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Andromeda-Galaxie

Das älteste Licht des Universums

Mit Hilfe der kosmischen Hintergrundstrahlung versuchen Physiker in die Vergangenheit des Universums zu blicken. Wie weit reicht der Blick? Im Prinzip bis zum Urknall, besagt die Theorie. Nun liefern sich Forscher ein beinhartes Wettrennen um den ersten Beweis: In der Hektik riskiert so mancher sein wissenschaftliches Ansehen.

Kosmos 20.03.2015

Es schien zu schön, um wahr zu sein. Im März letzten Jahres riefen Forscher um John Kovac eine Pressekonferenz ein, um die Weltöffentlichkeit über ihr neuestes Experiment zu informieren.

Kovac und sein Team, die Bicep2-Kollaboration, hieß es da, hätten in der kosmischen Hintergrundstrahlung Muster entdeckt, die kurz nach dem Urknall entstanden sind - und zwar in einer bisher unzugänglichen "Embryonalphase" der kosmischen Evolution.

"Inflation" nennen Physiker diese Phase, in der sich das Weltall mit ungeheurer Wucht ausgedehnt hat. Dass es eine solche Raumexplosion gegeben hat, war bisher anerkannte, aber unbewiesene Theorie. Nun, so schien es, hatten Forscher mit Hilfe eines in der Antarktis stationierten Teleskops tief in die Vergangenheit geblickt - tiefer, als es anderen Wissenschaftlern jemals gelungen war - und die Theorie der Inflation bestätigt.

Forscher sitzen auf einem Podium

APA/EPA/SUZANNE KREITER / THE BOSTON GLOBE /

"Wir haben etwas gefunden." Pressekonferenz vom 17. März 2014 am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics

"Ich halte die Entdeckung für eine Sensation", kommentierte Wolfgang Lucha vom Wiener Institut für Hochenergiephysik damals. "Sollten die Messungen durch ein unabhängiges Experiment bestätigt werden, ist der Nobelpreis fällig." Nun, ziemlich genau ein Jahr später, ist vom Nobelpreis keine Rede mehr. Der Nachweis hat sich mittlerweile in Luft aufgelöst. Oder vielleicht sollte man besser sagen: im kosmischen Staub.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in den Ö1-Dimensionen, 24. März 2015 um 19.05 Uhr.

Uraltes Licht erfüllt den Kosmos

Die kosmische Hintergrundstrahlung gilt gemeinhin als "Echo" des Urknalls. Wobei dieses Echo nach menschlichen Zeitmaßstäben ziemlich spät eingesetzt hat. Denn zu Beginn war das Universum so heiß, dass Licht, wie wir es kennen, nicht existierte.

Strahlung gab es zuhauf, nur war sie dicht an die Materie gekoppelt und bildete mit ihr eine undurchsichtige Suppe. Bis sich der Vorhang lüftete, sollte es 380.000 Jahre dauern: Seither ist das Licht frei und kann sich ungehindert im Raum bewegen.

Dieses uralte Licht ist keineswegs verschwunden. Es ist immer noch da, überall. Gleichwohl habe es sich in den letzten 13 Milliarden Jahren verändert, betont Matthias Bartelmann von der Universität Heidelberg. "Der Raum hat sich in der Zwischenzeit stark ausgedehnt. Daher besitzt die Strahlung nur mehr ein Tausendstel ihrer damaligen Energie."

Das Licht, das in Urzeiten mit hoher Frequenz durch das Universum raste, ist, wenn man so will, altersmilde geworden. Die Temperatur der Strahlung beträgt heute lediglich 2,7 Kelvin. Das ist so wenig, dass man lange Zeit von ihr keine Notiz nahm. Und als man von ihr Notiz nahm, hielt man sie zunächst für Vogeldreck.

Antarktis: Teleskop in der Nacht

National Science Foundation

Amundsen-Scott-Südpolstation mit der Bicep2-Antenne

Die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung, im Englischen "cosmic microwave background" oder CMB genannt, gilt als Klassiker der Wissenschaftsgeschichte. Nicht nur, weil sie das wissenschaftliche Weltbild von Grund auf verändern sollte, sondern auch, weil darin der Zufall Regie geführt hat.

Die weiteren Rollen in diesem Stück spielen Arno Penzias und Robert Wilson. Die beiden Physiker hatten in den 1960ern eine Hornantenne für astronomische Untersuchungen umgebaut und stellten bei Probemessungen ein Störsignal fest, das sie trotz wiederholter Kontrollen nicht entfernen konnten.

Nobelpreis für Zufallsfund

In ihrer Not verdächtigten die Forscher, auf der Antenne nistende Tauben für die Störung verantwortlich zu sein. Doch die Vertreibung des Federviehs nutzte nichts. Das Signal blieb - und es konnte auch nicht verschwinden, denn was Penzias und Wilson gemessen hatten, war ein elektromagnetischer Nachhall des Urknalls. Genau 50 Jahre ist diese Pioniertat her, sie wurde mit dem Nobelpreis für Physik belohnt.

Dass auch im Zusammenhang mit den Experimenten der Bicep2-Forscher vom Nobelpreis die Rede war, ist nicht übertrieben. Hätten sich deren Messergebenisse als stichhaltig herausgestellt, wäre eine fundamentale Schranke der Astronomie gefallen.

Robert W. Wilson & Arno Penzias vor ihrer Antenne

ASSOCIATED PRESS

Robert Wilson (l.) und Arno Penzias vor ihrem Messgerät, kurz nach Zuerkennung des Nobelpreises im Jahr 1978

Die kosmische Hintergrundstrahlung ist für die Physiker wie ein Fenster, durch das man in die Vergangenheit blicken kann. Wenn auch, so dachte man lange, nicht beliebig weit. Da das Licht erst 380.000 Jahre nach dem Urknall entstanden ist, sollte das die Minimaldistanz zum Big Bang sein, die via Messungen erreichbar ist.

Babyfoto des Universums

Die Ankündigung vom März letzten Jahres bedeutete nicht weniger, als dass man viel weiter blicken könne - bis einen Sekundenbruchteil nach dem Urknall. "Die kosmische Hintergrundstrahlung ist so etwas wie ein Babyfoto des Universums", sagt Helmut Dannerbauer vom Institut für Astrophysik der Universität Wien.

"Die Messungen vom März letzten Jahres legten nahe, dass man nun gewissermaßen ein Ultraschallbild in Händen hält." Doch die Aufnahme des kosmischen Embryos erwies sich als Trugbild.

Dass es zu einer so spektakulären Fehlinterpretation kam, hat (auch) mit der Unscheinbarkeit der analysierten Signale zu tun. "In der Hintergrundstrahlung sind Schwankungen enthalten, die so klein sind wie ein Zentimeter große Wellen in einem Ozean von tausend Metern Tiefe", erklärt Matthias Bartelmann.

Muster in diesen Schwankungen hatte man irrtümlich als Abbild der kosmischen Inflation gedeutet. Tatsächlich handelt es sich nur um ein Rauschsignal, das von galaktischem Staub stammt, wie nun eine Reihe aktueller Analysen zeigt. Die Weltsensation wurde wieder abgesagt.

Beinharter Konkurrenzkampf

Hätte man sich diese Peinlichkeit nicht sparen können? Zweifelsohne, sagt Dannerbauer. " Aber sie dürfen nicht vergessen: Dieses Geschäft ist hochkompetitiv. In der Astrophysik will jeder der Erste sein, jeder möchte in seinem Artikel die Worte 'for the first time' stehen haben. Auch ich, um ehrlich zu sein."

"Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst", sagt die Rote Königin in Lewis Carrolls Buch "Alice hinter den Spiegeln" - ein Satz, der sich durchaus als Beschreibung der Gepflogenheiten im Wissenschaftsbetrieb eignen würde. Der Konkurrenzkampf um Forschungsgelder ist enorm, das Tempo ebenso, wer zaudert, muss die entscheidenden Entdeckungen eben anderen überlassen.

Neues Bild der ESA, das die Mikrowellenhintergrundstrahlung des Universums zeigt

ESA und Planck Collaboration

Schwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung spiegeln die Geschichte des Universums

Im Fall der Mikrowellenstrahlung hat der hohe Konkurrenzdruck wohl zu einer gewissen Schludrigkeit geführt: Neben der Bicep2-Antenne in der Antarktis ist nämlich auch ein Teleskop des Planck-Satelliten gen Himmel gerichtet, um verborgenen Mustern in der kosmischen Strahlung auf die Spur zu kommen.

Wie letztes Jahr im "Scientific American" zu lesen war, hatte sich Bicep2-Chef John Kovac entschieden, unpublizierte (und wie man heute weiß: unvollständige) Daten des Planck-Teams für die Berechnung etwaiger Störsignale durch kosmischen Staub zu verwenden.

"Das war abenteuerlich"

Eine unorthodoxe Vorgehensweise, die sich rächen sollte. Die Berechnungen wiesen Lücken auf und zeigten eine Entdeckung an, die keine war. Diese Vorgehensweise war "abenteuerlich", resümiert Bartelmann, "solide Forschung sieht anders aus". John Kovac war in dieser Angelegenheit für den ORF nicht erreichbar. Er sei abgetaucht, sagen Kollegen.

Was freilich nicht bedeute, dass an dem Experiment etwas auszusetzen sei, betont Dannerbauer. "Die Berechnung der Störsignale war suboptimal, das sehe ich auch so. Aber die Messungen mit der Bicep2-Antenne hatten höchstes Niveau. Technisch gesehen spielen Planck und Biceps2 in der Champions League der Wissenschaft."

Unstimmigkeiten gibt es auch im Lager der Theoretiker. In den 80er Jahren entwickelten die beiden Physiker Alan Guth und Andrei Linde das sogenannte Inflationsmodell, um eine auffällige Eigenschaft des Universums zu erklären. In welche Himmelsrichtung man auch blickt, überall bietet sich das gleiche Bild: Die Verteilung der Materie ist gleichförmig, ebenso wie die Frequenzen der Hintergrundstrahlung.

Beides könne nur eine Ursache haben, argumentierten Guth und Linde - der Kosmos muss sich kurz nach dem Urknall extrem schnell ausgedehnt haben. Das Prädikat "extrem" ist in diesem Fall wirklich angebracht: Laut Modell vergrößerte sich das Volumen des Universums innerhalb eines winzigen Sekundenbruchteils um einen Faktor von 10 hoch 80 - das ist eine Eins mit 80 Nullen.

"Untestbare und bedeutungslose Theorie"

Das Argument von Guth und Linde gilt noch immer, nur hat sich die Grundidee mittlerweile in einen Ideenschwarm verwandelt. Heute existiert eine unüberschaubare Zahl an Inflationsmodellen, und es ließen sich im Prinzip immer neue konstruieren. Diese Vielfalt sei nichts anderes als Beliebigkeit, urteilt Paul Steinhardt.

Der Astrophysiker von der Princeton University fand letztes Jahr in einem "Nature"-Kommentar deutliche Worte: Das Modell sei so flexibel, konstatierte er, dass es an jedes Messergebnis angepasst werden könne. Fazit: "Somit ist das Inflations-Paradigma untestbar und wissenschaftlich bedeutungslos."

Ein Urteil, dem sich Matthias Bartelmann nur bedingt anschließen möchte. "Es stimmt schon: Wenn man sich alle Freiheiten bei der Konstruktion der Modelle erlaubt, dann kann man letztlich alles erklären. Das gilt aber nicht für die einfachsten Inflationsmodelle. Die sind so sparsam wie möglich gebaut - und dennoch sehr aussagekräftig."

Bartelmann befindet sich mit seiner Ansicht in guter Gesellschaft. Sparsamkeit gilt seit jeher als Tugend der Theorie, und die Geschichte scheint den Physikern auch Recht zu geben. Newton, Maxwell, Einstein - sie alle haben erfolgreiche, einfache und, so heißt es, auch "schöne" Theorien entworfen. Wenngleich man zugeben muss, dass die Physik an diesem Punkt in die Ästhetik übergeht.

Warum gerade das Einfache respektive Schöne die Natur korrekt beschreiben soll - und nicht das Komplizierte, das weiß niemand. Hier spendet allenfalls ein Wort von Albert Einstein Trost. Er befand: "Der Herrgott ist raffiniert, aber nicht bösartig."

Robert Czepel, science.ORF.at

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