Standort: science.ORF.at / Meldung: "Die Zufriedenheit der Pendler"

Autos im Stau von hinten

Die Zufriedenheit der Pendler

Seit der Ostöffnung des Arbeitsmarkts vor knapp vier Jahren sind weniger Arbeitskräfte nach Österreich gekommen als ursprünglich angenommen. Forscher haben nun untersucht, wie sich die Löhne von Pendlern entwickelt haben und mit jenen von Österreichern verglichen. Fazit: Bei gleicher Arbeit verdienen sie die Hälfte - sind aber genauso zufrieden.

Soziologie 02.02.2015

Während unselbstständig beschäftigte Österreicher auf einen Durchschnittslohn von 15 Euro brutto pro Stunde kommen, sind es bei Pendlern knapp acht Euro. Im Vergleich zu ihren Landsleuten, die nicht pendeln, sind sie deutlich zufriedener. Und das liegt - trotz zahlreicher Nachteile, die Pendeln mit sich bringt - am Lohn: Das ist mehr als doppelt so hoch wie zuhause.

Links:

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 2.2., 13:55 Uhr.

1.300 Betroffene befragt

Was bewegt Menschen zu pendeln? Diese Frage zu klären, ist eines der Hauptanliegen des Forschungsprojekts "Translab". Eine Gruppe Soziologen untersucht dabei ein ideales Gebiet: "Centrope", also die Grenzregionen von Österreich zu Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Da die Arbeitsmarkstatistiken in erster Linie national erstellt werden und außerdem nichts über die persönlichen Beweggründe der Betroffenen aussagen, haben die Translab-Forscher rund 1.300 Pendler bzw. Pendlerinnen aus den drei Grenzregionen befragt.

"Und zwar über ihre Berufsbiografien, ihre Familiensituation, ihren Erwerbsverlauf, ihr aktuelles Einkommen, ihre sozialen Netzwerke, aber auch ihre Einstellungen und Bewertungen des Pendelns und dessen Auswirkungen auf die Herkunftsregionen", wie die Projektmitarbeiterin Laura Wiesböck erklärt. Diese Informationen verglichen die Forscher mit ähnlichen Angaben von Österreichern sowie Ungarn, Tschechen und Slowaken, die nicht pendeln.

Ergebnis: "Pendler weisen generell eine höhere Lebenszufriedenheit auf als ihre Landsleute, die nicht pendeln", sagt Raimund Haindorfer, ein weiterer Projektmitarbeiter. "Sie liegt in etwa auf dem Niveau von Österreichern und über dem von vielen anderen Migrantengruppen, die in Österreich leben, z.B. Migranten aus der Türkei oder aus ex-Jugoslawien."

Löhne sind entscheidend

Der Grund dafür sind vielfach die Einkommensgewinne. Die Einkommen der Pendler und Pendlerinnen sind in Österreich doppelt so hoch wie in den Herkunftsländern: Im Schnitt verdienen sie einen Bruttolohn von acht Euro, zuhause weniger als vier Euro. Aber: Der durchschnittliche Bruttolohn von Österreichern liegt mit knapp 15 Euro noch einmal doppelt so hoch. Offensichtlich geht es bei der Zufriedenheit also nicht um das absolute Lohnniveau, sondern um das relative.

"Das Referenzsystem ist eindeutig die Heimat", sagt Roland Verwiebe, der Projektleiter und Vorstand des Instituts für Soziologie an der Universität Wien. "Migration oder Pendeln trägt potentiell das Element des Aufstiegs in sich. Menschen, die sich im Ausland eine Arbeit suchen, sind oft hoch motiviert. Wenn das Vorhaben gelingt - erst recht vor dem Hintergrund der allgemeinen Wirtschaftskrise - dann spiegelt sich das auch in hohen Zufriedenheiten wider."

Österreicher verdienen doppelt so viel

Der Preis für das Pendeln ist aber durchaus hoch. Die Betroffenen verbringen nicht nur jeden Tag zum Teil stundenlang in Auto, Bus oder Bahn, was das Familien- und Privatleben beeinträchtigt. Sie haben auch oft bessere Berufe in ihrer Heimat aufgegeben. Die meisten Jobs der Pendler und Pendlerinnen in Österreich liegen im Niedriglohnsektor, etwa in Handel, Gastronomie, Bauindustrie, Landwirtschaft und Sozialwesen.

"Die studierte Lehrerin arbeite im Handel, der promovierte Chemiker am Bau", zählt Verwiebe Beispiele auf. Dazu kommen zum Teil schmutzige Methoden der Arbeitgeber in Österreich. "Meistens stufen sie die Pendler mit null Jahren Berufserfahrung ein, d.h. sie fangen an wie Lehrlinge. Ob sie zuvor zehn Jahre gearbeitet haben oder nicht, spielt keine Rolle", so der Soziologe.

Das erklärt auch zum Teil, warum Pendler zwar doppelt so viel Geld verdienen wie in ihrer Heimat, aber nur halb so viel wie Österreicher. Eigentlich seltsam, wo doch die meisten Arbeitsplätze kollektivvertraglich geregelt sind. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel: Im Handel verdienen Österreicher und Österreicherinnen im Schnitt 13 Euro brutto in der Stunde, Pendler und Pendlerinnen nur 5,15.

Die Tricks der Arbeitgeber

Das liegt zum einen daran, dass sie - wie im Handel - in schlecht bezahlten Branchen arbeiten, und auch dort die niedrigsten Tätigkeiten mit den beschriebenen schlechten Einstufungen übernehmen. Aber auch an weiteren illegalen Praxen der Arbeitgeber, die das Arbeitsrecht umschiffen: "Viele Pendler müssen akzeptieren, dass sie 40 Stunden arbeiten, aber nur 20 bezahlt bekommen. In der Landwirtschaft oder auf dem Bau ist das gängige Praxis", erklärt Verwiebe.

Dazu kommen Mutterschutzprobleme, unbezahlte Überstunden und der Umstand, dass sie oft bei Leiharbeitsfirmen angestellt sind, die ihren Sitz außerhalb Österreichs haben und noch niedrigere Löhne zahlen als heimische.

Ein weiteres Negativ-"Schmankerl" aus der Arbeitswelt, das die Forscher durch Experteninterviews herausgefunden haben: "Es gibt Arbeitgeber, die überweisen den regulären Gehalt, die Arbeitnehmer müssen einen Teil davon aber am nächsten Tag in einem Kuvert in bar wieder zurückgeben", so Laura Wiesböck.

40.000 Menschen pendeln täglich

All diese Misslichkeiten führen aber bei den Pendlern und Pendlerinnen laut Forschern nicht automatisch zu einer schlechten Stimmung. Im Gegenteil. Vielfach werden sie als der Preis aufgefasst, der für einen deutlich höheren Lohn als in ihrer Heimat zu zahlen ist. Und der wird als "relativer Wohlstandsgewinn" aufgefasst, d.h. als Gewinn im Vergleich zu den Landsleuten, die weiterhin in ihren Herkunftsregionen leben und arbeiten.

Zum erwarteten Ansturm von Pendlern ist es bisher übrigens nicht gekommen. "Prognosen vor der Arbeitsmarktöffnung im Mai 2011, etwa vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, sind davon ausgegangen, dass mittelfristig sogar über 100.000 Menschen aus Ungarn, Tschechien und der Slowakei nach Österreich pendeln würden", erklärt Roland Verwiebe. "Tatsächlich sind es heute 40.000 - bei weitem nicht so viele wie ursprünglich angenommen."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: