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Universität Wien von außen

Die Universität Wien im Austrofaschismus

Etwa dank der Wiener Medizinischen Schule genoss die Universität Wien rund um 1900 Weltruf. Im 20. Jahrhundert sollte sich das grundlegend ändern. Dafür gibt es viele Gründe, v.a. die Vertreibung der jüdischen Intelligenz durch die Nationalsozialisten. Doch maßgeblich hat auch der Austrofaschismus zuvor dazu beigetragen, wie neue Studien zeigen.

650-Jahr-Jubiläum 13.03.2015

Die Nazis waren beispiellos

Was die Nationalsozialisten an der Uni Wien angerichtet haben, war beispiellos. In den ersten fünf Wochen nach dem sogenannten Anschluss im März 1938 entließen sie 250 Lehrkräfte, mehr als 40 Prozent des wissenschaftlichen Personals. Viele von ihnen wurden durch NS-Parteigenossen ersetzt, und diese Vorgänge sind mittlerweile systematisch aufgearbeitet.

Wie viele Wissenschaftler aber schon vorher aus politischen oder rassistischen Gründen genau die Uni verlassen haben, ist nach wie vor unbekannt. Schon in den 20er und 30er Jahren hatten Nazis und katholisch-konservative Kräfte jene Professoren und Studenten bekämpft, die als "jüdisch" oder "links" galten.

Viele von ihnen warfen an der Uni Wien das Handtuch, weil sie keine Chance auf eine Karriere sahen. Das spitzte sich in der Ära Dollfuß-Schuschnigg ab dem Staatsstreich 1933 zu. Nach der Völkerbundanleihe im Jahr zuvor wurden die Entlassungen offiziell mit Spargründen argumentiert.

Buch und Dissertation:

Das Buch "Hochburg des Antisemitismus. Der wissenschaftliche Niedergang der Universität Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts" von Klaus Taschwer wird demnächst im Czernin Verlag erscheinen. Die Historikerin Linda Erker arbeitet gerade am Institut für Zeitgeschichte in ihrer Dissertation an einem Vergleich zwischen der Universität Wien im Austrofaschismus und der Universität Madrid im frühen Franquismus.

Ausstellung:

Im Rahmen des 650-Jahr-Jubiläums der Universität Wien wird am Dienstag, den 17. März 2015 um 19 Uhr, die Ausstellung "Bedrohte Intelligenz" eröffnet. Sie ist als Wanderausstellung konzipiert und wird bis Ende Juni an mehreren Standorte zu sehen sein.

Links:

Ö1 Sendungshinweise:

Dem Thema widmeten sich auch Beiträge in Wissen aktuell: 13.3., 13:55 Uhr und im Dimensionen Magazin, 13.3., 19:05 Uhr.

1932-1937: Viertel aller Professoren gestrichen

"Aufgrund der Sparmaßnahmen der Austrofaschisten ist es zu einem erheblichen Rückgang von Professorenstellen gekommen", sagt der Journalist und Wissenschaftshistoriker Klaus Taschwer. "Vergleicht man die Anzahl von 1932 und 1937, so sieht man, dass genau ein Viertel aller Stellen gestrichen worden sind. Wenn man die Anzahl der Professorenstellen 1937 mit der Anzahl von 1944 vergleicht, dann sieht man, dass der Rückgang im Austrofaschismus sowohl prozentuell als auch absolut größer war als im Nationalsozialismus."

Das betrifft wie gesagt die Professuren, nicht die gesamte Anzahl von Lehrkräften. 1932 - also vor der Zeit, die die einen als "Austrofaschismus" bezeichnen und die anderen als "autoritären Ständestaat" - gab es an der Uni Wien 183 Professuren. Fünf Jahre später waren es knapp 50 weniger. Betroffen waren davon in erster Linie nationalsozialistische Lehrende, erklärt die Historikerin Linda Erker von der Universität Wien. "Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum noch sozialdemokratische oder jüdische Lehrende."

Warum das so ist? "Das führt in die 20er und frühen 30er Jahre zurück, als es schon zu einer Exklusion von 'Linken' und 'jüdischen Professoren' gekommen ist. D.h. es gab zu diesem Zeitpunkt wesentlich weniger 'Linke' zum Ausschließen, deshalb war die Anzahl der Nationalsozialisten viel größer", so Erker.

Zwangs- und Frühpensionierungen

Die Hochschulen Österreichs waren spätestens ab dem Ende der 1920er-Jahre Hochburgen des Nationalsozialismus. Die Mehrheit der Rektoren war NSDAP-nahe. Bei den Hochschülerwahlen 1931 erzielten sie eine Mehrheit. Bis 1932 gab es eine Allianz zwischen katholischen und NS-Fraktionen gegen Linke, unter ihnen auch Juden. Diese Allianz endete erst Ende 1932, knapp vor der Ausschaltung des Parlaments durch Dollfuß.

1935 beschlossen die Austrofaschisten dann ein Gesetz, das es ermöglichte, missliebige Uni-Dozenten und -Professoren loszuwerden. Waren die Unis zuvor autonom, so konnte nun das Unterrichtsministerium Lehrberechtigungen aberkennen. Es folgten Zwangs- und Frühpensionierungen und der Verlust von Lehrbefugnissen - aus politischen und zum Teil wohl auch aus antisemitischen Gründen.

Doch es blieb nicht bei Aktionen gegen einzelne Personen. Das ganze System der Wissenschaft bekam eine Schlagseite, wie Klaus Taschwer ausführt. "Was im Zusammenhang mit dem Austrofaschismus an den Universitäten wichtig zu sehen ist, war der Plan, sie in Quasi-Erziehungsanstalten zu verwandeln."

Problemfach Biologie

Die universitäre Lehre und vor allem die Forschung wurden da nachrangig. In den Lehrplänen gab es plötzlich Pflichtvorlesungen in weltanschaulicher Erziehung, gehalten von Priestern oder katholischen Professoren, wissenschaftliche Inhalte wurden gekürzt. Im Medizinstudium etwa wurde die Biologie gestrichen, dafür wurden ideologische Lehrveranstaltungen verpflichtend.

Mit der Biologie hatte der Austrofaschismus überhaupt seine Probleme. Insbesondere mit jener Biologie, die sich mit Evolution und Darwin beschäftigt, wie Klaus Taschwer ausführt. "Wenn man sich etwa die Besetzungspolitik ansieht, wer Karriere gemacht hat und wie Lehrstühle nachbesetzt worden sind: Da sieht man eindeutig, dass ihnen da ein ideologisch und katholisch gut ins System passender Wissenschaftler viel lieber war, als jemand, der vielleicht wissenschaftlich exzellent gewesen ist."

Kontinuitäten nach 1945

Ideologie war dann auch später bei den Nazis die wichtigste Qualifikation für eine Uni-Karriere. Ihre Dominanz an der Uni Wien war erdrückend. 1944 waren drei Viertel aller Professoren entweder Mitglied oder Parteianwärter der NSDAP. Die Entnazifizierung in den ersten beiden Jahren der Zweiten Republik war durchaus strikt. Ersetzt wurden die NS-affinen Professoren aber nicht durch wissenschaftlich exzellente Forscher, die aus rassistischen Gründen in den zwei Jahrzehnten zuvor hinausgeekelt worden waren. Sondern in erster Linie durch Kollegen, die im Austrofaschismus Karriere gemacht hatten und auch nach 1945 nicht immer lupenreine Demokraten waren.

Gemeinsam mit einem von katholischen Kräften dominierten Unterrichtsministerium führte das zu einer konservativen Restauration an den Unis, sagt Klaus Taschwer. "Da gibt es interessante Kontinuitäten nach 1945. Nachdem die Nationalsozialisten Biologie wieder in den Medizinlehrplan aufgenommen hatten, wurde sie nun erneut hinausgestrichen. Deshalb ist z.B. Karl von Frisch, der bis 1950 Professor in Graz gewesen ist, wieder nach München gegangen. Die Biologie ist in den späten 40er und frühen 50er Jahren einfach nicht wichtig gewesen."

Die Langzeitfolgen dieser Politik waren gemeinsam mit den Vertreibungen durch die Nationalsozialisten dramatisch. Über persönliche Kontinuitäten und Lehrer, die Einstellungen auf ihre Schüler übertrugen, wirkte sie sich diese Restauration jahrzehntelang negativ aus - und mit Spätfolgen womöglich bis heute.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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