Wer den optimistischen Tonfall in der zeitgenössischen Wissenschaftsprosa schätzt, dürfte mit Fächern wie Ernährungsmedizin und Umweltforschung keine rechte Freude haben. Hier ist die Warnung dominante Textgattung.
Übergewicht hat in den reichen Industriestaaten mittlerweile den Status einer Epidemie, entsprechend nehmen auch die sogenannten Zivilisationskrankheiten rasant zu. Ähnliche Lamentos stimmen Forscher an, wenn sie über den Klimawandel sowie den Schwund natürlicher Ressourcen berichten: Es geht bergab, die Botschaft ist angekommen.
Deutliche Einsparung von Emissionen
Die Studie
"Global diets link environmental sustainability and human health", Nature (12.11.2014; doi:
doi:10.1038/nature13959).
Sendungshinweis
Über dieses Thema berichten auch die Ö1-Nachrichten, 12.11.2014, 19.00 Uhr.
So gesehen ist die letzte Studie von David Tilman eine erfreuliche Ausnahme. "Wir haben nachgewiesen, dass eine Ernährungsumstellung das Leben um bis zu zehn Jahre verlängern und außerdem massive Umweltschäden verhindern würde", sagt der Ökologe von der University of Minnesota.
"Auf diese Weise könnte man auch den Ausstoß von Treibhausgasen um einen Betrag reduzieren, der den aktuellen Emissionen sämtlicher Autos, LKWs, Flugzeugen und Schiffen entspricht."
Die Ernährungsumstellung, sagt Tilman, könnte auch die Zerstörung von Regenwäldern und Savannen verhindern, und zwar auf einer Fläche, die halb so groß wie die USA ist. Zeithorizont der Prognose: 2050.
Mehr Gemüse, weniger Fleisch
"Umstellung" heißt laut der Studie im Fachblatt "Nature": Wir müssten weniger Fleisch und Zucker, dafür mehr Nüsse, Obst und Gemüse essen. Um herauszufinden, was das gesundheitlich und ökologisch bedeuten würde, haben Tilman und sein Kollege Michael Clark die Daten von mehr als 100 Fachpublikationen zusammengetragen und in ein Weltmodell gesteckt, das die Entwicklung der nächsten dreieinhalb Jahrzehnte vorhersagt. Wobei natürlich verschiedene Varianten denkbar sind.
Konkret untersucht haben die beiden Forscher drei Ernährungsstile, nämlich Vegetarismus, Pescetarismus (Fisch ja, aber kein Fleisch) und die sogenannte Mittelmeerdiät (viel frisches Obst, Gemüse plus Fisch und ein bisschen Fleisch). Sie alle, schreiben Tilman und Clark, wären dem aktuell westlichen Ernährungsstil in allen Belangen überlegen.
Würden sich tatsächlich die ganze Welt gemäß der drei Alternativen ernähren, könnte die globale Landwirtschaft jährlich 1,2 bis 2,3 Gigatonnen CO2-Emissionen sparen und hätte einen um 450 bis 650 Millionen geringeren Flächenbedarf. Soweit die gute Nachricht. Die Frage ist allerdings: Wie verlässlich sind derartige Prognosen?
Kritik an Details
Wie die niederländische Umweltforscherin Elke Stehfest in einem Kommentar schreibt, könnte Tilmans Modell zumindest ein paar weitere Detaillierungen vertragen. Bei einem Ansteigen der Gemüseproduktion dürfte etwa auch der Einsatz von Glashäusern zunehmen - und die haben, wie Untersuchungen zeigen, eine deutlich schlechtere Klimabilanz als der Anbau auf dem Feld.
Und Fleisch durch Fisch zu ersetzen, mag zwar aus medizinischer Sicht klug sein, allerdings bleibt ein beträchtlicher Fehlbetrag auf der ökologischen Seite der Gleichung stehen.
Die Meere sind leergefischt, folglich könnte der Umsatz nur mit Aquafarmen gesteigert werden. Was wiederum zusätzlichen Landverbrauch bedeutet, wenn man das Futter nicht neuerlich aus dem Meer fischen will.
Gleichwohl stimmt Tilmans Modell in seinen Grundaussagen mit jenen anderer Forscher überein. Der fleischbasierte Ernährungsstil der reichen Industrieländer ist global schlichtweg nicht tragfähig, darauf können sich alle einigen. Die Alternativen sind zahlreich, sie spannen sich von der Askese bis zum gemäßigten Hedonismus. Forscher des Wiener Instituts für soziale Ökologie haben beispielsweise berechnet: Der wöchentliche Sonntagsbraten wäre vermutlich für alle drin.
Robert Czepel, science.ORF.at
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