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Wolfgang Schäuble deutet mit erhobenem Finger, daneben Yanis Varoufakis

Gegen die Krise: Mehr Ethik statt Formeln

Die Finanzkrise in Europa ist auch eine Krise der Wirtschaftswissenschaften. Der deutsche Topökonom Michael Hüther sieht zwei Ursachen: Die Ökonomik habe sich zu viel mit mathematischen Formeln beschäftigt und dabei auf ethische Werte und ihre eigene Geschichtlichkeit vergessen.

Ökonomie 24.03.2015

"Einer der großen Fehler der letzten 20 Jahre in der ökonomischen Theoriebildung war die Ausblendung der historischen Zeit", sagt Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Bis heute würden die Wissenschaftsgeschichte des Fachs und die Wirtschaftsgeschichte im Studium weitgehend ausgeblendet.

Eine Konsequenz davon: Gelehrt und angewandt wird v.a. eine hoch formalisierte mathematische Theorie. "Und die legt nahe, dass sie überall und zu jeder Zeit gültig ist. Dies führt zu Politikkonzepten, die überall gleich ausgerollt werden. Sie wirken aber sehr unterschiedlich, da ihr Kontext vernachlässigt wird", meinte Hüther bei einer Veranstaltung an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Die Wirtschaftsstrukturen der EU-Länder etwa seien aufgrund ihrer Geschichte viel unterschiedlicher als die wirtschaftlichen Rezepte, die angewandt werden.

Veranstaltungshinweis:

Seit 2009 findet an der WU Wien die Veranstaltungsreihe Open Minds statt, zuletzt am 16. März mit dem Titel: "Nach uns die Sintflut? Die Verantwortung von Forschung und Lehre für eine nachhaltige Wirtschaftsordnung“. Dabei ging es um den Beitrag von Forschung und Lehre für eine nachhaltige Wirtschaftsordnung sowie um ordnungspolitische Veränderungen.

Für eine gesellschaftliche Verantwortung

"Wir sollten die historische Zeit wieder in die ökonomische Theorie integrieren", forderte deshalb Hüther. Und auch auf die Ethik sollte mehr achtgegeben werden. "Wenn man die traditionelle ökonomische Theorie betrachtet, dann werden ethische Überlegungen ausgeblendet." Sie seien zwar vorgedacht, hätten im Modellrahmen jedoch nichts zu suchen. "Die klassische Ökonomik nach Milton Friedman nach vorne gedacht heißt, nur Ergebnisverantwortung zu übernehmen. Man kommt aber zu anderen Verantwortungskonzepten, wenn die Tatsache, dass es Tugenden und Interessen gibt, wieder eingeführt wird."

Michael Hüther bezog sich dabei auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Edmund Phelps der Verantwortung in einem erweiterten gesellschaftlichen Sinne verstanden hat. "Dadurch kommt man zu anderen Handlungssträngen, als zu jenen der Milton Friedmanschen Welt. Dessen Theorie zu Ende gedacht, hat irgendwann zur neoklassischen Finanzmarktökonomik geführt. Mit allen Problemen, die darin enthalten sind."

Nicht nur Mathematik, auch Ethik

Ökonomen sollten den Mut haben zu sagen, dass ihr Fach ein normatives sei: "Wir kommen an ein paar grundlegenden Werturteilen nicht vorbei, um die Theorie ableiten zu können. Sie können so viel rechnen, wie Sie wollen: Das Werturteil verschwindet in den Formeln, aber nicht in der Substanz der Aussagen. Manche meiner Kollegen versuchen das entweder zu ignorieren oder zu leugnen. Ich halte beides nicht für zielführend."

Um mehr Bewusstsein für die eigene Geschichte und die Rolle der Ethik zu erzielen müsste sich die Lehre der Wirtschaftswissenschaften verändern. Dem steht aber die Praxis gegenüber. "Wir reproduzieren die traditionelle Art des ökonomischen Denkens in seiner Engführung durch die Art, wie akademischer Erfolg erreicht wird."

Um die Karriereleiter nach oben zu steigen, müsse man den bestehenden Modellen folgen. Platz für alternative Sichtweisen gebe es so gut wie nicht. "Das heißt: Wir schrauben links und rechts ein bisschen herum. Die Relevanzfrage bleibt aber außen vor. Es ist ein Glasperlenspiel, und dann haben wir das, was wir haben", so Michael Hüther.

Überarbeitung der Ordnungspolitik

Um eine nachhaltige Wirtschaftsordnung zu fördern, sei auch eine Überarbeitung der Ordnungspolitik notwendig, deren Aufgabe es ist, mittels staatlicher Maßnahmen Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln zu setzen.

Die Ordnungspolitik, eine deutsche Tradition, und die Ordnungstheorie hätten nach der Weltwirtschaftskrise 1929 die Frage gestellt, wie eigentlich eine Ökonomie der Zukunft vorstellbar sei, die vor einer extremen Krise sichern könne.

"Dieses Denken ist aber nicht weitergeführt worden", sagt Hüther. Und das führe heute zu Problemen: Etwa dass in das Ordnungsdenken nie der Bedarf einer Finanzaufsicht eingeführt worden sei. Oder dass die Frage nie gestellt worden sei, welches Destabilisierungspotenzial Finanzmärkte für eine Volkswirtschaft haben.

Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Lehre

Was Forschung und Lehre für ein nachhaltigeres Wirtschaften beitragen könnten, darum ging es bei der WU-Veranstaltung, bei der Hüther zu Gast war und die von dem Ökonomen Wilfried Stadler moderiert wurde. Ein Beitrag dazu möchte das WU-Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit sein. "Ich bin überzeugt, dass der wichtigste Impact in Bezug auf Nachhaltigkeit jener ist, was Studenten lernen und mit nach Hause nehmen", sagte dessen Leiter Fred Luks. "Die Herausforderung ist: Ökonomische, ökologische und soziale Ziele in einer endlichen Welt auszubalancieren." Die Welt sei einfach komplizierter geworden und verlange vielfältige Lösungsansätze, die damit einhergehenden Probleme zu lösen.

Ähnlich sieht das auch Heidi Leonhardt. Die Studentin hat gemeinsam mit Studienkollegen die Gesellschaft für Plurale Ökonomik gegründet: "Wir hatten das Gefühl, dass die Lehre der Volkswirtschaft, wie sie derzeit gelehrt wird, uns nicht dazu ausbildet, mit der komplizierten Welt und ihren Problemstellungen um zu gehen.“

Das Ziel der Gesellschaft für Plurale Ökonomik in Wien sei, dass in den Lehrplänen mehr als die neoklassische Ökonomie vorkomme. Es gebe verschiedene Schulen in der Ökonomie, wie beispielsweise die ökologische oder die feministische Ökonomie. "Die verschiedenen Schulen sind in verschiedenen Dingen gut und haben verschiedene Schwerpunkte. Es wäre wichtig, diese Vielfalt an ökonomischen Modellen und Ansätzen auch in der Lehre ab zu bilden."

Verschiedene Blickwinkel

Für Alexandra Strickner, Gründungsmitglied und Vorstand von Attac-Österreich, zeige sich die Auswirkung einer auf die neoklassische Schule beschränkten Sichtweise beispielsweise bei politischen Entscheidungsträgern. "Ein Blick auf die europäische Krisenpolitik zeigt, dass seit fünf Jahren immer wieder die gleiche Antwort auf die Krise gegeben wird: Mittels Kürzungspolitik soll die Schuldenproblematik in den Griff bekommen werden."Dabei sehe man jedoch, dass die Länder immer tiefer in die Krise hinein geraten.

Menschen, die beispielsweise bei der europäischen Kommission arbeiten, berichten, dass es sehr schwierig sei, mit anderen Blickwinkeln alternative Lösungswege aufzuzeigen. Denn in ökonomischen Fragen herrscht die neoklassische Sichtweise vor. "Es ist daher eine große und wichtige Aufgabe von Forschung und Lehre, junge Menschen, die in Zukunft Entscheidungen in Unternehmen und Institutionen tragen, umfassend und vielfältig auszubilden, sodass sie fähig sind, Analysen aus verschiedenen Blickwinkeln zu machen", so Strickner.

Aaron Salzer, science.ORF.at

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