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Eines der Blaschka Modelle

Wissenschaftsgeschichte aus Glas

Blumen, die immer blühen: Diesen Traum realisierten zwei böhmische Künstler vor rund 150 Jahren. Leopold und Rudolf Blaschka fertigten damals Glasmodelle von Meerestieren und Pflanzen an, die der Realität sehr nahe kamen. Zum Schluss waren es tausende naturkundliche Objekte, die sie weltweit an Museen und Unis verkauften.

Gastbeitrag 20.04.2015

Die Modelle überzeugen nicht nur ästhetisch, meint der Philosoph und Kulturwissenschaftler Florian Huber in einem Gastbeitrag. Sie erzählen auch von der Entwicklung der Lebenswissenschaften im frühen 20. Jahrhundert.

Die Natur im Museum

Von Florian Huber

Über den Autor:

Florian Huber studierte Philosophie in Wien. Von 2010 bis 2014 war er Doktorand im FWF-geförderten Kolleg "Naturwissenschaften im historischen, philosophischen und kulturellen Kontext" der Universität Wien, im Frühjahr 2012 zudem Visiting Ph. D. Student am Harvard Department of the History of Science. Im Studienjahr 2014/15 war er Junior Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften. Seit April 2015 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaft und Literarische Kulturen der Leuphana Universität Lüneburg.

Veranstaltungshinweis:

Am 20.4. hält Florian Huber einen Vortrag mit dem Titel " Weltmarktführer. Die Blaschka-Modelle im Kontext einer Geschichte der Lebenswissenschaften".

Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17,
1010 Wien; Zeit: 18 Uhr c.t.

Einige Blaschka-Objekte sind auch im Naturhistorischen Museum Wien zu sehen: seit 15.4. in "Die präparierte Welt", ab 6.5. in "Das Wissen der Dinge".

Links:

Modell von Apolemia uvaria, Institut für theoretische Biologie, Zoologische Sammlung, Universität Wien.

Institut für theoretische Biologie, Zoologische Sammlung, Universität Wien

Modell von Apolemia uvaria

Modell einer Leuchtqualle, Institut für theoretische Biologie, Zoologische Sammlung, Universität Wien.

Institut für theoretische Biologie, Zoologische Sammlung, Universität Wien

Modell einer Leuchtqualle, beide Bilder: Gregor Eder, Florian Huber, Zoologische Sammlung (Universität Wien, Österreich), finanziert durch den Austrian Science Fund (FWF): W 1228.

Fast 200.000 Besucher jährlich zählt das Naturhistorische Museum der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Sie kommen hauptsächlich einer Attraktion wegen, eine Universitätssammlung, die exotische und heimische Pflanzen in Originalgröße zeigt.

In einem eigenen Ausstellungsraum innerhalb des Museums lagern in historischen Vitrinen unzählige Beispiele für den Arten- und Formreichtum der Natur: Farnpflanzen und Moose, Orchideen, Lilien oder Rosen, in systematischer Ordnung aneinandergereiht.

Großgewachsene Palmblätter und Äste voller Äpfel finden sich in direkter Nachbarschaft zu filigranen Gräsern. Nutzpflanzen und Neuzüchtungen treffen hier auf den Wildwuchs einer vermeintlich unberührten Natur, die nur wenig mit den gepressten Pflanzen aus dem benachbarten Herbarium gemeinsam hat, stattdessen lebendig und zum Greifen nah erscheint.

Auffallend vorsichtig bewegen sich die zahlreichen Besucher in den schmalen Gängen zwischen den Ausstellungskästen, versehen mit einem Hinweisschild: "Please do not lean on or put objects on the cases. All the models are made of glass."

Alle Pflanzen sind aus Glas

Man weiß nicht, was erstaunlicher ist. Die bestechende Detailgenauigkeit der Kunstpflanzen oder das Material, aus dem sie bestehen. Pflanzen aus Glas, erworben zwischen 1887 und 1936 zu Lehr- und Ausstellungszwecken. Etwa 4.400 Modelle von 800 verschiedenen Pflanzenarten umfasst die so genannte Ware Collection of Blaschka Glass Models of Plants, zwei Drittel davon werden in der ständigen Ausstellung gezeigt.

Die exklusiv für das botanische Museum der Harvard University gefertigten Pflanzenmodelle bilden zweifellos den Höhepunkt des Werks der beiden böhmischen Glaskünstler Leopold (1822–1895) und Rudolf Blaschka (1857–1939).

Leopold und Rudolf Blaschka: Glasmodelleure

Der ausgebildete Gold- und Silberschmied Leopold Blaschka hatte zunächst Schmuckstücke und Einrichtungsgegenstände gefertigt, bevor er sich, ab 1870 gemeinsam mit seinem Sohn Rudolf, der Erzeugung naturkundlicher Glasobjekte widmete. Neben Glasaugen für Tierpräparate und medizinische Zwecke entstanden in seiner erst in Böhmisch-Aicha, später in Dresden-Hosterwitz gelegenen Werkstatt ab den frühen 1860er-Jahren zahlreiche Modelle wirbelloser Meerestiere für naturhistorische Museen und Unterrichtsanstalten.

In Alkohol konserviert verloren Seeanemonen, Quallen oder Tintenfische schnell an Form und Farbe, wodurch das Studium ihrer äußeren Merkmale stark beeinträchtigt wurde. Die von Blaschka in Handarbeit hergestellten Glasmodelle versprachen eine preisgünstige Alternative zu solchen Feuchtpräparaten. Zudem fanden die gläserne Gestalt vieler Meerestiere und ihr transparenter Lebensraum in den Arbeiten der Blaschkas eine ideale, dreidimensionale Entsprechung.

Modelle zur Wissenspopularisierung

Dank der hohen ästhetischen Qualität der Glastiere nahm eine interessierte Öffentlichkeit breite Kenntnis von den Fragestellungen der noch jungen Meeresbiologie. Auch Studierende und Wissenschaftler konnten mithilfe der Modelle neue Arten kennenlernen, ohne weite und kostspielige Reisen zu unternehmen. Zur Gewährleistung der hohen wissenschaftlichen Qualität ihrer Glasobjekte pflegten die Blaschkas einen eigenen Garten, unterhielten Aquarien zur Lebendbeobachtung von Meerestieren und korrespondierten mit führenden Biologen ihrer Zeit wie etwa dem deutschen Zoologen Ernst Haeckel (1834–1919). Dabei konnten die Modelle ständig weiterentwickelt und den Wünschen eines stetig wachsenden Kundenkreises angepasst werden.

Vor allem in Großbritannien und Nordamerika erreichten die Arbeiten der Blaschkas eine ungeheure Popularität, die bis heute andauert. Neben der erwähnten Sammlung der Harvard University, die vor allem für ihre Pflanzenmodelle bekannt ist, besitzen etwa das National Museum of Ireland und die Cornell University prominente Kollektionen von Meerestieren aus Glas.

Aber auch in Österreich findet sich eine der weltweit größten Blaschka-Sammlungen in der Sternwarte des Stifts Kremsmünster. Außerdem verfügen hierzulande etwa das Naturhistorische Museum und die Zoologische Sammlung der Universität Wien über wichtige Bestände der kostbaren Glastiere.

Modelle zum Nachdenken über die Natur

Dass sich die Beschäftigung mit ihnen lohnt, belegen in den letzten Jahren zahlreiche historische Publikationen und Tagungen. Nicht länger werden die Blaschka-Modelle lediglich in ihrer illustrativen Funktion für die Wissenschaften wahrgenommen.

Sie dienten nicht nur der Abbildung wissenschaftlicher Phänomene, sondern waren maßgebliche Inspirationsquellen für ein neues Nachdenken über die Vielfalt der Organismen und ihre Lebenswelten. Als künstlerisch wertvolle Objekte eröffneten sie der wissenschaftlichen Vorstellungskraft neue Räume, deren Erforschung noch lange nicht abgeschlossen scheint.

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