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Musiknoten

Woher kommt die Musik?

Singvögel, Kakadus und sogar Karpfen und Tauben: Sie alle haben in Experimenten bestimmte Formen von Musikalität bewiesen. Ob Tiere tatsächlich musikalisch sind und wie sich die Musikalität beim Menschen entwickelt hat, untersucht das junge Wissenschaftsfeld "Biomusikologie".

Verhaltensforschung 19.02.2015

Marisa Hoeschele, Kognitionsbiologin an der Universität Wien, forscht zu diesem Thema. "Tiere teilen sich mit Menschen einige Fähigkeiten, die als Voraussetzung für Musikalität dienen. Beispielsweise die Fähigkeit, Geräusche zu imitieren oder einen Rhythmus zu erkennen", erklärt die junge Wissenschaftlerin gegenüber science.ORF.at. "Die Komplexität der menschlichen Musik ist aus ihrer kulturellen Entwicklung erwachsen. Doch wir vermuten, dass die zugrundeliegenden kognitiven Vorgänge bei Tieren gefunden werden können."

Der Artikel:

"Searching for the origins of musicality across species", Marisa Hoeschele und Kollegen, erschienen in den "Philosophical Transactions B" am 2. 2. 2015

Virale Videos helfen der Forschung

Aus älteren Studien lässt sich laut Hoeschel schließen, dass die kognitiven Voraussetzungen für Musikalität bereits in vormenschlichen Evolutionsstufen liegen könnten. Gewisse musikalische Fähigkeiten konnten Versuchstieren bei Experimenten in den 1980er-Jahren antrainiert werden. Etwa Karpfen und Tauben, die letztendlich in der Lage waren, verschiedene Musikgenres und Akkorde zu unterscheiden. Doch reicht ein solches Experiment wirklich für die Annahme, dass Tiere musikalisch sind und dass der Ursprung der menschlichen Musik weit in der Evolution zurückliegt? Schließlich wurden diese Tiere ja trainiert.

Zwar gebe es eine Debatte unter Wissenschaftlern, über die Aussagekraft solcher Studien. Doch tatsächlich weisen laut Hoeschele auch einige andere Tiere, die nicht im Labor trainiert wurden, einige musikalische Fähigkeiten auf. Papageien scheinen musikalische Naturtalente zu sein. Marisa Hoeschele erklärt: "Sie haben viele wesentliche Fähigkeiten, die bei anderen Tieren so nicht vorkommen. Sie können Geräusche imitieren und neuen Gesang erlernen. Zudem können sie die exakte Tonhöhe einer Note erkennen. Und nicht zuletzt scheinen sie auch ein Rhythmusgefühl zu haben."

Tiervideos auf YouTube haben laut Hoeschele bei der Entdeckung einiger dieser Phänomene keine unbedeutende Rolle gespielt: "Snowball, ein Kakadu, wurde zum Internetphänomen, weil er rhythmisch synchron zu Musik tanzen kann. Wissenschaftler statteten ihm einen Besuch ab und spielten dem Vogel unterschiedlich schnelle Musik vor, zu der er sich immer passend bewegte." Zwar gebe es auch Videos von "tanzenden" Hunden oder Katzen. Die asynchronen Bewegungen lassen jedoch darauf schließen, dass Hunden das Rhythmusgefühl fehlt.

Vögel "komponieren" neuen Gesang

Auch bei anderen Tieren konnten verschiedene musikalische Fähigkeiten beobachtet werden. Singvögel verwenden ihren Gesang als Kommunikationsmittel. "Einige dieser Singvogelarten komponieren ihren eigenen, einzigartigen Gesang", erklärt Hoeschele. "Oftmals sind diese einzigartigen Arrangements zusammengesetzt aus den 'Liedern' anderer Artgenossen. Manchmal finden sich darin jedoch auch neue Geräusche aus der Umwelt."

Man schließt daraus, dass gewisse äußere Einflüsse notwendig seien, um Musikalität oder musikalische Fähigkeiten zu erwerben. Menschliche Säuglinge etwa müssen die Stimme und Mimik ihrer Eltern wahrnehmen können, um Sprache zu erlernen. Laut Hoeschele könnte diese detaillierte Wahrnehmungsfähigkeit eine Schlüsselrolle für Musikalität spielen.

In Tierstudien konnte man hierzu Parallelen finden: Vögel, die das Verhalten ihrer Eltern nachahmten, wiesen mehr musikalische Fähigkeiten auf als Vögel, die keine Lautäußerungen gelernt hatten. Daher vermuten einige Wissenschaftler, dass Musik lediglich ein Nebenprodukt der Sprache sei.

Musik als sozialer Kitt und "auditiver Käsekuchen"

Theorien, was denn nun der Zweck dieses "Nebenprodukts" sei, gibt es laut Hoeschele viele. Verbreitet ist die Meinung, dass sie als sozialer Kitt für die Menschheit dient - ein Beispiel dafür sind etwa Schlaflieder, die Kindern vorgesungen werden. Darwin wiederum glaubte, dass die Musik wichtig für sexuelle Anziehung sei.

Einen anderen, trivialeren Ansatz hat der Experimentalpsychologe Steven Pinker: Er sieht Musik als "auditory cheesecake". Diese Hypothese besagt, dass unser Gehör an Musik Gefallen findet, wie unser Geruchs- und Geschmackssinn Gefallen an einem Kuchen findet; einfach aus dem natürlichen Verlangen nach Süßem und Fettigem.

"Es gibt viele Diskussionen darüber, was der primäre Zweck der Musik ist, oder ob sie überhaupt einen primären Zweck hat", so Hoeschele.

Grundlage für weitere Forschung

Die Forscherin sieht jedenfalls in der Biomusikologie noch viel Potenzial. Zwar ließen die bekannten Entdeckungen schon einige Rückschlüsse zu, jedoch stecke die Forschung in dem Gebiet noch in ihren Kinderschuhen. Die Kognitionsbiologin gibt sich in ihrer Zusammenfassung jedoch optimistisch: "In jüngster Zeit scheint das Interesse an dem Thema zu steigen, was eine Ausweitung der Forschung auf dem Gebiet wahrscheinlich macht."

Ihr Resümee, das in den "Philosophical Transactions B" der Royal Society erschienen ist, soll als Grundlage für die künftige Forschung dienen. Denn: Zahlreiche Fragen gebe es noch zu beantworten. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre etwa, das natürliche Verhalten bei wenig erforschten Tieren zu studieren, meint die Biologin. Ebenso wichtig sei es, auch das natürliche Verhalten von Tieren zu studieren, die üblicherweise im Labor untersucht werden.

Lukas Lottersberger, science.ORF.at

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