Den Fragen gemeinsam gestellt haben sich Heinz Engl von der Universität Wien, Sabine Seidler von der Technischen Universität Wien und Sonja Hammerschmid von der Veterinärmedizinischen Universität (hier gibt es Teil 1 des Interviews). Anlass sind die runden Jubiläen der Unis, die Uni Wien feiert heuer ihren 650. Geburtstag, die Vetmed ihren 250. und die TU ihren 200.
science.ORF.at: Braucht Österreich mehr Akademiker und Akademikerinnen? Oder sind Studierende für Unis eher eine finanzielle Last, die Kopfschmerzen verursacht?
Heinz Engl: Studierende sind nie eine Last. Unis sind dazu da, sie auszubilden. Dass die Uni Wien mit ungefähr demselben Budget wie z.B. Uppsala - eine ebenso alte Uni in Schweden - doppelt so viele Studierende versorgen muss, ist natürlich ein Problem. Wir weisen immer wieder darauf hin, dass wir dafür mehr Finanzierung brauchen. Im Prinzip sagt das auch die Bundesregierung, die sich zum Ziel von zwei Prozent des Budgets für die tertiäre Bildung bis 2020 nach wie vor bekennt. Davon sind wir aber noch ein Stückweit entfernt. Für die Uni Wien würde das ein Drittel mehr Budget bedeuten. Dann wären wir zwar immer noch weit entfernt von der Uni Zürich oder gar der ETH Zürich, aber in der Dimension der Uni München. Und mit solchen Unis müssen wir uns vergleichen.
Die runden Jubiläen
Universität Wien feiert 650. Geburtstag
Als Gründungsdatum der Uni Wien gilt der 12. März 1365 - auf diesen Tag ist die von Herzog Rudolf IV sowie seinen Brüdern unterzeichnete Stiftungsurkunde datiert. Das erste Gebäude der ursprünglichen Universität war nicht am heutigen Standort am Universitätsring, sondern in der Postgasse. Mit dem geregelten Lehrbetrieb ging es auch erst rund 20 Jahre nach der Gründung los, als der Papst die Gründung einer theologischen Fakultät erlaubte und zahlreiche Professoren von der Sorbonne abgeworben werden konnten. Heute verfügt die Uni über rund 92.000 Studierende und 9.500 Mitarbeiter (davon knapp 7.000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen).
TU Wien wird 200
Die TU Wien wurde von Kaiser Franz I. als "K. K. Polytechnisches Institut" am 6. November 1815 eröffnet, der Studienbetrieb startete am Tag darauf. 1872 wurde das Polytechnische Institut in eine Technische Hochschule umgewandelt, 1975 in Technische Universität umbenannt. Der Standort blieb über die gesamten 200 Jahre praktisch unverändert. 1815 startete der Unterrichtsbetrieb auf den ehemaligen gräflich Loseschen Besitzungen auf der Wieden vor dem Kärntnertor (am heutigen Karlsplatz). Am gleichen Ort wurde 1818 das bis heute bestehende Haupthaus der Uni eröffnet. Heute studieren an der TU 28.000 Studenten und Studentinnen, sie verfügt über 4.500 Mitarbeiter, davon 3.300 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
250er der Vetmed
Kaiserin Maria Theresia ordnete am 24. März 1765 die Gründung der ersten Veterinärschule im deutschsprachigen Raum an - zunächst als dem Militär zugeordnete "K.K. Pferde-Curen- und Operationsschule". Zur Hochschule wurde die sie 1897, ihre Unabhängigkeit erlangte sie 1905, das Promotionsrecht 1908 und ihre heutige Bezeichnung 1975. Seit dem 18. Jahrhundert im heutigen dritten Wiener Gemeindebezirk Landstraße (am aktuellen Standort der Musikuni) angesiedelt, übersiedelte die Vetmed 1996 nach Wien-Floridsdorf, wo sie auch ein Tierspital unterhält. Heute studieren an der Vetmed rund 2.300 Personen, die von knapp 1.300 Mitarbeitern (davon rund 650 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen) betreut werden.
Links:
- 650 Jahre Universität Wien
- 200 Jahre Technische Universität Wien
- 250 Jahre Veterinärmedizinische Universität Wien
- Heinz Engl, Uni Wien
- Sabine Seidler, TU Wien
- Sonja Hammerschmid, Vetmed
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmeten sich auch Beiträge im Dimensionen Magazin, 2.1., 19:05 Uhr, und in Wissen aktuell, 2.1., 13:55 Uhr.
Sabine Seidler: In manchen Bereichen brauchen wir mehr Akademiker, aber eine Akademikerquote per se halte ich nicht für sinnvoll. Denn es geht um etwas ganz anderes: Das wirtschaftliche Umfeld und damit die Arbeitsbedingungen entwickeln sich zurzeit überaus dynamisch, und dafür brauchen wir eine gute Ausbildung. Ob das akademisch geschieht oder über eine Berufsausbildung, ist zweitrangig.
Sonja Hammerschmid: Es geht darum, die Talente der Menschen zu unterstützen und das Bildungsniveau hochzuhalten, weil wir eine Nation sind, die nicht auf Öl oder andere Ressourcen zurückgreifen hat. Und das gelingt nur mit guter Ausbildung, Kreativität und Neugier.
Die Betreuungsverhältnisse in vielen Fächern sind sehr schlecht: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen müssen sich um sehr viele Studierende kümmern. Wie sehen Ihre Lösungsvorschläge aus?
Hammerschmid: Also wir haben an der Vetmed ja gottseidank Zugangsbeschränkungen. Weil wir niemals 1.300 oder 1.400 Bewerber und Bewerberinnen, die jährlich bei uns anklopfen, qualitativ hochwertig ausbilden können.
Sie nehmen wie viel davon?
Hammerschmid: 200, d.h. der Andrang ist groß, aber wir haben ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren, um jene zu erwischen, die hochmotiviert sind und mit der nötigen Eignung und dem nötigen Talent an die Sache herangehen. Wir gewährleisten damit ein Betreuungsverhältnis von eins zu zehn und können die Studierenden am Tier in den Kliniken so gut ausbilden, dass sie auch im Berufsalltag bestehen können.

Ursula Hummel-Berger, ORF
Die Betreuungsverhältnisse schauen auf den anderen beiden Unis sehr viel schlechter aus …
Engl: Wir sind weit weg davon, wobei natürlich bei einer Ausbildung am Tier andere Verhältnisse notwendig sind, wie wenn man Publizistik studiert. Aber auch in diesen Fächern haben wir im internationalen Vergleich deutlich zu schlechte quantitative Betreuungsverhältnisse. Auch wir haben Aufnahmeverfahren, etwa in der Psychologie: 5.000 Bewerber, 500 können wir nehmen. Die Engpässe sind bei uns nicht mehr nur in den Fächern, von denen man traditionell spricht, wie Politikwissenschaften, Publizistik, sondern immer mehr auch in den Naturwissenschaften.
Wir haben ja in den letzten Jahren stark Werbung gemacht für die sogenannten MINT-Fächer. Das war sehr erfolgreich - und bedeutet, dass bei uns die Anzahl der Chemie- und Physik-Studierenden deutlich gestiegen ist und wir Engpässe in der Laborkapazität haben. In der Pharmazie nehmen wir 700 pro Jahr auf, Laborkapazitäten haben wir für 200. Die Lösung wäre eine kapazitätsorientierte Studienplatzfinanzierung - was die Bundesregierung ohnehin anstrebt. Hier gibt es mit der UNIKO abgestimmte Konzepte. Man bräuchte sie "nur" umzusetzen. Dazu braucht man etwas mehr Geld, mit dem Zwei-Prozent-Ziel ginge sich das aber locker aus.
Das hieße allerdings auch Studienplatzbeschränkung …
Hammerschmid: Mit großer Wahrscheinlichkeit ja.
Engl: Zumindest Kapazitätsdefinition, so wie es das in jeder deutschen Universität gibt. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Das muss ja nicht automatisch eine Aufnahmeprüfung im August bedeuten. Man kann auch die aus meiner Sicht sehr erfolgreiche Studieneingangs- und Orientierungsphase dazu benützen, jedem die Chance zu geben, einmal reinzukommen in die Uni, sich dann innerhalb der ersten drei, vier Monate zu bewähren und sich danach zu entscheiden, wer weiter studiert. Das wird natürlich nicht in jedem Fach gehen.
Lassen Knock-Out-Prüfungen im ersten Jahr tatsächlich jene durch, die für das Fach am meisten geeignet sind?
Engl: Der WU-Wien-Rektor Badelt hat sie einmal Knock-In-Prüfungen genannt. Es ist doch klar, dass man in einem System mit beschränkten Kapazitäten am Anfang irgendwie nachweisen oder sich selbst überzeugen muss, dass man für ein Fach die geeignete Motivation und das geeignete Talent mitbringt. Ich sehe da nichts Schlechtes dran.
Die Studieneingangsphase funktioniert also?
Engl: Ja, ich würde sie beibehalten und etwas verfeinern und ausbauen.
Seidler: Ich kann das nur unterstützen, auch im direkten Vergleich mit der Schweiz, den wir sehr gerne ziehen. Die Schweiz hat auch einen freien Studienzugang, die ETH Zürich etwa selektiert je nach Studienrichtung innerhalb des ersten Semesters oder ersten Studienjahres auf Betreuungsgrößen, die im ETH-Profil, d.h. im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, eine qualitativ hochwertig Forschung und Lehre ermöglichen. Und dorthin müssen wir auch kommen.
Hammerschmid: Das Modell für eine Studienplatzfinanzierung liegt ja bereits am Tisch und ist auch gerechnet. Wichtig ist, dass wir dazu ein Preismodell in den Raum stellen und kein Verteilungsmodell, das also die Fächergruppen entsprechend gewichtet. Denn naturgemäß verursacht ein geisteswissenschaftlicher Studienplatz andere Kosten wie einer in der Medizin oder Technik.
Seidler: Noch eine Bemerkung dazu, wie die derzeitigen Mechanismen funktionieren. Es ist weniger als halbgut, weil wir sehr starke Ausweichbewegungen sehen. Wir spüren das im Moment ganz deutlich etwa an der Explosion der Studierendenzahlen in der Chemie. Das hat uns innerhalb von zwei Studienjahren in die missliche Lage versetzt, dass wir unsere Laborkapazitäten um mehr als das Doppelte überschritten haben. Deshalb denke ich, es reicht nicht aus, an einzelnen Stellen Pflaster zu kleben, sondern es braucht wirklich eine systemische Lösung.
Die TU Wien hat von 2010 bis 2012 negativ bilanziert, 2013 erstmals wieder positiv, wird das auch 2014 der Fall sein?
Seidler: Ja.
Nach den Jahren Ihres harten Sparkurses: Kann die TU nun wieder aufatmen, mehr investieren? Das ist gleichzeitig schon die Zukunftsfrage: Gibt es neue Schwerpunkte in der nächste Zeit?
Seidler: Zunächst: Seit Beginn 2013 sind wir nicht mehr auf Spar-, sondern auf Konsolidierungskurs. Konsolidieren werden wir auch in Zukunft müssen, sonst wird uns eine weitere Schwerpunktsetzung nicht gelingen. Derzeit arbeiten wir an fünf Forschungsschwerpunkten, einer heißt "Energie und Umwelt". Er umfasst alle acht Fakultäten des Hauses - eine Zusammenarbeit von der Architektur und Raumplanung bis hin zur Chemie und Physik. Was sich neu in der TU entwickelt hat, ist eine relativ starke Kompetenz im Bereich Bioanalytik, die wir im Moment gerade auch fakultätsübergreifend zusammenfassen.

ORF/Günther Pichlkostner
Wie ist das an der Universität Wien?
Engl: Wir sind finanziell in einem guten Zustand, was aber bedeutet, dass wir jeden Euro dreimal umdrehen. Wir planen einen neuen Schwerpunkt, der nur gemeinsam in Wien funktionieren kann, nämlich Neurowissenschaften - allerdings nicht in der vollen Breite, das ist ja ein international sehr stark finanziertes Gebiet, sondern aufbauend auf der gemeinsamen Stärke in der Kognitionsforschung. Wir haben ein Scientific Advisory Board mit zwei Nobelpreisträgern, das uns dabei berät. Wir haben andererseits die Quantenphysik, gemeinsam mit der TU Wien, der Uni Innsbruck, der Akademie der Wissenschaften, auch diesen Schwerpunkt wollen wir konsolidieren und ausbauen.
Sie haben aber Probleme im Gebäudebereich …
Engl: Ja, unser Gebäude der Lebenswissenschaften in der Überbauung des Franz Josephs Bahnhofs ist in die Jahre gekommen. Das ist dort nur mit sehr hohen Kosten sanierbar. Die günstigste Entscheidung wäre ein Neubau, dort wo er auch hinpasst, nämlich im Biocluster in St. Marx, im dritten Bezirk. Wir wollen auch unsere Sozialwissenschaften in ein Gebäude zusammenlegen. Hier gibt es mehrere Möglichkeiten, haben aber große Finanzierungsprobleme. Bauten sind nicht im normalen Budget der Leistungsvereinbarungen enthalten.
Bis wann muss die Frage St. Marx geklärt werden?
Engl: In den nächsten Wochen oder Monaten. Bis dann alles gebaut wird, dauert es ohnehin zwei, drei Jahre. Wichtig ist, dass bald eine Entscheidung fällt. Wir sind im engen Gespräch mit dem Ministerium.
Wie sehen Finanzsituation und neue Schwerpunkte an der Vetmed aus?
Hammerschmid: Wir haben schon die letzten vier Jahre verwendet, unsere Prozesse zu optimieren und auf Effizienz zu schauen, sodass wir in der finanziellen Lage waren, uns ein wenig zu bewegen. D.h. wir haben Zukunftsthemen bereits massiv ausgebaut. Ich erwähne nur das Stichwort "Mensch-Tier-Beziehung" mit unserem gemeinsamen Messerli-Forschungsinstitut, das von der Universität Wien, der Meduni Wien und unserem Haus getragen wird. Auch das Thema Lebensmittelsicherheit wird uns weiter massiv beschäftigen. Wir haben immer wieder Skandale, wie zuletzt bei HCB. Es wird neue Erreger geben, verursacht auch durch die weltweiten Warenströme. Das wird unser Haus massiv fordern, und das werden wir forschungstechnisch adressieren. Auch Infektionskrankheiten, die sich von Tieren auf Menschen und umgekehrt übertragen, werden weiter wichtige Forschungsthemen für uns sein, nicht zuletzt weil sich die Erreger sehr stark ändern.
Eine abschließende Zukunftsfrage: Wie wird die Vetmed in 20 Jahren aussehen?
Hammerschmid: Ich würde mir wünschen, dass wir seitens der Politik in die Lage versetzt werden, international wirklich mitzuspielen - in den Trendthemen, die unsere Gesellschaft vor Herausforderungen stellen. Wir wollen zu den besten in Europa gehören, das ist einfach unser Anspruch.
Und die Uni Wien?
Engl: Wir gehören trotz mancher Ranking-Ergebnisse immer noch in vielen Gebieten zu den besten Universitäten Europas, zum Teil der Welt. Die Herausforderung, das zu bleiben, ist eine sehr starke. Die Universität Wien soll und will auch in 20 Jahren sehr breit aufgestellt sein. Das ist eine unsere Stärken, viele Studierende ausbilden, aber wir brauchen auch ein Gleichgewicht von Finanzierung und Aufgaben, denn die Konkurrenz in Ostasien wird immer stärker.
Wohin geht die TU Wien in 20 Jahren?
Seidler: Also ich gehe davon aus, dass sie ihre Position gefestigt und vielleicht auch weiter verbessert hat. Das wird von den Rahmenbedingungen abhängen, die wir ausführlich diskutiert haben. Und ich sehe eigentlich der Zukunft sehr optimistisch entgegen.
Dann sage ich allen: Danke für das Gespräch.
Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at
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