Standort: science.ORF.at / Meldung: "Arm als Kind, krank als Erwachsener"

Ein Kind bekommt ein Medikament auf die Zunge getropft.

Arm als Kind, krank als Erwachsener

280.000 Kinder und Jugendliche leben in Österreich in Armut, berichtet die Liga für Kinder- und Jugendgesundheit in ihrem am Mittwoch präsentierten Jahresbericht. Besonders folgenschwer ist laut Bericht die Kombination aus Armut und fehlender Krankenversicherung. Denn unter versäumten Behandlungen leiden Menschen manchmal ihr ganzes Leben.

Gesellschaft 08.04.2015

Die Ambulanz AmberMed bietet deshalb Menschen ohne Versicherungsschutz eine kostenlose medizinische Grundversorgung.

Rund 2.000 Patienten pro Jahr

2.064 Patientinnen und Patienten wurden von AmberMed im Jahr 2014 betreut, ein Zehntel davon war jünger als 18 Jahre. Zwar ist der Großteil der Menschen, die in die Ambulanz kommen, aus einem anderen Land zugewandert. Aber auch immer mehr Österreicherinnen und Österreich suchen die von Diakonie und Rotem Kreuz getragene Einrichtung auf, weil sie keine Krankenversicherung haben.

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Ö1-Sendungshinweis:

Über den Bericht der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit sowie AmberMed berichtete am 8. April 2015 auch das Morgenjournal.

Ambulanzleiterin Carina Spak sagt: "Wir haben 2014 beobachtet, dass sich der Anteil von Österreichern innerhalb eines Jahres von 53 auf 103 fast verdoppelt hat." Verantwortlich macht sie dafür "atypische Beschäftigungsverhältnisse ohne Krankenversicherung, Trennungen, weshalb für Frauen die Mitversicherung wegfällt, und untertauchende Männer, wodurch die Kinder plötzlich nicht mehr versichert sind."

Klaus Vavrik, Vorsitzender der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, im Gespräch mit Andrea Maiwald im Ö1 Mittagsjournal am 8. April 2015.

Armut beschämt

Der Arzt Heinz Bixa

Elke Ziegler, science.ORF.at

Der Arzt Heinz Bixa

Armut sei ein ständiges Thema in der Ambulanzarbeit, bestätigt der Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Heinz Bixa. Er hatte eine Ordination im Weinviertel in Niederösterreich und ist bereits in Pension, arbeitet aber ein- bis zweimal pro Monat ehrenamtlich bei AmberMed mit.

Hilfe in Anspruch zu nehmen ist hier nicht selbstverständlich, meint der Arzt. Und das wirkt sich ganz direkt auf die Kinder aus: "Ich habe den Eindruck, dass Infekte schon vor einem ersten Arztbesuch wesentlich länger andauern, als ich das aus meiner früheren Ordination kenne. Diese Schwelle zu überschreiten und sich Hilfe zu holen scheint für manche Menschen sehr schwierig zu sein."

Die Hilfe besteht bei AmberMed nicht nur aus einer gründlichen Untersuchung durch ausschließlich ehrenamtlich arbeitende Ärztinnen und Ärzte, sondern auch aus der Versorgung mit Medikamenten, sofern sie aus Spenden zur Verfügung stehen. Wenn Operationen nötig sind, arbeitet die Ambulanz mit verschiedenen Krankenhäusern zusammen.

Irreparable Schäden

Zweimal konnte bei Kindern dadurch das Gehör gerettet werden, einmal bei einem Buben sogar das Augenlicht bei einem Auge, erzählt Ambulanzleiterin Spak.

Für AmberMed gespendete Medikamente

Elke Ziegler, science.ORF.at

Schmerzmittel, Nasentropfen: Medikamentenspenden bei AmberMed

Immer wieder gebe es solche Einzelfälle, bei denen "Schäden irreparabel bleiben, wenn es nicht in der Kindheit die Möglichkeit zum medizinischen Eingriff gibt. Oft sind das sehr kleine Eingriffe, die auch nicht viel kosten - umso bedrückender ist es, wenn sie aufgrund einer fehlenden Versicherung nicht gemacht werden."

Schwierige längerfristige Therapien

Ambulanzleiterin Carina Spak vor einem Schrank mit gespendeten Medikamenten

Elke Ziegler, science.ORF.at

Ambulanzleiterin Carina Spak vor einem Schrank mit gespendeten Medikamenten

Schwierig wird es immer dann, wenn längerfristige Betreuung nötig ist, so die Sozialarbeiterin. Logopädie, Physiotherapie, Ergotherapie - all diese Behandlungen können kaum von AmberMed organisiert werden. Und auch immer mehr Menschen mit Versicherung können sich diese Therapien für ihre Kinder nicht leisten, betont Spak: "Bei vielen dieser Behandlungen müssen die Eltern vorauszahlen und bekommen einen Teil nach mehreren Monaten rückerstattet. Immer mehr Menschen ist diese Vorauszahlung aber nicht möglich, weil sie ihr ganzes Geld für alltägliche Ausgaben wie Essen und Miete brauchen."

Arm zu sein bedeutet auch, sich kein qualitativ hochwertiges Essen leisten zu können, sondern kaufen zu müssen, was gerade im Angebot ist. Immer wieder leiden Kinder unter Mangelversorgung oder Übergewicht, der Zugang zu gesunden Lebensmitteln ist deshalb ein Thema bei AmberMed, so die Ambulanzleiterin: "Wir bekommen zweimal wöchentlich von der Wiener Tafel Obst und Gemüse. Zu diesen Terminen kommen manche Familien extra her, auch wenn sie keinen Arzt brauchen, weil das für sie die einzige Möglichkeit ist, gesunde Lebensmittel zu bekommen."

Versorgung bis 15

"Die Kinder können nichts dafür, dass die Eltern möglicherweise Fristen verpasst und Anträge nicht gestellt oder die Entscheidung zur Auswanderung getroffen haben", sagt Spak. Sie würde sich deshalb wünschen, "dass in Österreich alle Kinder bis 15 medizinisch so versorgt sind, dass Fehlentwicklungen - welcher Art auch immer sie sind - korrigiert werden können".

Dann würden Armut und Versicherungsverhältnisse nicht mehr darüber mitentscheiden, ob aus einem kranken Kind ein chronisch kranker Erwachsener wird.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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