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Männliches Paar von hinten im Sonnenuntergang

Schon ein Gespräch knackt Vorurteile

Selbst mit guten Argumenten lassen sich einmal gefasste Meinungen zu heiklen Themen schwer knacken. Eine Studie gibt nun Anlass zu Hoffnung: Schon ein einziges Gespräch hat die Haltung zur gleichgeschlechtlichen Ehe nachhaltig veränderte, allerdings nur, wenn es mit einem Homosexuellen geführt wurde.

Kampagnen 12.12.2014

Vorurteile sind hartnäckig. Donald P. Green von der New Yorker Columbia University, einer der Studienautoren, kann ein Lied davon singen, wie schwer es ist, Menschen von festgefahrenen Gedankenbahnen abzubringen. Schon seit zwei Jahrzehnten befasst sich der Forscher mit der Wirksamkeit von Kampagnen.

In einer Studie hat er sogar 900 Interventionen, die Vorurteile reduzieren sollen, untersucht. "Um die Wahrheit zu sagen: Die meisten Maßnahmen, von Fernsehwerbungen bis zu Telefonanrufen haben kaum einen Effekt, und wenn, ist er nach ein paar Tagen verpufft", erklärt Green etwas resignierend in einer Aussendung.

Die Studie in "Science":

"When contact changes minds: An experiment on transmission of support for gay equality" von M.J. LaCour und D.P. Green, erschienen am 12. Dezember 2014.

Ö1 Sendungshinweis:

Darüber berichtet auch Wissen Aktuell am 12.12. um 13:55.

Von Tür zu Tür

In der soeben publizierten Untersuchung hat Green gemeinsam mit seinem Kollegen Michael J. LaCour von der University of California Los Angeles Direktkampagnen des Los Angeles LGBT Centers, einer Nonprofit-Organisation, evaluiert (LGBT ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Trans, Anm.). Hintergrund der Offensive war eine sehr umstrittene Entscheidung des Bundesstaats Kalifornien. Nachdem sich in einem Referendum die Mehrheit der Bevölkerung gegen die gleichgeschlechtliche Ehe entschieden hatte, wurde der Passus unter dem Namen "Proposition 8" in die Verfassung übernommen. Erst im Juni 2013 erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten dies für ungültig.

In den Jahren vor und nach dem Referendum gab es Kampagnen auf beiden Seiten. Das Los Angeles LGBT Centers hat unter anderem auf direkten Kontakt gesetzt, bei dem die Interessensvertreter im Dienst der Sache tatsächlich von Tür zu Tür liefen. Wie wirksam bzw. nachhaltig diese etwas mühsame Methode ist, haben LaCour und Green dann in einer Zwölfmonatsstudie an 9.500 Wahlberechtigten in Südkalifornien untersucht. Diese Region gilt als besonders konservativ. Zu Beginn mussten die Teilnehmer Onlinefragebögen ausfüllen. Die Fragen, die die Einstellung gegenüber der gleichgeschlechtlichen Ehe betrafen, waren dabei zwischen vielen anderen versteckt. Außerdem wurden in diese Befragung andere Mitglieder des Haushalts miteinbezogen, um später auch indirekte Wirkungen erheben zu können.

Kurzfristige Wirkung

Für das Kernexperiment wurden die Teilnehmer dann in drei Gruppen unterteilt. Die erste erhielt Besuch von LGBT-Mitarbeitern, die für die gleichgeschlechtliche Ehe argumentierten. Die Hälfte der Werbebeauftragten war dabei selbst homosexuell. Die zweite Gruppe sollte von Recycling überzeugt werden. Die dritte diente als Kontrollgruppe.

Die Mitarbeiter waren speziell geschult worden, sie sollten freundlich bleiben und sich nicht auf Debatten einlassen. In Bezug auf die Ehe begannen sie zuerst, über die allgemeinen Vorteile der Institution zu sprechen. Die homosexuellen Überzeugungskämpfer outeten sich nach der Hälfte des Gesprächs und erklärten auch persönlich, warum sie gerne heiraten würden. Die heterosexuellen Kampagnenträger hingegen erzählten von Freunden oder Verwandten, die das gern tun würden. Die Gespräche dauerten im Schnitt 22 Minuten.

Nach dieser Intervention wurden alle Teilnehmer im Lauf des folgenden Jahres mehrmals befragt. Nur drei Tage nach dem Gespräch zeigte sich ein Unterschied zwischen den zuvor relativ Gleichgesinnten. Jene, die über die Bedeutung der gleichgeschlechtlichen Ehe informiert worden sind, waren ihr gegenüber nun deutlich positiver eingestellt. Auf einer Skala von eins bis fünf ist ihre Einstellung um ca. 0,5 Punkte in die entsprechende Richtung gewandert - das ist laut den Autoren so, als wäre aus einem konservativen Mittelwestler ein aufgeschlossener Neu-Engländer geworden. Bei der Recycling- und der Kontroll-Gruppe hatte sich nichts getan.

Ein Problem mit Gesicht

Schon nach drei Wochen allerdings schlug das Vorurteil zurück; zumindest bei jenen, die von einem heterosexuellen Interessensvertreter besucht worden waren. Der positive Effekt war den Forschern zufolge wie ausradiert. Bei jenen hingegen, die von einem homosexuellen Heiratswilligen besucht worden waren, blieb die positivere Einstellung erhalten, und verbesserte sich im Laufe des Jahres sogar noch weiter.

Am Ende war sie ganze 0,77 Punkte auf der fünfteiligen Skala ins Plus gerutscht. Interessanterweise zeigte sich in dieser Gruppe zusätzlich ein nachhaltiger Ansteckungseffekt. Denn auch bei anderen Mitgliedern des Haushalts gab es eine bleibende Veränderung der Überzeugungen, nämlich um 0,41 Punkte. Offenbar überträgt sich die Wirkung der Gesprächsintervention sogar im sozialen Netzwerk.

Nach seinen vielen Enttäuschungen konnte Donald P. Green die Studienergebnisse erst gar nicht glauben. Also wiederholte er mit seinem jungen Kollegen das Experiment. Und die Ergebnisse ließen sich tatsächlich reproduzieren. Die Forscher liefern auch eine Erklärung für das Phänomen: "Wenn Betroffene plötzlich Namen und Gesichter haben, berührt das Herz und Geist", erklärt LaCour. Diese persönliche Begegnung kann anscheinend nachhaltig Vorurteile relativieren.

Die Forscher hoffen, dass sich der Ansatz eignet, auch in anderen Bereichen Überzeugungsarbeit zu leisten. Sie arbeiten bereits an Folgeprojekten zu anderen heiklen Themen, wie z.B. Transgender und Abtreibung.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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