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Eine Situation im Hörsaal einer Uni: Studierende schauen auf eine Vortragende, die aufzeigt

Die Risiken und Nebenwirkungen der Prekarität

Heute begeht die Universität Wien offiziell ihren 650. Geburtstag. Dabei ist nicht allen zum Feiern zumute: etwa jenen Hunderten jungen Forschern und Forscherinnen, die nur befristete Verträge haben, wenig verdienen und dennoch unverzichtbar sind. Ihre prekären Arbeitsverhältnisse sind nicht nur für sie selbst riskant, sondern auch für die Wissenschaft an sich.

650 Jahre Universität Wien 12.03.2015

Während nämlich Jungforscher immer mehr zu Managern ihrer Biografien werden, hat es die risikofreudige Forschung immer schwerer, wie eine neue Studie zeigt.

Um auf die Missstände in der universitären Arbeitskultur aufmerksam zu machen, hat die IG LektorInnen pünktlich zum Höhepunkt der 650-Jahr-Feierlichkeiten der Uni Wien - einem Festakt im großen Festsaal - zu einer "Prekärsuppe" vor dem Universitätsgebäude eingeladen.

Prekärsuppe wird ausgeschenkt

ORF, Barbara Gansfuss

Hier wird "Prekärsuppe" ausgeschenkt.

Links und Programmhinweise:

Veranstaltungshinweis

Vom 19. bis 21. März lädt das Institut für europäische Ethnologie zur Veranstaltung
"Doing University - Reflexionen universitärer Alltagspraxis" ein. Lisa Sigls Vortrag über "Modes of Coping mit Unsicherheiten in akademischen Arbeitskulturen" findet am Freitag, 20. 3. 2015, ab 15.45 Uhr in der "Sky-Lounge" (Oskar-Morgenstern-Platz 1, 1090 Wien) statt.

Ö1 Sendungshinweis:

Über die Aktion der IG Lektorinnen zum Prekarität berichtet auch das Mittagsjournal am 12.3. um 12:00 und Wissen Aktuell um 13:55.

Befragung von Lebenswissenschaftlern

Wie Forscherinnen und Forscher mit den Unsicherheiten im akademischen Arbeitsleben umgehen, hat die Wissenschaftsforscherin Lisa Sigl an der Universität Wien untersucht. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dortmund.

"Das Grundinteresse war, zu verstehen, wie sich Forschungs- und Arbeitskulturen in den Lebenswissenschaften verändern", so Sigl gegenüber science.ORF.at. Dazu wertete sie 19 mehrstündige Interviews aus, die sie mit jungen Forscherinnen und Forschern an der Universität Wien geführt hatte. In den Gesprächen zeigte sich, dass der akademische Arbeitsalltag von der Erfahrung starker existenzieller Unsicherheiten geprägt ist. Das führt sie darauf zurück, dass die Unsicherheiten, die mit der Erforschung des Ungewissen immer einhergehen, leicht in wirtschaftliche Risiken umschlagen können.

"Einerseits treiben Unsicherheiten die Forscher und Forscherinnen an. Andererseits verändern sie auch das konkrete Forschungsverhalten", erklärt Sigl. In der Praxis nütze es nämlich nichts, die prekäre Beschäftigungssituation zu bejammern, die jungen Wissenschaftler arrangieren sich damit auf eine Weise, die Forschungskulturen aktiv verändern könne. Wie diese Bewältigungsstrategien aussehen, hat Sigl untersucht und dabei vier Arten definiert: zwei gemeinschaftliche und zwei individuelle.

Paternalistische "Clanstruktur"

Bei den gemeinschaftlichen Strategien unterscheidet die Wissenschaftsforscherin zwischen einer "kollektiven" und einer "clanähnlichen". Letztere sei viel dominanter, weil Labors sehr stark über den Laborleiter oder die -leiterin definiert sind.

Die Mitarbeiter eines Labors sind stark vom Leiter abhängig. "Und zwar nicht nur, weil er sie wissenschaftlich beurteilt, sondern auch, weil er sie für weitere Projekte anstellt oder Empfehlungen für Förderungen ausspricht", so Sigl. Der hierarchische Aspekt dieser Struktur hat sich durch das starke Ansteigen von Projektförderung in den letzten Jahren verstärkt: Für junge Forscher sind Laborleiter nun nicht nur Betreuer, sondern auch quasi Arbeitgeber.

In diesem paternalistischen Modell hat der Leiter oder die Leiterin nicht nur relativ viel Macht durch die Verteilung von Ressourcen, sondern auch eine große soziale Verantwortung für das Team. Im besten Fall verlängert er oder sie etwa einen Vertrag oder stellt eine Übergangsfinanzierung bereit, wenn ein Forschungsprojekt oder eine Dissertation nicht in der vorgesehenen Zeit beendet werden kann.

"D. h., die ökonomischen Ressourcen, die vor allem der Laborleiter oder die Laborleiterin zur Verfügung hat, werden neu umverteilt und die sozialen Risiken, die ein gescheitertes Experiment mit sich bringen kann, somit entindividualisiert." Die Folgen für die Jungforscher: Sie versuchen, eine möglichst gute Beziehung zu den Laborleitern zu haben.

Kollektive Struktur

"Was dabei an den Rand gedrängt wird, ist eine andere Form, kollektiv zu handeln, nämlich dass man gemeinsam im Labor ein gutes Netzwerk erhält, einander solidarisch hilft, sich austauscht und gegenseitig Projektmöglichkeiten vermittelt", meint Sigl. Auch diese Form gibt es laut der Wissenschaftsforscherin, sie wird aber unter Bedingungen stärkeren Wettbewerbs seltener: Das Schreiben von Projektanträgen und Publikationen nimmt den solidarischen Strukturen den Raum und die Zeit.

Lektorinnen verteilen "Prekärsuppe" vor der Uni Wien

ORF, Barabara Gansfuss

Lektorinnen verteilen "Prekärsuppe" vor der Uni Wien.

Das Ideal dieser zweiten Strategie sind flache Hierarchien und das Teilen von persönlichen Erfahrungen innerhalb eines Labors. Damit soll verhindert werden, dass Projekte scheitern und dieses Scheitern zum finanziellen Risiko für die einzelnen Forschenden wird.

Während die geltenden Spielregeln der akademischen Welt derzeit "Clanstrukturen" fördern - etwa durch kurzfristige Verträge und eine hierarchische "Empfehlungskultur" -, muss die "kollektive Struktur" ihre Regeln selbst aufstellen und gegen den individuellen Leistungsdruck verteidigen. Erarbeitet und umgesetzt werden können sie z. B. in selbst organisierten Labormeetings, in denen sich die Forschenden austauschen.

Manager vs. Trickster

Den gemeinschaftlichen Umgangsformen stehen laut Sigl zwei individuelle gegenüber. Mehrheitlich und immer stärker verbreitet sei die "Managertaktik". Dabei handeln die Forschenden quasi wie Manager ihrer eigenen wissenschaftlichen Biografie und Karriere. "Sie versuchen, die Waage zwischen sicheren und riskanten Forschungsfragestellungen zu halten. Unterm Strich kann das zwar mehr Output bedeuten, aber oft auch doppelte Arbeit, was die ohnehin schon prekäre Situation nicht gerade verbessert", sagt Sigl.

Dem gegenüber steht die - viel seltenere - Strategie der "Trickster". Forscher und Forscherinnen versuchen dabei, die prekären Arbeitsbedingungen "auszutricksen" und auch Forschungsfragen zu verfolgen, die offiziell gar nicht finanziert werden, aber unter Forschern als die innovativsten gelten. "Forscher und Forscherinnen erzählen oft, dass vor allem sichere und kalkulierbare Projekte gefördert werden", sagt Sigl. "Die 'Trickster' reagieren darauf und machen bei der Projekteinreichung mitunter nicht ganz korrekte Angaben. Die Mittel verwenden sie dann, um dennoch mit riskanten, unkonventionellen Ansätzen zu forschen."

Laut Sigl besteht durch die Tendenz zur Managerstrategie die Gefahr, eine Forschungskultur zu fördern, die das Risiko scheut. "Die draufgängerische Art zu forschen, wird an den Rand gedrängt. Es besteht also die Gefahr, dass ich gar nicht mehr lerne, riskante Fragen zu stellen."

Strukturelle Verbesserungsvorschläge

Was gegen die Prekarität im akademischen Alltag getan werden könnte? Ein Ansatzpunkt liegt beim 2009 eingeführten Unikollektivvertrag. Zwar sei dieser ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, doch laut Sigl hätten die Universitäten noch nicht gelernt, mit diesem Instrument sinnvoll umzugehen.

Ein wesentlicher Grund für die prekären Verhältnisse sei nämlich, dass dadurch Zukunftsplanung nicht möglich sei. "Die Universität Wien verhindert das unter anderem durch eine Vertragskultur, die sich hinter der Kettenvertragsregel versteckt: Während Letztere eigentlich zum Schutz vor einer Aneinanderreihung befristeter Verträge gedacht ist, wird sie an Universitäten oft so ausgelegt, dass sie unbefristete Verträge verhindert. Paradoxerweise werden so Unsicherheiten verstärkt, anstatt sie zu verringern", kritisiert Sigl. Wie es anders gehen könnte, zeigt etwa die Uni Klagenfurt: Dort seien unbefristete Verträge (mit Kündigungsoption) - auch auf Projektbasis - möglich.

Weitere Ansätze gegen die prekären Arbeitsverhältnisse an den Unis laut der Wissenschaftsforscherin: "Mehr Stammpersonal im Verhältnis zum befristeten Projektpersonal, was eine bessere Kontinuität und Planbarkeit ermöglicht. Dazu Maßnahmen, um das Gleichgewicht zwischen Lehren, Forschen und Leben zu fördern, etwa durch Betreuungs- und Pflegeangebote für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Betreuungspflichten und entsprechende Arbeitszeitmodelle."

Außerdem fände es Sigl sinnvoll, wenn Unis zwischen zwei Projekten Überbrückungsförderungen oder Anstoßförderungen zum Beantragen von neuen Projekten anbieten, falls ein Projekt nicht an das andere nahtlos anschließen kann. Letztlich "müsste die Universität den Umgang mit den Unsicherheiten zu einem Teil übernehmen", um einen besseren Forschungsprozess zu fördern, resümiert die Wissenschaftsforscherin.

Lukas Lottersberger/Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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