Denn zum einen scheinen die bisher bekannten österreichischen Akteure nur in einer abgegrenzten Szene vernetzt zu sein. Und zum anderen, so schreibt der auf antimuslimischen Rassismus spezialisierte Forscher, kanalisiere die FPÖ als parlamentarisch etabliertes Sammelbecken zu einem großen Teil jenen Unmut, der in Deutschland die Massen auf die Straße getrieben hat.
PEGIDA: Rechtsextremer Bürgerprotest auch in Wien?
von Benjamin Opratko

Reinhard Lang
Benjamin Opratko ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien und Redakteur von mosaik-blog.at.
Teilnehmer der Dresdner PEGIDA weisen stets brüsk von sich, bloß ein Haufen "Nazis im Nadelstreif" zu sein. Tatsächlich sammelt sich hinter dem Banner der PEGIDA eine soziale Dynamik, die gefährlich ist, gerade weil sie nicht bloß auf rechtsextreme und neofaschistische Milieus reduziert werden kann.
PEGIDA-Anhänger präsentieren sich als besorgte, Wahrheit und Aufklärung verpflichtete Bürger, verstehen sich als bislang schweigende Mehrheit, ignoriert von einer abgehobenen politischen, publizistischen und kulturellen Elite. Sie skandieren "Wir sind das Volk" und stellen zugleich fest, wer dessen Teil nicht sein kann: Muslime und Ausländer, die "Lügenpresse", die "Multikulti-Elite".
Signifikante Teile der Mittelschichten
Die Selbstbeschreibung als "einfache Bürger" hat natürlich etwas Narzisstisches, doch steht sie auch für einen realen sozialen Sachverhalt. Auch wenn noch wenige gesicherte Ergebnisse zur genauen sozialen Zusammensetzung der Proteste vorliegen und existierende Studien für methodische Mängel kritisiert wurden, ist doch augenscheinlich, dass bei PEGIDA in Dresden tatsächlich signifikante Teile der Mittelschichten vertreten sind.
Doch das ist nicht unbedingt eine gute Nachricht. Im Gegenteil scheint sich hier Bahn zu brechen, was etwa der Soziologe Wilhelm Heitmeyer schon vor vier Jahren im Rahmen der Langzeitstudie zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" empirisch festgestellt und als "verrohte Bürgerlichkeit" beschrieben hatte: Eine kulturelle Strömung der Abgrenzung und Entsolidarisierung, im Alltagsverstand signifikanter Teilen der Mittelschicht verankert und in analogen wie digitalen Teilöffentlichkeiten sich ausbreitend.
Sie kanalisiert soziale Abstiegsängste und Furcht um die Hegemonie des eigenen, bürgerlichen Lebensmodells in einen Radikalismus der Mitte. Radikal ist er in seinem pathologisch übersteigerten Beharrungsbedürfnis, das jede befürchtete Veränderung, wie abstrus sie sein mag, als Anzeichen der Apokalypse des Abendlandes deuten muss. So äußerten sich Anhänger von PEGIDA in Interviews gegen die angeblich bevorstehende Abschaffung von Weihnachtsmärkten, Pflichtbesuche in Moscheen oder die Einführung des Islam als deutsche Staatsreligion.
Bindemittel Rassismus
Als Bindemittel funktioniert dabei, was ähnliche Bewegungen historisch schon häufig zusammengehalten hat: Rassismus. Auch hier gilt: PEGIDA in diesem Sinne ernst zu nehmen. Sie sind die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands". Sie tragen den Feind schon im Namen: Den Islam und damit die Muslime. Die angebliche Unterwanderung europäischer - oder deutscher, österreichischer oder christlicher, diese Ambivalenz ist konstitutiv für diese Art des Rechtspopulismus - Kultur fasst die sozialen Ängste und Ressentiments der extremen Mitte in einem verschwörungstheoretisch unterlegten Bedrohungsszenario zusammen.
Dass dieses wider jede empirische Realität funktioniert, lässt sich anhand des besonderen Erfolgs von PEGIDA in Sachsen illustrieren, wo Muslime knapp unter 0,2 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Reale Erfahrungen
Das heißt freilich nicht, dass PEGIDA einfach eine Sammelbewegung von Paranoikern wäre. Tatsächlich werden in den Mobilisierungen reale Erfahrungen, soziale und politische Verwerfungen aufgegriffen. Die Angst vor dem sozialen Abstieg hat in einer Volkswirtschaft, das sich den Aufstieg zum Exportweltmeister mit der Schaffung eines riesigen Mini- und Niedriglohnsektors und der Kürzung von Pensionen und Arbeitslosengeld erkauft hat, nichts Wahnhaftes - gerade im sozial schwachen Umland Dresdens.
Und die Darstellung aller Politiker, Parteien und Medien als verlogene Kabale gegen die Interessen "des Volkes" bezieht sich ebenfalls auf Prozesse, die für weite Teile der deutschen und europäischen Bevölkerung Erfahrungsrealität sind. Was politikwissenschaftlich als "Postdemokratie" bezeichnet wird - die Aushöhlung parlamentarischer Prozesse, die Verengung demokratischer Entscheidungsfindung durch die "Sachzwänge" der Ökonomie, Korruption und wechselseitige Durchdringung eines sozial immer homogener werdenden politischen und ökonomischen Establishments - ist durchaus aller Kritik wert.
Doch wird sie von PEGIDA nicht im Sinne umfassender Demokratisierung skandalisiert, sondern durch Vereinfachungen einer antidemokratischen Sehnsucht nach autoritärer Führung überlassen - was nebenbei die bisweilen bizarr anmutende Begeisterung unter PEGIDA-Anhängern für Vladimir Putin erklärbar macht.
Potenzial auch in Österreich
Diese strukturellen Bedingungen für das Entstehen der PEGIDA-Bewegungen in Dresden sind für Österreich nicht eins zu eins umlegbar. Zentrale Komponenten sind aber durchaus vorhanden. Zwar blieben der österreichischen Bevölkerung bisher harte soziale Einschnitte wie die Hartz IV-Gesetze und flächendeckende Niedriglohnsektoren erspart, die höchste Arbeitslosenrate in der Geschichte der Zweite Republik und die Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse auch und gerade in der Mittelschicht macht die soziale Angst aber zu einem realen Faktor.
Zudem ist das Vertrauen in die politischen Eliten auf nationaler wie europäischer Ebene in Österreich anhaltend schwach ausgeprägt. Und nicht übersehen werden sollte schließlich, dass die Verschwörungstheorien, die PEGIDA als ideologische Klammer dienen, auf einem tief verankerten und weit verbreiteten Klima des antimuslimischen Rassismus aufsetzen können. Die Gegenüberstellung eines aufgeklärten, europäischen Europas und eines rückständigen, bedrohlichen Islams ist längst Teil des politischen und medialen Mainstreams in Österreich wie in Deutschland geworden.
Die Verächtlichmachung von Muslimen ist für PEGIDA gleichsam das Eintrittsticket in jene bürgerlichen Öffentlichkeiten, die die Ignoranz ihren Anliegen gegenüber sie so lautstark beklagen. Insofern existiert das Potenzial für eine rechtsextrem geprägte Bewegung, wie sie sich in Dresden formierten konnte, durchaus auch in Österreich.
Mäßiges Geschick der Akteure
Zwei Dinge jedoch sprechen entscheidend gegen einen unmittelbaren Erfolg von PEGIDA Wien. Erstens wird Politik immer noch von Menschen gemacht, nicht von objektiven Faktoren. Die Akteure hinter PEGIDA Wien gehen dabei allem Anschein nach mit mäßigem Geschick vor, sowohl was die Vernetzung innerhalb der rechtsextremen Szene, als auch was die Herstellung einer brav-bürgerlichen Fassade betrifft.
Neben dem "Sprecher" Georg Nagel, der bisher allenfalls einer überschaubaren Teilöffentlichkeit als Autor in rechtsextremen Periodika aufgefallen sein dürfte, dürften die Hintermänner laut bisherigen Berichten vor allem aus der rechtsextremen Fußball-Hooligan-Szene kommen und sich schwer damit tun, Bündnispartner zu finden, die in der Öffentlichkeit als gemäßigt gelten.
FPÖ als wohl erprobte Heimat
Der zweite Grund betrifft den nähest liegenden potenziellen Bündnispartner von PEGIDA Wien selbst. Schließlich existiert in Österreich, anders als in Deutschland, eine etablierte Partei mit massenhafter Wählerbasis, in der ein guter Teil der in Dresden erhobenen Forderungen und verbreiteten Ressentiments eine wohl erprobte Heimat hat.
Insofern ist es nur folgerichtig, wenn Heinz-Christian Strache selbstbewusst tönt, "die wahre PEGIDA" wäre in Österreich die FPÖ. Diese dürfte, zumindest im Moment, aus wahlstrategischen Gründen kein Interesse an zugespitzten öffentlichen Konfrontationen haben. Sollte die FPÖ-Führung ihre Einschätzung jedoch ändern und auf eine Strategie der massenhaften Straßenmobilisierung setzen, könnte daraus tatsächlich eine in jüngerer Zeit ungekannte politische Herausforderung in Österreich erwachsen.