Das betont Markus Pausch im Gespräch mit science.ORF.at. Der Politologe am Zentrum für Zukunftsstudien der FH Salzburg war einer der österreichischen Experten, die im Rahmen des "Electoral Integrity Projects" befragt wurden.
Für das Großprojekt sind die Regierungs- und Präsidentschaftswahlen in 127 Ländern zwischen dem 1. Juli 2012 und dem 31. Dezember 2014 untersucht worden. Die Bewertung erfolgte dabei durch nationale Experten. Pro Land wurden 40 angeschrieben, die Rücklaufquote betrug knapp 30 Prozent. Insgesamt basieren die Ergebnisse nun auf der Sicht von mehr als 1.400 Wahlexperten.
"Wir sollten unter anderem die Wahlgesetze des Landes beurteilen oder ob es Einschränkungen für bestimmte Gruppen gibt", so Pausch. Weitere wichtige Punkte waren die Wahlprozedur selbst, mediale Kampagnen, die Freiheit in der Berichterstattung und die Finanzierung.
Ranking der Integrität
Insgesamt waren es 49 Kriterien, die den gesamten Prozess vom Wahlkampf bis zur Stimmenauszählung erfassen sollten, aus denen dann auf einer Skala von eins bis hundert der sogenannte PEI-Index des jeweiligen Landes errechnet wurde - die Grundlage des finalen Rankings.
Die Ergebnisse sind wenig überraschend. Tendenziell gilt: Je etablierter das demokratische System, desto integrer die Wahl. So befinden sich unter den Top Ten erwartungsgemäß Norwegen, Schweden, Deutschland und Holland. Österreich liegt knapp dahinter, auf Platz elf. Aber auch manche sehr junge Demokratien schafften es auf die vordersten Ränge, z.B. Litauen, Tschechien und Slowenien. Prominenteste Ausreißer nach unten sind die USA. Trotz des schon länger etablierten Systems landeten die beiden bewerteten Wahlen im Untersuchungszeitraum nur auf Platz 42 und 45.
Das schlechte Abschneiden der USA ist laut dem Bericht unter anderem auf Unstimmigkeiten und politische Willkür bei der Einteilung von Wahlkreisen sowie bei der Wählerregistrierung zurückzuführen. Dass Länder wie Tschechien und Slowenien recht gut abschnitten, hat den Politologen Pausch nicht überrascht: "Viele der zentralmitteleuropäischen Länder haben eine gute Entwicklung in Richtung Demokratie durchlaufen."
Dass sie so weit vorne platziert sind - man muss einschränkend dazu sagen, dass zwischen den ersten 20 Plätzen nicht einmal zehn Punkte liegen - kann natürlich mit unterschiedlichen subjektiven Erwartungen zu tun haben. Während in jungen Demokratien die Erwartungen vielleicht geringer sind und daher leichter übertroffen werden können, ist der Blick in etablierten Systemen vielleicht eher ein kritischer.
Wahlbeteiligung nicht berücksichtigt
Pausch hält die Ergebnisse für relevant, da sie erstmals empirisch vergleichend und über viele Länder hinweg aufzeigen, wie es um die Qualität von Wahlen steht. Vergleichbar sind nur die Demokratiemessungen von Freedom House und das Schweizer Demokratiebarometer, das ungefähr hundert Indikatoren verwendet und nach Ansicht von Pausch eines der besten Instrumente ist, aber weniger Länder als das aktuelle Ranking erfasst.
Generell warnt er jedoch zur Vorsicht bei der Interpretation des neuen Rankings. So kann etwa allein die Anzahl der verfügbaren Experten einzelne Prozentpunkte bringen oder kosten. Als Gradmesser für die Qualität der jeweiligen Demokratie würde er es ebenfalls nicht heranziehen. Dazu seien allein die gestellten Fragen nicht ausreichend.
Eine ganz wichtige Frage fehlt ihm zufolge, nämlich jene nach der Wählerbeteiligung. Das perfekteste Wahlsystem bringt wenig, wenn keiner hingeht. Dadurch ebenfalls nicht erfasst ist, welche Menschen nicht zur Wahl gehen. Diese soziale Selektivität ist beispielsweise beim Demokratiebarometer eines der Kriterien. Posch beschreibt, was dabei etwa für die Schweiz, wo die Wahlbeteiligungen generell recht niedrig sind, herauskommt: "Der typische Schweizer Wähler ist ein älterer, wohlhabender Mann."
Darüber hinaus sind weder in diesem noch in anderen Erhebungen jene Menschen inkludiert, die als Ausländer nicht wählen dürfen. Dadurch sinkt die Nettobeteiligung weiter. Pausch erklärt, was das etwa bei den EU-Wahlen ausmachte. Von den ca. 380 Millionen Wahlberechtigten (Gesamtbevölkerung derzeit ca. 507 Mio.) verzichteten schon 57 Prozent freiwillig auf ihr Recht. Zählt man dann noch jene dazu, die nicht wählen dürfen, haben zwischen 240 und 260 Millionen Menschen effektiv nicht teilgenommen - das sind rund zwei Drittel.
Dass Österreich in dem Ranking weit vorne liegt, ist für Pausch wenig überraschend. "Es handelt sich tatsächlich um eine der am besten funktionierenden Demokratien der Welt", so Pausch. Die Schwächen des Landes liegen sowohl beim aktuellen Ranking als auch beim Demokratiebarometer unter anderem in der hohen Medienkonzentration - ein bekanntes und vielbeklagtes österreichisches Phänomen. Bei der Transparenz der Parteienfinanzierung gibt es ebenfalls Defizite. Die soziale Selektivität bei Wahlen ist auch relativ hoch.
Was denkt die Bevölkerung?
Was beim neuen Ranking ebenfalls völlig unberücksichtigt blieb, ist die Sicht der Wählerinnen und Wähler. Mit dieser beschäftigt sich eine soeben in "Science" erschienene Studie. Demnach wächst die Unterstützung der Demokratie als politisches System mit der Anzahl der Jahre, die jemand in einer solchen lebt. Laut den Autoren Nicola Fuchs-Schündeln und Matthias Schündeln von der Goethe-Universität in Frankfurt ist das ein positiver Ausblick für jene Länder, die erst seit Kurzem zu den demokratischen zählen.
Pausch mahnt auch hier zur Vorsicht: "Ich habe grundsätzlich auch keinen Zweifel daran, dass sich die Dauer der Demokratie positiv auf die Zustimmung zur Demokratie auswirkt, aber das ist mit Sicherheit kein Automatismus." Denn auch wenn die Demokratie grundsätzlich anerkannt ist, beobachten Forscher seit Jahren einen gegenläufigen Trend - die Zufriedenheit mit derselben seitens der Bevölkerung sinkt, besonders in den etablierten Demokratien. Forscher sprechen in diesem Zusammenhang vom Demokratie-Paradoxon.
Die sinkende Akzeptanz zeigt sich laut Pausch auch in der jüngsten Eurobarometer-Umfrage. Demnach vertrauen 80 Prozent der Menschen in Europa den politischen Parteien nicht mehr, Österreich liegt nur knapp unter dem Schnitt. Beim Vertrauen in demokratische Institutionen wie dem Parlament sieht es noch etwas besser aus, die Zahlen sind laut Pausch dennoch beunruhigend. Auch die Wahlbeteiligungen in Europa sinken laufend. Diese offenbar akute Krise der Demokratie wird von keinem der Analyseinstrumente erfasst.
Wege aus der Krise
"Was man sicher sagen kann: Als Staatsform ist die Demokratie am Vormarsch. Wenn man Minimalkriterien wie z.B. regelmäßige Wahlen gelten lässt, ist sie heute die mehrheitliche Staatsform. Nichtsdestotrotz sind die etablierten westlichen Demokratien in einer Krise", so Pausch. Das wird ihm zufolge zwar nicht dazu führen, dass die Demokratie als Ganzes in Frage gestellt wird.
Aber man müsse genauer hinschauen. Manches Land, das sich als Demokratie bezeichnet, ist vom Idealbild schon ein Stück entfernt. Ein Beispiel dafür ist unser östlicher Nachbar Ungarn, der laut Pausch eine sehr ausschließende Demokratie lebt, mit einem sehr engen Verständnis, wer überhaupt Zugang zu politischen Rechten hat.
Gibt es nun Wege aus der Krise? Und welchen Beitrag leistet die Bevölkerung? Laut Pausch gibt es in dieser eine sehr große Diskrepanz: Auf der einen Seite wenden sich die sozial Schwächeren ab. Auf der anderen Seite gibt es auch Initiativen für mehr Demokratie. Diese zementieren sich jedoch oft als Gegenmodell zur existierenden repräsentativen Demokratie in der Forderung nach mehr direkter Demokratie ein - laut Pausch auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Im Rahmen der Forschung hat man bereits begonnen, nach sinnvollen demokratischen Innovationen zu suchen. Unter den diskutierten Ideen sind Bürgerräte oder die Ausdehnung der Demokratie in die individuelle Lebens- und Arbeitswelt. Das meiste davon steckt allerdings noch in den Kinderschuhen.
Für Länder wie Österreich sieht der Politologe derzeit zwei mögliche Wege: "Auf der einen Seite die Möglichkeit einer inklusiven Demokratie. D.h., man öffnet sich, etwa für Zuwanderer oder hinsichtlich eines gemeinsamen Europas." Oder man geht den Weg in Richtung einer exklusiven Demokratie. Diese Tendenz und Parteien, die diese Richtung unterstützen, gibt es in ganz Europa, hierzulande ist es die FPÖ. "Diese würde die Demokratie ja nicht abschaffen, wenn sie an die Macht käme, aber den Zugang zu den politischen Rechten würden sie sicher eher exklusiv gestalten", so die Einschätzung von Pausch.
Eva Obermüller, science.ORF.at