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Ein Bleistift auf dem steht "Je suis Charlie"

Zwischen Wort und Tat

Vor der körperlichen Gewalt steht oft eine Radikalisierung der Sprache: Das haben nicht zuletzt die Attentate vergangene Woche in Paris gezeigt. Wie Wort und Tat zusammenhängen, beschreibt der Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits in einem Gastbeitrag. Bevor sich die Realität in eine Tragödie verwandelt, schlage oft bereits die Sprache um.

Philosophie 15.01.2015

Zur Bestandsaufnahme von Sprache und Gewalt

Von Paul Sailer-Wlasits

Wenn Taten in ihrer Unabänderlichkeit, in ihrer bloßen Tatsächlichkeit jenes erzeugen, das wir zuweilen unfassbare Realität nennen, breitet sich oftmals betroffenes Schweigen aus. Worte reichen nicht aus, um das Grauen und den Tod zu fassen. Doch die meisten Wege vom Wort zur Tat sind verschlungen; die Gewalt der Sprache, die Gewalt in und durch die Sprache besitzen zahllose Bedingungen ihres Entstehens.

Die gewaltsame Tathandlung selbst erfolgt erst am Ende der Diskurse, indem sie die Worte übersteigt. Sie ist wie ein Satzzeichen, welches den Text beendet, irreversibel und final. Und obwohl die Tathandlung den Diskurs übersteigt, bleibt sie immer mit diesem verbunden. Xenophobie, Antisemitismus, Islamophobie und ihre Folgen betreffen uns gegenwärtig, die Mesalliance von Sprache und Gewalt ist jedoch bereits ein Jahrtausende altes Thema.

Porträt des Sprachphilosophen Paul Sailer-Wlasits

Privat

Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Zahlreiche Publikationen zur Philosophie der Sprache, Diskursanalyse, Metapher und Mythologie. Forschungsschwerpunkte: Hermeneutik, Metaphorologie, Diskursanalyse und Philosophie der Mythologie. Sein zuletzt veröffentlichtes Buch "Verbalradikalismus. Kritische Geistesgeschichte eines soziopolitisch-sprachphilosophischen Phänomens", erschien 2014 auch als E-Book.

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Wie ein verfälschter Kommunikationscode

An bestimmten Stellen des Diskurses beginnt die durch Gewaltbegriffe angereicherte Sprache umzuschlagen, das Archaische, das Verbalradikale bricht aus dem Wort hervor. Dieses archaische Element stellt eine Abweichung von der mitteilenden oder erklärenden Sprache dar, der bis dahin geltende Bedeutungshorizont wird übertreten.

Wie ein verfälschter Kommunikationscode stört diese veränderte Sprache die gegebene Ordnung, politisch, sozial und kulturell. Gewalt in der Sprache besitzt, ähnlich dem Überschreiten der "kritischen Masse", eine wirkungspsychologische Komponente des Effektes: Sie überrascht, ist übertrieben, unangemessen, verletzend und praktiziert Ausschließung.

Verbalradikale Äußerungen wirken subkutan, indem sie sich als Sprechakte im Sinne John L. Austins nicht nur auf sprachliche Aussagen beschränken, sondern auch Sprachhandlungen bilden können und als diese erinnerbar werden. Erinnerbare Sprechakte sind uneingeschränkt reproduzierbar und können die Wortbedeutung allmählich lenken, zuspitzen, semantisch aufladen oder auch zur Gänze umwerten.

Lauter und leiser Verbalradikalismus

Der Sprachmissbrauch instrumentalisierter brüllender Massen, die sprachlichen Vergiftungen und Durchsetzungen einer Gesellschaft sind aus der jüngeren Geschichte Europas bekannt. Während der nationalsozialistischen Sprachkatastrophe des 20. Jahrhunderts wurde die Sprache deformiert und gelangte in den monströsen Würgegriff erbarmungsloser, menschenverachtender Propaganda.

Doch es existiert auch ein perfider, leiser Verbalradikalismus, dessen Multiplikatoren nicht die sprachlich Gleichgeschalteten sind, sondern die opportunistisch-angepassten, die soziopolitischen Mitläufer. Sie sind zugleich Opfer und Täter im Kontext eines arglistig-hämischen Verbalradikalismus, der durch Klischees und Stereotype, jedoch auch durch offene Hass-Sprache in den Diskurs eingebracht wird.

Politik sucht Mehrheitsfähigkeit der Sprache

Die Sprache der Politik, die politische Sprache und die Sprache in der Politik - nicht die Sprache der Politikwissenschaft - ist keine Fachsprache, sondern eine aus mehreren Formen wissenschaftlicher und populärer Diskurse zusammengesetzte Zwecksprache. Ihr tendenzieller Mangel an Präzision ist dabei eine der Voraussetzungen für ihren Erfolg. Vereinfachungen, Schematisierungen und Generalisierungen führen die politische Sprache von der Eindeutigkeit zur Mehr- bzw. Vieldeutigkeit und damit geradewegs in die Uneindeutigkeit.

Erst diese Uneindeutigkeit bildet jene metaphorisch abgeschliffenen Identifikationsräume, die weit genug sind, damit sich eine gesellschaftliche Mehrheit in diesen einrichten kann. Der rhetorische Effekt dominiert die Debatte und politische Sachargumente werden nicht primär auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft, sondern auf ihre Mehrheitsfähigkeit, auf ihr Prestigepotenzial, wie Hannah Arendt dies nannte.

Wenn die Tat das Wort überschreitet

Das sprachliche Operieren mit diffusen Angstbildern und unzulässigen Verkürzungen dient dazu, die systemische Komplexität der Welt herabzusetzen und eine solcherart reduzierte Wirklichkeit scheinbar zu erklären und zu begründen. Beispielhaft, geradezu einem Lehrstück gleich, entwickelt sich gegenwärtig die Instrumentalisierung diffuser Ängste einer wachsenden Masse, die sich Pegida nennt, von einer Ansammlung zur Bewegung.

Längst überwunden geglaubtes Vokabular aus NS- und DDR-Zeiten, wie z. B. Lügenpresse steht wieder auf, der bedrohliche "gesunde Menschenverstand" hat Konjunktur und nimmt mittels verbal praktizierter Ausschließung Fahrt auf. Doch sprachlich bewirkte Veränderungen bleiben oftmals nicht in der Dimension des Textes stehen. Der Übergang vom Wort zur Tat ist stets ein qualitativer Sprung; doch in seinem Entstehen entspricht er Vorgängen von sich gegenseitig verstärkenden Sprechakten, kumulativen Wirkungen von Sprachhandlungen und aus semantischen Auf- und Überladungen ableitbaren Handlungsanweisungen.

Am Ende eines solchen Prozesses durchsetzt die Dynamik der Hass-Sprache eine fanatisierte, instrumentalisierte Masse vollends. An einem solchen Punkt angelangt, reicht der sprichwörtliche Funke bereits dazu aus, damit die Tat das Wort überschreitet.

Ab wann beginnt die Hass-Sprache?

An der Geburtsstätte des freien Wortes von 1789, in Paris, erschießen vor wenigen Tagen radikalisierte, islamistisch-fanatisierte Männer insgesamt 17 Menschen, unter ihnen Journalisten und Zeichner des bekannten französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo". Die Sprachräume und die Sprachhorizonte der Opfer und der Täter berührten sich nicht, sie hatten vermutlich niemals Schnittmengen.

Karikaturen sind kritische Schematisierungen, die als Zerrbilder der Realität stets der Interpretation des Einzelnen überlassen sind. Abhängig von vielen Faktoren werden diese Bilder kontextabhängig gelesen, kulturell unterschiedlich interpretiert, einer je eigenen Hermeneutik unterworfen. Die Maximen der republikanischen Rechte der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit sind unverhandelbar, dennoch vermag die Sprache der Bilder, die mögliche Form ihrer Lektüre auch zu verletzen.

Zahlreiche Staaten besitzen bereits Gesetze gegen Hass-Sprache, diese reichen vom Verbot der Holocaust-Leugnung über Paragrafen gegen religiöse, ethnische und sexuelle Diskriminierung bzw. Herabwürdigung bis zur Volksverhetzung. Auch der Europarat hat bereits Empfehlungen dazu abgegeben, hate-speech stärker in den Fokus der Betrachtung zu stellen, um entscheiden zu können, ob gewisse sprachliche Äußerungen von Hass-Sprache unter den verfassungsmäßig garantierten Schutz des freien Wortes fallen oder nicht; etwa dann, wenn diese dazu geeignet sind, Handlungen der Gewalt nach sich zu ziehen.

Doch auch der Prozess des Beurteilens hinsichtlich des Vorliegens von Hass-Sprache ist weitläufig und komplex, denn, wie die US-amerikanische Philosophin Judith Butler zeigte, ist jede performative Sprache stets kontextabhängig. Der Ermessensspielraum hinsichtlich der Entscheidung ob Hass-Sprache vorliegt, wird wiederum an Organe der jeweiligen Rechtssysteme zurückdelegiert. Es besteht gegenwärtig wenig Hoffnung, dass die Sprache der Gewalt und die Gewalt durch Sprache, wie wir sie heute kennen, alsbald zu einem behutsamen, gemäßigten Nebeneinander führen werden. Der Zivilisationsprozess der Sprache ist noch nicht an sein Ende gelangt, nur weil er Zeit zur Reife hatte.

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