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DNA-Stränge vor buntem abstrakten Hintergrund

Gentechnologie als Material für einen Thriller

Auf den ersten Blick hatten sie nicht viel gemeinsam: Johannes Mario Simmel, der Bestsellerautor, und Erwin Chargaff, der Chemiker. Bei einem vor knapp 30 Jahren erschienenen Roman trugen sie aber beide zum Erfolg bei. Der eine lieferte die spannenden Worte, der andere die Glaubwürdigkeit zum Thema - der Gentechnologie.

Literatur und Natur 26.01.2015

An dieses Zusammentreffen von Naturwissenschaft und Literatur erinnert Magdalena Bachmann - selbst Chemikerin und Germanistin - in einem Gastbeitrag.

Im Spannungsfeld zwischen Literatur und Wissenschaft

Von Magdalena Bachmann

Porträtfoto der Germanistin und Chemikerin Magdalena Bachmann

IFK

Magdalena Bachmann absolvierte ein Doktoratsstudium in Chemie an der Universität Innsbruck, wo sie seit 2012 auch ein Doktoratsstudium der Literatur- und Kulturwissenschaft verfolgt. Derzeit ist sie Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien.

Veranstaltungshinweis:

Am 26.1. hält Magdalena Bachmann einen Vortrag mit dem Titel "Gentechnologie als Thrill - Popularisierung eines wissenschaftlichen Diskurses am Beispiel der Chargaff-Rezeption Johannes Mario Simmels".

Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17,
1010 Wien; Zeit: 18 Uhr c.t.

Links:

1987 erscheint Johannes Mario Simmel Roman "Doch mit den Clowns kamen die Tränen": ein leicht lesbarer Thriller, der ein brisantes Thema, die Gentechnologie, mit Spannung, Sex and Crime anreichert und so einem Massenpublikum zugänglich macht.

Mit seinen "Clowns" landet Simmel, der bis dahin vom Feuilleton als Produzent seichter Trivialromane gehandelt oder gänzlich ignoriert worden war, einen nachgerade phänomenalen Erfolg. Das liegt jedoch nicht etwa an der literarischen Qualität, sondern vielmehr am Sujet: Dem akribischen Rechercheur gelinge es ganz ausgezeichnet, ein gleichermaßen aktuelles wie komplexes Thema verständlich darzustellen und die Leser/innen mit den Geheimnissen der DNA vertraut zu machen - Simmel vermittle Faktenwissen.

Diesen Anspruch untermauert Simmel in seinem Roman mit einer umfangreichen Lektüreliste und bedankt sich bei einer Reihe von beratenden Experten. Der mit Abstand wichtigste dieser Fachleute ist der Biochemiker Erwin Chargaff (1905-2002). Dieser fungiert sowohl für Simmel als auch seine neuen Protektoren im Literaturbetrieb als Gewährsmann, der für die Faktizität und damit die Relevanz und Qualität von Simmels Roman einsteht.

Chargaff: Biochemiker und Wissenschaftskritiker

In Czernowitz geboren, studiert der literaturbegeisterte Erwin Chargaff in Wien Chemie. Nach seiner Emigration ist er bis in die 1970er-Jahre als Professor für Biochemie an der Columbia University New York tätig.

Sein beruflicher Erfolg - Chargaff zählt zu den Pionieren der modernen Biochemie und hat wesentliche Beiträge zur Aufklärung der Struktur der DNA geliefert - hindert ihn nicht, nach seiner Emeritierung in polemischen, rhetorisch überformten Essays Kritik am eigenen Fach zu üben.

Seine Texte, die naturwissenschaftliche Probleme mit einer Vielzahl anderer Themen verknüpfen, machen ihn und seine Kritik in Deutschland und Österreich innerhalb von wenigen Jahren einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Zwischen Wissenschaft und Literatur

Oft wird freilich übersehen, dass es Chargaff gar nicht ausschließlich darum geht, Fachwissen zu popularisieren: Im Gegensatz zu Simmel zielt Chargaff primär darauf ab, als Literat und Kulturkritiker in der Tradition seines Vorbildes Karl Kraus wahrgenommen zu werden. In seinen Essays steht nicht die fundierte Argumentation im Vordergrund; er vertritt zugespitzte Thesen, poltert und polemisiert.

Indes werden Chargaffs Essays auf Grund seines wissenschaftlichen Hintergrundes vielfach als Texte gelesen, die nach denselben Kriterien wie Fachartikel zu bewerten sind. Das zeigen auch Simmels Roman und die dazu erschienenen Rezensionen, die sich auf Chargaffs Essays berufen - und dabei vor allem auf seine wissenschaftliche Autorität. Es kommt zu einer problematischen Diskrepanz: Jemand, der literarische Texte schreiben will, bleibt in den Augen der Öffentlichkeit, was er ein ganzes berufliches Leben lang war: ein hochdekorierter Experte, dessen Äußerungen zu fachspezifischen Themen Signifikanz und Gewicht zugeschrieben wird.

Heute so aktuell wie vor 25 Jahren?

Das Aufgreifen von Themen wie Gentechnologie, künstliche Befruchtung etc. durch einen Autor wie Simmel, dem immer wieder ein Sensorium für gesellschaftsrelevante Themen attestiert wird, macht die Aktualität des Sujets und das Bedürfnis der Bevölkerung nach entsprechendem Fachwissen in den 1980ern deutlich. Aber heute? Sind solche Fragen in einer Zeit, in der dieses Wissen längst Bestandteil des Biologielehrplans ist, immer noch aktuell?

Denkt man an die Debatten um Klonen und "Genmais", an die Diskussion um In-Vitro-Fertilisation, die jüngst mit der Strategie von Apple und Facebook, durch das "Freezen" von Eizellen eine besonders effiziente Karrieren- und Familienplanung zu ermöglichen, einen neuen Kulminationspunkt erreicht hat, denkt man an die Berichterstattung über Leihmütter aus wirtschaftlich schlecht gestellten Regionen der Welt, an ethische Fragen zu pränataler Diagnostik und daran anschließende Möglichkeiten genetischer Optimierung, dann ist diese Frage mit einem eindeutigen Ja zu beantworten.

Von Chargaff und Simmel zu Lewitscharoff

Interessanterweise scheint es nämlich von der Argumentationsweise her kaum eine Rolle zu spielen, wer wann warum und in welchem Kontext sich dazu äußert. Ob der Naturwissenschaftler Chargaff sich in den Anfangsjahren der Gentechnologie im Fachjournal "Nature" an seine Kollegen richtet und Horrorszenarien von geklonten Embryonen und halbmenschlichen Chimären entwirft, ob Simmel biochemisches Wissen inklusive damit verknüpfter Ängste in einen Trivialroman verpackt oder ob die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff vor nicht einmal einem Jahr die moderne Reproduktionsmedizin mit harschen Worten kritisiert: Die Topoi gleichen sich trotz der großen Zeitspanne ganz erstaunlich - teilweise bis hin zur Wortwahl.

Ohne Autoren wie Simmel oder Chargaff zu großen Schriftstellern zu stilisieren, wäre es hilfreich, deren Präsenz in bestimmten Diskursen und damit auch deren Relevanz für die Popularisierung und Verbreitung von Wissen und damit verknüpften ethischen Beurteilungen anzuerkennen: Abseits literarischer Wertkategorien können so interessante Einblicke in prominente Denkmuster und deren Nachhaltigkeit gewonnen werden.

Insofern hatte Frank Schirrmacher 1987 mit seinem Aufruf in der FAZ "Man soll den Simmel nicht schmähen" womöglich Recht. Was noch zu erweitern wäre: Man sollte auch Erwin Chargaff nicht ignorieren - weder den Biochemiker noch den Literaten.

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