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Dokumente des Massakers von Hofamt Priel am 2. Mai 1945. Die SS erschoss hier 228 Menschen. Die Dokumente der Opfer erhielten sich, weil sie von einem Gendarmen gesammelt wurden

41 Tage, 30.000 Ermordete

Vor 70 Jahren, am 29. März 1945, hat die Rote Armee die Grenzen des "Dritten Reichs" im Burgenland überquert. Am 8. Mai kapitulierten die Nationalsozialisten. In den 41 Tagen dazwischen nahm ihre Gewalt noch einmal zu: Rund 30.000 Menschen kamen in der "Ostmark" ums Leben - bei Todesmärschen, Menschentreibjagden und Lynchmorden.

Vor 70 Jahren 30.03.2015

Bild oben: Dokumente des Massakers vom Hofamt Priel am 2. Mai 1945. Die SS erschoss hier 228 Menschen. Die Dokumente der Opfer erhielten sich, weil sie von einem Gendarmen gesammelt wurden.

"Endphaseverbrechen" nennt die Geschichtswissenschaft dieses erst seit relativ kurzer Zeit untersuchte Fachgebiet. "Es ist eine Phase intensivierter Gewalt, motiviert durch die Logik der herannahenden Front", sagt die Historikerin Heidemarie Uhl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Todesmärsche und Massaker

Als die ersten Truppen der Roten Armee bei Klostermarienberg im Burgenland die heutige österreichische Grenze überschritten, riefen die NS-Zeitungen dazu auf, "Feiglinge und Vaterlandsverräter" - also Soldaten, die ihre Wehrmachtsuniform ausziehen wollten - zu bekämpfen. "Ein Aufruf zu einem Terror nach innen", sagt Uhl.

Noch am selben Tag, am 29. März, kam es zu Massakern in Deutsch-Schützen, St. Margarethen und Bad Deutsch-Altenburg. Die Opfer waren ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, die zum Bau des "Südostwalls" in die Grenzregion verschleppt worden waren. Tausende von ihnen waren in menschenunwürdigen Lagern untergebracht. Mit dem Näherkommen der Front wurden sie in Richtung Konzentrationslager Mauthausen gebracht.

Auf diesen Todesmärschen kamen 23.000 Menschen ums Leben, die höchste Anzahl an Ermordeten in dieser Endphase des Kriegs. Rund 30.000 Menschen wurden insgesamt durch Massaker und Ähnliches getötet. Zum Vergleich: Bei den Kampfhandlungen zwischen Wehrmacht und alliierten - in erster Linie sowjetischen - Truppen kamen in jenen 41 Tagen zwischen 40.000 und 50.000 Menschen (Soldaten und Zivilisten) auf heutigem österreichischem Gebiet ums Leben.

Ausstellung:

Vom 16. April bis zum 3. Juli 2015 ist in Wien auf dem Heldenplatz und im Äußeren Burgtor die Ausstellung "Kriegsende 1945 - Verdichtung der Gewalt" zu sehen. Gestalter sind das Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW und das Institut für Geschichte der Uni Graz, in Kooperation mit dem Verteidigungsministerium.

Ö1-Sendungshinweis:

Über das Thema berichteten auch die Ö1 Journale, 30. März, 12.00 Uhr.

Aufnahme des Todesmarsches jüdischer Ungarn durch Hieflau im April 1945

Walter Dall-Asen

Todesmarsch jüdischer Ungarn durch Hieflau im April 1945 (Quelle: Walter Dall-Asen, zur Verfügung gestellt von Heimo Halbrainer)

Punktuell und lokal wurden die Ereignisse in den vergangenen Jahren aufgearbeitet: Neben den Todesmärschen etwa die Massaker von Rechnitz und am Präbichl. Für eine neue Ausstellung, die am 16. April auf dem Wiener Heldenplatz unter dem Titel "41 Tage. Kriegsende 1945 - Verdichtung der Gewalt" eröffnet wird, haben Uhl und ihr Forscherteam nun dieses Wissen zusammengetragen und mit neuem kombiniert - so zum Beispiel Forschungsergebnissen zu Lynchmorden an alliierten Flugzeugbesatzungen, deren Maschinen abgeschossen wurden.

Politik der verbrannten Erde

"Das alles waren nicht nur einzelne lokale Geschehnisse, sondern dahinter steckt eine Logik der Gewalt", sagt Uhl. "Die Befehle zu einem fanatischen Kampf und zu einer Politik der verbrannten Erde kamen von ganz oben. Man kennt Hitlers Nero-Befehl: Wenn schon untergehen, dann so blutig wie möglich und den Feinden so wenig Infrastruktur übrig lassen wie möglich!"

Diese Logik habe es auch im heutigen Österreich gegeben. Etwa in Gestalt von August Eigruber, dem Gauleiter von "Oberdonau". Auf seinen Befehl wurden in den letzten Kriegstagen die letzten Vergasungen in Mauthausen durchgeführt - Opfer waren politische Gegner und Widerstandskämpfer. "Sie wurden gezielt ermordet, damit sie nicht beim Wiederaufbau des Staates helfen können", sagt Uhl.

Opferbergung in Gunskirchen durch deutsche Kriegsgefangene

BMI/USHMM

Opferbergung in Gunskirchen durch deutsche Kriegsgefangene: Gunskirchen war der Endpunkt der Todesmärsche jüdischer Ungarn durch Österreich

So wie während der gesamten Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten gab es für die Einzelnen aber auch Handlungsspielräume. Das zeigt sich zum Beispiel bei Gefängnissen. Im Wiener Landesgericht wurden einerseits politische Gefangene wie Leopold Figl und Paula von Preradovic in den letzten Kriegstagen - gegen ausdrückliche Befehle von oben - freigelassen, andererseits 46 Häftlinge nach Stein getrieben und dort hingerichtet.

Im Gefängnis Krems-Stein hatte wenige Tage zuvor eines der blutigsten Massaker stattgefunden: Der Gefängnisdirektor entschloss sich, die Tore zu öffnen und die Häftlinge freizulassen. Er und drei Wachmänner wurden daraufhin auf Befehl des Kreisleiters exekutiert. In der Strafanstalt und bei der anschließenden "Kremser Hasenjagd" ermordeten fanatische NS-Wachleute, Waffen-SS und Volkssturm mit tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung rund 385 Häftlinge.

Die wenigsten Täter wurden verfolgt

Was die Täter zu ihren Taten bewogen hat, obwohl das Ende der NS-Herrschaft bereits absehbar war? "Neben den 'Führerbefehlen von oben' gibt es auch einen psychologischen Erklärungsansatz", sagt Uhl. "Oft waren das Männer, die aus verschiedenen Gründen - Krankheit, Alter, "Unabkömmlichkeit" - nicht in die Wehrmacht eingezogen wurden, oder junge, ideologisch fanatisierte Burschen der Hitlerjugend, die beweisen wollten, wie männlich sie sind."

Zur Verantwortung für ihre Taten gezogen wurden sie später nur in den seltensten Fällen. "Wenn sie nach Kriegsende rasch vor die Volksgerichte kamen, gab es zum Teil Todesurteile. Ewa in Eisenerz nach dem Massaker am Präbichl, wo mehr als 200 Juden vom lokalen Volkssturm ermordet wurden." In vielen Fällen habe sich die Anklage aber lange gezogen, und dann seien die Täter mit relativ geringen Haftstrafen davongekommen - oder sie wurden infolge der rasch einsetzenden Amnestien überhaupt bald wieder freigelassen.

Vergleich der Kärntner Zeitung vom 7. Mai und vom 8. Mai 1945

Privat

Der Wechsel ging schnell: "Kärntner Zeitung" vom 7. Mai und vom 8. Mai 1945: Schriftzug, "Schriftleiter" und Redakteure blieben gleich - nur der NS-Reichsadler fehlt im "freien Kärnten" (re.)

Widerstand gegen die NS-Befehle

In der Großstadt Wien wurde dem Aufruf zum Volkssturm - also zur Beteiligung junger Burschen und alter Männer in den letzten Kriegstagen kaum gefolgt. Hier formierten sich angesichts der herannahenden Front Widerstandsgruppen, die gegen die NS-Durchhalteparolen aktiv wurden.

Das Ziel der Widerstandskämpfer war es, die Schlacht um Wien so unblutig wie möglich verlaufen zu lassen. Die Rote Armee wurde so zum Teil durch die Stadt gelotst, um Kampfhandlungen zu verhindern. "Es gibt Quellen, dass gerade in ärmeren Arbeiterbezirken Hunderte Soldaten überredet wurden, die Uniformen auszuziehen. Kleidungslager der Winterhilfe wurden geplündert, und daraus bezogen sie ihre Zivilkleider", erzählt Uhl.

Auf der einen Seite gab es also in den letzten Kriegstagen Akte des Widerstands, zum Teil aber auch eine "erstaunliche Loyalität gegenüber dem untergehenden NS-Staat, wie bei der ,Kremser Hasenjagd‘", resümiert die Historikerin. "Klar ist auch, dass es bis zuletzt einen enormen Druck gab, dass man selber zum Opfer des NS-Terrors wird. Ein menschliches Verhalten konnte bis zuletzt das Leben der Helfer in Gefahr bringen."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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