Die britische Studie wertete die Daten aus 31 europäischen Ländern aus. Die Unterschiede sind mitunter beträchtlich. Warum in manchen Ländern besonders häufig Kaiserschnitt zur Anwendung kommt, bleibt dabei weitgehend offen. Man vermutet jedoch einen Zusammenhang mit dem Zustand der nationalen Gesundheitssysteme.
Die Studie:
"Wide differences in mode of delivery within Europe: risk-stratified analyses of aggregated routine data from the Euro-Peristat study"
von Alison Macfarlane und Kollegen, erschienen in "BJOG" am 9. März 2015
Weit verbreitet ist die Meinung, dass ein Kaiserschnitt eine Notmaßnahme ist. Jedoch scheint diese Meinung nicht in allen Ländern gängig zu sein bzw. würden Ärzte die medizinische Notwendigkeit unterschiedlich bewerten, berichten Forscher um Alison Macfarlane von der City University London im Fachjournal "BJOG".
In den meisten Ländern sind die Zahlen über die letzten Jahre gestiegen, vereinzelt gibt es jedoch einen leichten Rückgang. Am häufigsten wird der Eingriff bei Erstmüttern, Mehrlingsgeburten, Beckenendlage und bei Frauen vorgenommen, die bereits ein Kind mittels Sectio geboren haben.
Nord-Süd-Kontrast
Durchschnittlich kommt eines von vier Kindern (Median 25,2 Prozent) in Europa mittels Kaiserschnitt auf die Welt. Die niedrigste Rate weist Island mit 14,8 Prozent auf. Im EU-weiten Vergleich ist Finnland mit 16,8 Prozent Schlusslicht. Auch Schweden und die Niederlande sind mit 17 und 17,5 Prozent im untersten Bereich angesiedelt. In diesen Ländern ist das Verhältnis zwischen gewünschten und ungeplanten Kaiserschnittgeburten relativ ausgeglichen.
Je weiter südlich man blickt, umso mehr Kinder kommen durch den operativen Eingriff auf die Welt: In Zypern werden mehr als die Hälfte (52,2 Prozent) der Neugeborenen per Kaiserschnitt geboren. Fortgesetzt wird die Liste von Italien mit 38, und Rumänien mit 36,9 Prozent. Rumänien ist das Land, in dem die meisten ungeplanten Kaiserschnitte vorgenommen werden. Die Autoren vermuten dahinter eine hohe Interventionsrate der Ärzte.
Zahlen aus Österreich
Österreich liegt im europaweiten Vergleich mit 28,8 Prozent knapp über dem Schnitt. Die europaweite Studie beinhaltet jedoch keine Daten darüber, wie häufig ein Kaiserschnitt in Österreich gewünscht wurde. Eine Studie aus dem Jahr 2014 ermittelte die Zahlen zu Kaiserschnitten in Wien: Demnach werden rund 30 Prozent der Kinder in Wien per Kaiserschnitt geboren.
Lediglich 1,5 Prozent der schwangeren Wienerinnen entschieden sich laut der Studie zu Beginn der Schwangerschaft dezidiert dafür. Erst mit der nahenden Geburt überlegen es sich viele werdende Mütter anders.
Allerdings: Nur 24 Prozent der Mütter empfahlen laut der Studie der Stadt Wien einen Kaiserschnitt weiter. Frauen, die eine natürliche Geburt hinter sich haben, hätten im Wochenbett weniger Schmerzen, zeigten sich selbstsicherer und zuversichtlicher. Besonders schlecht gehe es Müttern mit ungeplanten Sectios.
"Auch die Langzeitwirkungen von Kaiserschnitten wurden bisher unterschätzt", meinte Paul Sevelda, Vorsitzender der Fachkommission Gynäkologie und Geburtshilfe des Wiener Krankenanstaltenverbundes, bei der Studienpräsentation vor einem Jahr. Der Eingriff könne nicht nur Auswirkungen auf das Stillen haben, sondern auch die nächste Schwangerschaft bzw. die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Die Kinder hätten außerdem ein erhöhtes Allergie- und Asthmarisiko.
"Unterschiede in den Systemen untersuchen"
Um die Gründe für die großen Unterschiede innerhalb Europas näher zu untersuchen, empfehlen die Autoren der aktuellen Studie einen Richtlinien- und Strategienvergleich in den jeweiligen Ländern.
"Nur basierend auf den vorhandenen wissenschaftlichen Fakten kann korrektes klinisches Arbeiten garantiert werden", meint Autorin Alison Macfarlane. Die Gesundheit von Mutter und Kind sollten oberste Priorität haben. Denn: "Auch wenn der Eingriff sehr sicher ist, birgt er dennoch ein höheres Risiko als eine normale Geburt."
Lukas Lottersberger, science.ORF.at/APA
Mehr zu dem Thema: