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Oberfläche von Tschuri

Die wunderbare Welt des Kometen "Tschuri"

Schroffe Klippen, Staubfontänen und tiefe Löcher mit "Gänsehaut": Gleich mehrere neue Studien zeichnen ein vielfältiges und bizarres Bild von "Tschuri" - jenem Kometen, auf dem im November erstmals in der Geschichte eine Sonde gelandet ist.

Astronomie 23.01.2015

"Wir beobachten einen erwachenden Kometen", erläuterte Holger Sierks vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, einer der leitenden Wissenschaftler der Auswertung.

Die Instrumente der Kometenmission "Rosetta", darunter das Kamerasystem "Osiris", liefern den Forschern dabei den bisher detailliertesten Blick auf einen Schweifstern.

Kaum Farbschattierungen, hohe Klippen

Aus den zahlreichen Mosaiksteinen haben die Forscher bereits ein detailliertes Bild von 67P/Tschurjumow-Gerassimenko - wie "Tschuri" eigentlich heißt - zusammengesetzt. Er besitzt grob die Form eines Gummientchens mit einem kleineren Kopf und einem größeren Körper, die über einen schmalen Hals verbunden sind. Der Kopf hat in etwa einen Durchmesser von zwei Kilometern, der Körper ist rund vier Kilometer lang.

Anders als beispielsweise viele Asteroiden weist der Komet nahezu keine Farbschattierungen auf. Nur der Hals und einzelne Brocken auf der Oberfläche erscheinen etwas heller. Überraschend vielfältig zeigt sich dagegen die Oberfläche. Es gibt steile, bis zu 700 Meter hohe Klippen, Staubdünen, glatte Ebenen, Furchen, Geröllhalden mit Gruben und großflächige Senken. Viele Gegenden sind von einer vermutlich meterhohen Staubschicht bedeckt.

Ein glatter Hals

Rund 70 Prozent von "Tschuris" Oberfläche hat "Rosetta" bereits mit einer Auflösung kartiert, bei der mindestens 80 Zentimeter große Details zu erkennen sind. Die Forscher haben bisher 19 unterschiedliche Landschaften identifiziert.

"Auch aus morphologischer Sicht hebt sich die Halsregion des Kometen deutlich von den anderen Bereichen ab", erläutert der Leiter des "Osiris"-Teams. Anders als Kopf und Körper ist diese Region glatt und frei von Furchen oder Kratern. Allerdings zeigt sich ein langer Riss am Hals, der Folge einer mechanischen Belastung sein könnte.

Die Studien:

Die Artikelserie zu "Rosetta" ist am 22.1. 2015 als frei zugänglicher Schwerpunkt in "Science" erschienen.

Links:

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 23.1., 13:55 Uhr.

Die von Forschern getroffene regionale Einteilung von "Tschuri"

N. Thomas et al ., SCIENCE, VOL347, ISSUE 6220 (2015 )

Die von Forschern getroffene regionale Einteilung von "Tschuri"

Darüber hinaus haben die Forscher in Halsnähe und auf dem Rücken des Kometenkerns bis zu 200 Meter tiefe und bis zu 300 Meter breite zylinderförmige Löcher entdeckt. Deren Wände haben eine Art Gänsehaut - sie sind mit etwa drei Meter großen Klumpen gepflastert.

Das könnte darauf hinweisen, dass sich die Materie im jungen Sonnensystem, die auch das Baumaterial des Kometen stellte, generell nur bis zu dieser Größe zusammenballen konnte. Möglicherweise besteht also das gesamte Kometeninnere aus solchen Brocken

So schwer wie Kork und sehr aktiv

Erstmals haben die "Rosetta"-Forscher auch auf direkte Weise die Dichte eines Kometen bestimmt: "Tschuri" ist mit 470 Kilogramm pro Kubikmeter etwa so schwer wie Kork. "Wir gehen davon aus, dass der Komet aus Eis und Staub besteht, Materialien, die beide eine deutlich höhere Dichte aufweisen", betonte Holger Sierks.

Die gemessene Dichte deutet also darauf hin, dass der Kometenkern porös und zu 70 bis 80 Prozent leer ist. "Wir verstehen ihn derzeit als eine Art lockere Ansammlung von Eis-und Staubteilchen mit vielen, vielen Zwischenräumen", sagte der Göttinger Weltraumforscher.

Hoffen auf erneuten Kontakt im Mai

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hofft ab kommenden Mai auch auf neuen Kontakt zum Mini-Labor "Philae" auf dem Kometen "Tschuri". Im Moment liege das Gerät nach seiner spektakulären Landung Mitte November weiter im Schatten.

"Wir wissen zur Zeit nicht genau, wo 'Philae' ist", sagte DLR-Chef Johann-Dietrich Wörner am Donnerstag in Berlin. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass das Labor seine Batterien wieder auflädt, wenn der Komet der Sonne näher kommt. Dann könnte es aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.

Besonders glattes Terrain in der Region Imhotep

N. Thomas et al ., SCIENCE, VOL347, ISSUE 6220 (2015 )

Besonders glattes Terrain auf der Oberfläche

Bereits jetzt sei ist der Komet überraschend aktiv. "Er hat schon mehr Staubfontänen als viele andere Kometen bei ihrer größten Annäherung an die Sonne", berichtete "Osiris"-Forscher Dennis Bodewits von der Universität Maryland. Die meisten Staubfontänen liegen im Bereich des Halses.

In den vergangenen Monaten hat "Tschuri" ungewöhnlicherweise viermal soviel Staub ins All gespuckt wie Gas - normalerweise produzieren Kometen mehr Gas als Staub. Der Gas- und Staubausstoß beschert dem Kometenkern nicht nur eine dünne Atmosphäre. Staubklumpen umkreisen den Kern in bis zu 145 Kilometern Entfernung und vermutlich seit seiner vorangegangenen Annäherung an die Sonne.

Geysire mit einer Höhe von mehreren Kilometern

Die hohe Aktivität des Kometen kann auch Martin Volwerk vom Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), bestätigen: "Während der Komet im August 2014 noch wenig aktiv war, wird er jetzt immer wärmer, weil er sich der Sonne annähert." Dadurch werde der Gasdruck unter der Oberfläche immer höher und der Komet gebe Staub und Wasserdampf in Form von kilometerhohen Geysiren an die Atmosphäre ab, so der Forscher.

Im November hätten die Geysire eine Höhe von zwei bis vier Kilometern erreicht, so Volwerk, der insbesondere an den Wechselwirkungen des Kometenkerns mit dem Sonnenwind interessiert ist. Entsprechende Publikationen solle es im Laufe des Frühjahrs geben.

Sonnenbegegnung wird ihn verändern

"Die Aktivität wird bis zur größten Annäherung an die Sonne noch um den Faktor 100 zunehmen", erwartete Sierks. "Rosetta" wird sich zu diesem sogenannten Perihel (Sonnennähe) im August auf einen Sicherheitsabstand von etwa 100 Kilometern zurückziehen.

"Wir wissen, dass der Komet bei jedem Umlauf im Schnitt eine zwei bis drei Meter dicke Schicht seiner Oberfläche verliert", sagt Sierks. "Wir erwarten daher nach dem Perihel in großen Teilen eine ganz neue Oberfläche." Nach "Tschuris" größter Annäherung an die Sonne müssen die Forscher daher neue Karten des Kometen erstellen.

science.ORF.at/APA/dpa

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