Warum haben wir dann aber noch keinerlei Beweise für die Existenz von außerirdischem Leben? Diese Fragen diskutiert der Paläobiologe von der Universität Cambridge heute an der Akademie der Wissenschaften in Wien - und vorab in einem science.ORF.at-Interview.
science.ORF.at: Die Entwicklung von intelligentem Leben auf der Erde war in Ihren Augen kein Produkt verschiedener Zufälle, sondern etwas, das passieren musste. Warum?
Simon Conway Morris: Das Leben auf der Erde hat sehr unterschiedliche Formen. Wir haben Bäume, Giraffen und Blauwale sowie tausende andere Pflanzen, Tiere und Pilze. Wenn man all das ein bisschen genauer betrachtet, zeigen sich immer wieder die gleichen biologischen Arrangements. Das nennt man "konvergente Evolution".
Ein bekanntes Beispiel ist die Ähnlichkeit zwischen einem menschlichen Auge und dem eines Oktopus. Sie haben evolutionär zwar ganz unterschiedliche Ursprünge, dennoch sind sie sich sehr ähnlich. Konvergente Evolution bedeutet, dass sich Nervensysteme, Intelligenz oder die Fähigkeit Werkzeuge zu bauen, immer wieder an unterschiedlichen Stellen unabhängig voneinander entwickelt haben.

Privat
Zur Person:
Simon Conway Morris ist Paläobiologe am Departement of Earth Sciences der Universität Cambridge. Er beschäftigt sich mit der Evolutionsgeschichte, bekannt wurde er vor allem mit seiner Forschung zur "kambrischen Explosion". Er ist ein Vertreter der sogenannten "Konvergenztheorie" - einer seiner größten Kontrahenten war zu Lebzeiten Stephen Jay Gould, seinerseits ein Vertreter der "Kontingenztheorie".
Veranstaltungshinweis:
Am Mittwoch, den 25.3.2015, wird Simon Conway Morris im Rahmen der "Eduard Suess" Lecture an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über seine Forschungsergebnisse berichten.
Ö1-Sendungshinweis:
Über das Thema berichtet auch Wissen Aktuell, 25.3.2015, 13:55 Uhr.
Können Sie noch andere Beispiele dafür nennen?
Die besten Beispiele dafür finden wir unter den Vögeln, insbesondere bei den Krähen. Für Forscher ganz besonders interessant ist die Geradschnabelkrähe. Ihre Fähigkeit Werkzeuge zu bauen ist unglaublich, viel beeindruckender als die eines Schimpansen zum Beispiel. Diese Krähen stellen sehr ausgefeilte Werkzeuge her, die sie für unterschiedliche Funktionen modellieren.
Auch bestimmte Affen und Delfine haben die Fähigkeit entwickelt, Werkzeuge herzustellen. Sie ist also nicht nur den Menschen vorbehalten. Und sobald die Fähigkeit zum Werkzeugbau ein Stadium erreicht, in dem gejagt und Landwirtschaft betrieben werden kann, entstehen Möglichkeiten, den Planeten für immer zu verändern.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Anlagen für das menschliche Leben von Anfang an da waren, sind auch in anderen Lebewesen die Fähigkeiten zu "menschlicher" Intelligenz angelegt?
Gegenfrage: Was braucht es, um so etwas wie ein Mensch zu werden? Auch wenn das trivial klingen mag, lautet die Antwort: zunächst einmal ein großes Gehirn, über unterschiedliche Sinne verfügen, auf zwei Beinen gehen, Werkzeuge herstellen und auch kreativ denken können.
Der Punkt ist: All diese Dinge sind nicht nur Menschen vorbehalten. In vielem sind sie heute natürlich einzigartig - wir haben etwa unfassbare Technologien entwickelt. Aber man muss nicht so weit in der Geschichte zurückgehen, um zu sehen, dass wir die Dinge so gemacht haben, wie sie andere intelligente Arten heute auch machen.
Ich bin mir nicht sicher, wie ein Mensch aussehen muss. Aber es gibt gute Argumente dafür, dass die Dinge, die wir mit höherer Intelligenz assoziieren, die eventuell Technologie und Zivilisation hervorbringen könnten, mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder auftreten. Ganz einfach deshalb, weil die Bausteine, mit denen eines Tages dieser Zustand erreicht werden kann, in vielen verschiedenen Arten angelegt sind.
Das klingt zwar logisch, Ihre Theorie hat aber auch Kritiker. Können Sie kurz beschreiben, wo sich Ihre Meinung von anderen Biologen abhebt?
Zunächst: Es gibt absolut keinen Disput über die Realität von Evolution. Wie wir sagen: "Darwin got it right". Natürlich wissen wir inzwischen mehr als Darwin im Jahr 1859, als er die "Entstehung der Arten" veröffentlicht hat. Worüber wir uns heute aber nicht ganz einig sind, ist die Frage, ob der Prozess der Evolution mehr oder weniger zufällig ist oder nicht. Oder anders ausgedrückt: Ist der Prozess der Evolution voraussagbar?
Sie glauben, dass er das ist?
Auf den ersten Blick scheint die Evolution sehr chaotisch und wenig zielgerichtet - insbesondere Vorgänge wie Mutationen und Massensterben. Wenn man aber sieht, wie ein- und dieselbe Lösung immer wieder von der Natur "erfunden" wurde, dann weist das sehr wohl auf eine gewisse Voraussagbarkeit hin. Es wird oft das Argument vorgebracht, dass es keine Menschen gäbe, wenn die Dinosaurier nicht ausgestorben wären. Ich denke hingegen, der Mensch hätte sich früher oder später so oder so entwickelt, denn die Säugetiere begannen sich zur Zeit der Dinosaurier bereits zu diversifizieren. Und wären die Dinosaurier nicht durch eine natürliche Katastrophe ausgerottet worden, hätten es eines Tages die Menschen durch Jagd erledigt.
Wo ich einen Schritt weiter gehe als andere, ist zu sagen, dass die Vielfalt an Lösungen, die die Natur hervorbringt, eine sehr geringe ist. Auch wenn es davon viele Variationen geben mag. Wenn wir davon ausgehen, dass alles, was die Evolution von höherer Intelligenz bedingt, all das, was wir damit verbinden, menschlich zu sein - wie etwa ein Bewusstsein zu haben - keine zufälligen Produkte, sondern sehr wahrscheinlich sind, dann müssen wir davon ausgehen, dass so etwas auch außerhalb der Erde vorkommen kann.
Das Problem ist: Dafür gibt es noch keinerlei Beweise ...?
Ja, und dafür gibt es eine Reihe von Erklärungen. Eine davon ist natürlich, dass es schlichtweg kein Leben außerhalb der Erde gibt. Aber als Wissenschaftler haben wir die Möglichkeit, verschiedene Theorien zu entwickeln und zu versuchen, sie zu beweisen. Jede dieser Theorien könnte richtig sein. Und das ist es, warum wir die Wissenschaft so faszinierend finden: Jeden Tag macht einer von uns eine brandneue Entdeckung. Und am Ende könnten die Folgen dieser Entdeckungen bahnbrechend sein. Denn was, wenn wir nicht allein wären? Was, wenn wir früher oder später mit außerirdischen Zivilisationen in Verbindung treten würden? Aber das ist derzeit natürlich alles nur Spekulation.
Auf Wikipedia werden Sie als "Christ" beschrieben, der vor allem für seine "theistische Sicht auf die Evolutionsgeschichte bekannt ist". Fühlen Sie sich dadurch gut charakterisiert?
Es ist eine Charakterisierung. Das Problem ist, dass nicht offensichtlich ist, welcher Zusammenhang zwischen Religion und Wissenschaft existiert. Das ist aber keine Frage für die Wissenschaft, sondern eine für die Theologie. Aber ja, ich bin Christ. Und als Wissenschaftler und als Person bin ich sehr neugierig. Und da tun sich zwangsläufig Fragen auf, manche davon sind philosophischer Natur. Etwa: Wie können wir uns überhaupt dessen sicher sein, was wir zu wissen glauben?
Natürlich gibt es handfeste physikalische Fakten. Wenn ich von einem hohen Gebäude springe, werde ich das nicht überleben. Aber es gibt viele Dinge, die wir nie verstehen werden. Wir wissen nicht, ob wir auch nur annähernd einen Bruchteil dessen wissen, was es zu wissen gibt. Und mein Verdacht ist: Wir wissen fast gar nichts. Ich verdächtige die Menschheit, den meisten Dingen gegenüber äußerst ignorant zu sein. Aber natürlich, wir können nur etwas über die Dinge wissen, wenn wir sie erkunden und erforschen. Um es auf den Punkt zu bringen: Bloß weil wir sehr viel wissen, sollten wir nicht davon ausgehen, dass dies das Ende der Geschichte ist.
Bringen Sie Ihre Religion in Zusammenhang mit Ihrer Forschung?
Wenn Sie sich mit Physik befassen, sehen Sie, dass es eine Menge profunde Fragen zur Entstehung des Universums gibt. Aber das hat nichts mit Theologie zu tun. Ich würde beispielsweise niemals den Urknall als Beweis für die Existenz von Gott heranziehen. Da gibt es sehr gute Gründe, warum das ein großer Fehler wäre. Aber dennoch glaube ich, dass wir als Menschen in einer Welt leben, die weit über jede Wissenschaft hinausgeht.
Ich denke, wenn man auch eine religiöse Dimension miteinbezieht, dann bereichert das. Aber natürlich sehen sehr viele meiner Kollegen keinen Grund dafür. Und ich denke, es ist schwierig darüber zu sprechen. Was ich niemals machen würde, ist meine wissenschaftliche Ausbildung und mein Wissen dafür zu nutzen, um zu versuchen, die Existenz Gottes zu beweisen oder etwas in der Art.
Sind Sie als Evolutionsbiologe christlichen Glaubens möglicherweise glaubwürdiger für Menschen, die aufgrund ihrer Religion die Evolutionstheorie ablehnen?
Ehrlichgesagt glaube ich das nicht. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: Es gibt viele Wissenschaftler die auch einer Religion angehören - darunter Christen, Juden, Moslems und andere. Religiöse Wissenschaftler sind also nicht so rar, wie Sie vielleicht annehmen. Zweitens: Wenn jemand über Theologie diskutieren will, bin ich dafür nicht der Richtige, weil ich eben Biologe und kein Theologe bin. Alles, was ich tun kann, ist zu beschreiben, wie ich die Konstruktion der Welt als Wissenschaftler beobachte.
Und dabei kann man sich damit begnügen, die Welt schlichtweg als Material zu begreifen, für das man wissenschaftliche Instrumente braucht und das war’s. Oder man geht weiter und begreift die Welt als viel differenzierter, eben nicht bloß als Material - das ist mein Blickwinkel. Und wenn man diesen Blick hat, dann tut sich zwangsläufig ein Interesse an religiösen Fragestellungen auf. Ich würde es als Fehler erachten, hier einer Gruppe Recht zuzusprechen, für mich ist das alles "Work in Progress". Und so gesehen kann man das alles auf einen Satz zuspitzen: "Glaub nicht, dass dich die Welt nicht überraschen könnte."
Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at