom Zoologischem Forschungsmuseum in Bonn, Karl Kjer von der US-amerikanischen Rutgers Universität und Xin Zhou vom Beijing Genomics Institute verglichen dafür die Sequenzen 1.478 aktiver Gene in 144 Arten sämtlicher Insektenordnungen.

Goldwespe (Hedychrum nobile).

Oliver Niehuis, ZFMK, Bonn

Goldwespe (Hedychrum nobile).

Mit diesen Daten erstellten sie einen Stammbaum, dessen "molekulare Uhr" sie mit vorhandenen Fossilfunden kalibrierten. Unter den 131 Autoren sind neun Österreicher von der Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien und dem NHM Wien.

Die Studie in "Science":

"Phylogenomics resolves the timing and pattern of insect evolution" von B. Misof et al., erschienen am 7. November 2014.

Ö1 Sendungshinweis:

Darüber berichtet auch Wissen Aktuell am 7.11. um 13:55.

Sie verlegten etwa gegenüber früheren Abschätzungen das Zeitfenster "um einiges" nach vorne, in dem die Insekten vom Meer aus Land und Süßwasser erobert hatten. "Bis jetzt wurde der Landgang der Pflanzen weit vor jenem der Insekten datiert, doch es scheint, dass dies - ein paar Millionen Jahre auf oder ab - etwa zur selben Zeit passierte", so Szucsich.

"Herrscher der Lüfte"

Grüne Florfliege (Chrysopa perla).

Oliver Niehuis, ZFMK, Bonn]

Grüne Florfliege (Chrysopa perla).

Die ersten Insekten entstanden laut den Analysen vor 480 Millionen Jahren im frühen "Ordovizium", und fliegen lernten manche von ihnen im Devon vor 400 bis 410 Millionen Jahren. "Die nächste Tiergruppe, die sich in die Lüfte erhob, waren 200 Millionen Jahre später die Pterosaurier, die Insekten waren bis dahin quasi die alleinigen 'Herrscher der Lüfte", erklärt Szucsich.

Im "Mississippium" vor rund 350 Millionen Jahren entstand schließlich ihre "indirekte Entwicklung" - also dass sie zunächst ein Larvenstadium durchlaufen, das völlig anders aussieht als das erwachsene (adulte) Tier. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die Entwicklung des Schmetterlings aus der Raupe.

Ausschnitt aus Insektenstammbaum

1KITE (1K Insect Transcriptome Evolution)

Ausschnitt aus dem Insektenstammbaum.

Neben den wissenschaftlichen Ergebnissen wäre auch erwähnenswert, wie "relativ friktionslos" die Zusammenarbeit der weltweit verstreuten Experten für molekulare Biologie, Morphologie, Paläontologie, Taxonomie, Embryologie und Bioinformatik in dem Großprojekt "1KITE" funktioniert habe, meint Szucsich. Die Ergebnisse sind für die Öffentlichkeit frei zugänglich und stellten ein "solides Werkzeug" für weitere Arbeiten dar, so die Forscher.

Weil die Insekten mit Abstand die artenreichste und vielfältigste Tiergruppe des Planeten sind - auf jede Wirbeltierart kommen 200 Insektenarten -, seien sie ideale Modelle für evolutionsbiologische Fragestellungen, erklärte Günther Pass vom Department für Integrative Zoologie der Uni Wien in einer Aussendung. Außerdem hätten sie als Bestäuber und Überträger von Krankheiten "immense wirtschaftliche und medizinische Bedeutung". Es wäre "ein Anliegen" gewesen, die "lange Zeit vernachlässigte genetische Vielfalt der Insekten zu analysieren", so die drei Leiter der Studie.

science.ORF.at/APA

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