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Junge Bären, die in die Kamera schauen

Die Rückkehr der großen Raubtiere

Großraubtiere wie Bären und Wölfe sind in Europa im 20. Jahrhundert immer seltener geworden. Wie eine neue Studie zeigt, ist der Trend nun gebrochen. Heute gibt es wieder 17.000 Braunbären, 12.000 Wölfe und 9.000 Luchse in Europa - fast alle Bestände sind stabil oder wachsen gar.

Europa 19.12.2014

"Am stärksten ist das bei Wölfen der Fall. In vielen Ländern haben sie ein regelrechtes Comeback gefeiert ", sagt die Studienmitautorin Petra Kaczensky von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Lebten etwa in Italien vor 50 Jahren rund 100 Exemplare, so sind es heute wieder an die 800. Auch in Österreich werden vereinzelt wieder Wölfe gesichtet, nachdem sie bereits als ausgestorben galten.

Umweltbewegung und Schutzgesetze

Ganz wichtig für diese europaweite Entwicklung sei die Umwelt- und Ökologiebewegung gewesen, sagt die Wildbiologin Kaczensky. "Die Einstellung hat sich seit den 1970er Jahren verändert. Zuvor wurden die Tiere eher als Gefahr wahrgenommen und verfolgt. Danach hat man sie immer mehr als Bereicherung und als Symbol einer intakten Natur betrachtet." In der Folge seien die entsprechenden nationalen und europäischen Gesetzeswerke geschaffen worden, etwa die Berner Konvention und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die wildlebende Tiere und Pflanzen schützen. "Das hat das Comeback der Tiere erst ermöglicht." Dafür ebenfalls wichtig sei gewesen, dass die Waldflächen in den vergangenen Jahrzehnten wuchsen und dass es wieder zahlenstarke Bestände wilder Huftiere gibt - die Hauptbeutetiere von Luchs, Wolf und Vielfraß.

Die Studie

"Recovery of large carnivores in Europe's modern human-dominated landscapes" von Guillaume Chapron und Kollegen ist am 18. 12. in "Science" erschienen.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in "Wissen aktuell" am 19.12. um 13.55 Uhr.

Verbreitung von Bären in Europa

Large Carnivore Initiative for Europe

Verbreitung von Bären in Europa

Hotspots in Skandinavien und auf dem Balkan

Für die aktuelle Studie untersuchte ein Team von 76 Wissenschaftlern aus 26 Ländern unter der Schirmherrschaft der Large Carnivore Initiative for Europe, wie die vier großen Beutegreifer Wolf, Luchs, Braunbär und Vielfraß in Europa verbreitet sind. Das erfreuliche Fazit: Es geht ihnen allen viel besser als noch im zweiten Drittel des vergangenen Jahrhunderts.

Ein Drittel Europas (ohne Weißrussland, die Ukraine und Russland), das sind etwa 1,5 Millionen Quadratkilometer, ist heute wieder von mindestens einem der vier großen Beutegreifer besiedelt. Auf 600.000 Quadratkilometer kommen sogar mindestens drei der vier Tierarten gemeinsam vor. Die "Hotspots" der Verbreitung liegen wie auf den Karten zu sehen in Skandinavien und auf dem Balkan. Wölfe sind auch in Italien, Nordspanien und dem Baltikum zahlreich.

Verbreitung von Wölfen in Europa

Large Carnivore Initiative for Europe

Verbreitung von Wölfen in Europa

In Österreich nur wenige Exemplare

"In Österreich sieht es nicht ganz so rosig aus", so Kaczensky gegenüber science.ORF.at. Der Versuch, ab den späten 1980er Jahren wieder Braunbären in den nördlichen Kalkalpen anzusiedeln, scheiterte. "Das lag zum einen daran, dass es sich auch zum Höhepunkt des Versuchs nur um eine kleine Population - maximal rund zwölf Tiere - gehandelt hat." Zum anderen dürfte es "illegale Entnahmen" - sprich: Wilderei - gegeben haben, die zum Verschwinden der Bären führten. Im Moment gibt es in Österreich nur vereinzelten Bärenbesuch aus Italien und Slowenien, im Schnitte fünf Bären pro Jahr schauen in Österreich vorbei.

Auch einzelne Wölfe tauchen inzwischen wieder auf. "Es wandern immer wieder einige Wölfe aus den benachbarten Populationen in Italien und Slowenien ein, zumeist verschwinden sie aber wieder recht rasch. Wenige dieser Besucher sind so gut dokumentiert wie der in Slowenien besenderte Wolf Slavko, der zwischen Dezember 2011 und Februar 2012 Österreich auf seinem Weg nach Venetien durchquerte."

Auch Luchse gibt es bisher nicht viele in Österreich. Fünf bis zehn von ihnen leben laut der Wildbiologin derzeit im Grenzgebiet zu Tschechien und Bayern, und in den Kalkalpen wurden zur Bestandsstützung drei Tiere aus der Schweiz "wiedereingebürgert". Die vierte untersuchte Art - der Vielfraß - kommt in Österreich hingegen gar nicht vor, er tritt in Europa nur in Skandinavien in Erscheinung.

Modell der Koexistenz

Generell leben die großen Fleischfresser in Europa nicht in Nationalparks, sondern in der Kulturlandschaft, mehr oder minder in Koexistenz mit den Menschen. "Nationalparks alleine wären viel zu klein, um einen nennenswerten Bestand von Luchsen, Wölfen oder Bären zu schützen. Ein Park von 100 Quadratkilometern würde nur für einen einzigen Luchs ausreichen und für ein halbes Wolfsrudel", sagt Kaczensky.

Dieses Koexistenzmodell steht im Gegensatz zu anderen Traditionen, etwa in Nordamerika und Afrika, wo man eher auf abgeschlossene Naturschutzreservate setzt. "In den USA hat das damit zu tun, dass außerhalb von Alaska Grizzlybären und Wölfe weitgehend ausgerottet wurden. Wenn das einmal der Fall ist, dann tut man sich mit der Wiederkehr schwer", sagt Kaczensky. Auch sind die Nationalparks in den USA wesentlich größer. Eine Wiedereinbürgerung von Wölfen im knapp 9.000 Quadratkilometer großen Yellowstone-Nationalpark war ein großer Erfolg. "In den umliegenden Gebieten müssen die Leute aber erst lernen, damit zurechtzukommen."

Verbreitung von Luchsen in Europa

Large Carnivore Initiative for Europe

Verbreitung von Luchsen in Europa

Auch in Europa ist das Zusammenleben von Raubtieren und Menschen alles andere als einfach. "Wenn es keine Großraubtiere gibt, kann sich etwa eine Schafhaltung entwickeln, bei der Schafe unbehütet auf der Alm oder im Wald gelassen werden. Wenn dann plötzlich wieder Bären, Wölfe oder Luchse auftauchen, ist das für die ein gefundenes Fressen", sagt Kaczensky.

Um Haustiere vor Überfällen zu schützen, gibt es aber geeignete Schutzmaßnahmen, etwa Elektrozäune, die hoch genug sind, um Raubtiere von Schafen zu trennen. "Man kann die Tiere nachts auch einstallen oder wieder mit Hirten und Herdenschutzhunden arbeiten." Dass einander die Bedürfnisse von Mensch und Wildtier nicht unbedingt gegenüberstehen, beweist die aktuelle Studie. Eine einzige Generallösung gebe es nicht, sagt die Wildbiologin, aber zusammen mit den Betroffenen könnten regionale Lösungen gefunden werden, die allen zugutekommen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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