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Slavoj Zizek

Wir brauchen mehr "Disziplin und harte Arbeit"

Er ist ein Freund von Disziplin und harter Arbeit, bekennender Eurozentriker und steht zum Projekt des Kommunismus: Der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek war am Dienstag in Wien und hat dort eines seiner berühmten Thesenfeuerwerke abgeschossen.

Slavoj Zizek 06.05.2015

Dass Zizeks Vorträge wie auch seine Bücher einem Assoziationsgewitter ähneln, ist bekannt. Am Vorabend zur diesjährigen Freud-Lecture, die er am Mittwoch im – seit Wochen ausverkauften – Burgtheater gehalten hat, gab er eine Kostprobe im kleineren Kreis: in der Bibliothek des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen.

Die "Methode Zizek"

Deren neue Direktorin – die indische Sozialanthropologin Shalini Randeria – weilte gerade im Ausland. Sie hätte mit Zizek vermutlich trefflich streiten können. Postkolonialismus, Postmoderne und andere zeitgeistige Strömungen der akademischen Debatten sind ihm nämlich ein Gräuel. In seiner ihm typischen Art – heftig gestikulierend und schwitzend, mit enormer körperlicher Präsenz – deklinierte er diese Abscheu und vertrat die eigene Position.

Natürlich in stets heiterer und nicht immer zwangsläufig stringenter Weise. Zu Indien etwa assoziierte er in geschätzt zwei Minuten die Schriftstellerin Arundhati Roy, die Vergewaltigungen von Mittelklassefrauen (die im Gegensatz zu solchen von Unterschichtsfrauen in westlichen Medien wahrgenommen werden) und den Film "Slumdog Millionaire".

Beim Erstkontakt mag dies befremden. Wer die Bücher des slowenischen Philosophen aber kennt, weiß, dass es sich dabei um die "Methode Zizek" handelt. Dass diese nichts mit Beliebigkeit zu tun hat, konnte er am Dienstag deutlich unter Beweis stellen. Dahinter steckt eine klare Haltung, die ihn im akademischen Feld herausragen lässt: Zizek steht zu den universalen Werten der Aufklärung, kritisiert den globalen Kapitalismus, fordert dessen Überwindung – und versucht auch das Scheitern des sowjetischen Kommunismus durchzudenken.

Beschäftigung mit Stalin

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Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in "Wissen aktuell": 6. 5., 13.55 Uhr.

Slavoj Zizek

ORF, Lukas Wieselberg

Beim Gestikulieren

Den Totalitarismus-Theoretikern und anderen Gleichmachern, denen zufolge Stalinismus, Nationalsozialismus und andere -ismen alle irgendwie gleich schlimm waren, hält er Beobachtungen entgegen wie diese: Wenn Stalin auf einem Parteitag eine Rede hielt, wurde er nachher von allen mit Applaus bedacht – er applaudierte sich aber auch selbst. Eine Geste, die bei Hitler völlig undenkbar gewesen wäre.

Das zeigt laut Zizek, dass sich auch Stalin als Teil des Ganzen gesehen hat, als "Diener der Bewegung." Der Stalinismus sei Teil der Aufklärung – und seiner Dialektik – und daher rühre auch Zizeks obsessive Beschäftigung mit Stalin. Noch in den Schauprozessen gegen Dissidenten und den Gulags lägen die Hinweise auf einen authentischen Kern des Kommunismus. Deren Schrecken und Grausamkeiten stellt Zizek nicht in Abrede: "Es begann als emanzipatorische Explosion und endete in einem Alptraum."

Freiwillig unfreiwillig

Was über den real existierenden Kommunismus, und vorher schon über den Faschismus, gesiegt hat, ist der Kapitalismus samt seiner liberalen Ideologie – für Zizek so etwas wie ein Schrecken ohne Ende. Aufgeladen und befeuert wurde dieser Kapitalismus durch die 68er Bewegung. An die Stelle von Verboten habe sie eine allgemeine Permissivität gesetzt, heute regiere der Hedonismus.

Für den heutigen Kapitalismus seien Subjekte, die sich als Unternehmer ihrer selbst verstehen und "freie Entscheidungen" für diese oder jene Lusterfüllung treffen, ideal. Sind wir aber wirklich frei? "Im Sinne einer 'freedom of choice' mit Sicherheit Ja", sagt Zizek. "Aber der Rahmen, innerhalb dessen wir Entscheidungen treffen können, wird immer intransparenter und undurchdringbarer", meint er mit Verweis auf Freihandelsabkommen wie TTIP und TiSA.

Slavoj Zizek

ORF, Lukas Wieselberg

Körperliche Präsenz

Und so treffen wir weiter "freie Entscheidungen" darüber, was wir lesen, wohin wir reisen, mit wem wir Sex haben etc. - aber nur "solange sie die richtigen sind", wie es Zizek ausdrückt. Die Freiheit, die der Liberalismus meint, sei eine widersprüchliche. Und der Philosoph illustriert das wieder einmal mit einer seiner zahlreichen Anekdoten: Im jugoslawischen Militär mussten die Rekruten nach einigen Wochen Grundausbildung einen Eid schwören, der sie zu richtigen Soldaten machte.

Begleitet war das von einer Unterschrift, die sie zu leisten hatten. Ein Bekannter wollte dies nicht tun, und fragte die Vorgesetzten, ob dies nicht ein freiwilliger Akt sei. "Natürlich" war die Antwort. Das Ende vom Lied: Er bekam die schriftliche Anordnung, "freiwillig zu unterschreiben".

Diese Anekdote bringt auf den Punkt, was Zizek am liberalen Freiheitsbegriff kritisiert und wie für ihn heute Macht ausgeübt wird. Letztlich gebe es nicht nur Befehle, etwas zu tun, sondern dies auch noch freiwillig zu tun. Die Subjekte werden an Entscheidungen beteiligt, die längst schon getroffen sind.

Demgegenüber setzt Zizek auf vermeintlich alte Werte wie "Disziplin und harte Arbeit". Befehlen wie im Militär zu folgen hätte auch sein Gutes, denn dann seien die Regeln wenigstens klar - die dann auch gebrochen werden könnten. Wenn aber vordergründig jeder am Aufstellen der Regeln beteiligt ist - bestes Beispiel dafür sind die neuen flachen Hierarchien - dann verschwimmen die nach wie vor bestehenden Unterschiede. Etwa zwischen Chef und Mitarbeitern.

Die Schönheit der Entfremdung

Slavoj Zizek

ORF, Lukas Wieselberg

Beim Schwitzen

Mit Partizipation in der Sprache des Managements hat Zizek überhaupt so seine Probleme. "Wollen Sie wirklich in irgendeiner beschissenen lokalen Gemeinschaft leben, wo sie die ganze Zeit darüber diskutieren müssen, wie Sie sich organisieren? Ich nicht! Ich möchte in einer gut organisierten Gesellschaft leben, wo anonyme Mächte diese Dinge tun. Und ich kann zuhause sitzen, Filme schauen und meine albernen Bücher schreiben. Ich möchte nicht permanent beteiligt sein!"

Insofern auch kein Wunder, dass der Philosoph abschließend ein Loblied auf die Entfremdung sang. Eine Welt ohne Entfremdung wäre ein Desaster, bestes Beispiel dafür sei die Höflichkeit: Selbst zwei Menschen, die sich nicht ausstehen können, würden sich aus Gründen der Höflichkeit auf der Straße grüßen und nach dem gegenseitigen Empfinden fragen. Und dies sei viel weniger eine Lüge als das Fundament gegenseitiger Anerkennung, das uns "Platz gibt zum Atmen" - eben die "Schönheit der Entfremdung".

Nachsatz zum Titel

Der Titel der Veranstaltung am IWM lautete übrigens "Was es heute bedeutet, ein großer Denker zu sein". Von den Veranstaltern wollte nachher niemand wissen, wer auf diese Idee gekommen ist. Macht aber nichts. Auch wenn Zizek konkret mit keinem Wort darauf eingegangen ist, implizit hat er das die ganze Zeit gemacht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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