science.ORF.at: Im Dezember diesen Jahres trifft sich die Staatengemeinschaft in Paris zum nächsten Klimagipfel. Herr Geden, Hand aufs Herz: Wird das diesmal etwas?
Oliver Geden: Es wird insofern etwas, als sich alle 195 Staaten an dem dort beschlossenen Vertrag auch beteiligen werden. Insofern kann man sagen: Ja, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Anders als früher wird es in dem Vertrag allerdings nicht mehr um die Einhaltung eines bestimmten Klimaziels gehen.
Es geht zunächst darum, alle an Bord zu bekommen – auch die USA, China und die Entwicklungsländer. Die Basis werden freiwillige Zusagen zur Minderung der Emissionen sein. Man fährt also die Ansprüche zurück, aber alle Beteiligten wissen: Einen weiteren spektakulär gescheiterten Gipfel wie 2009 in Kopenhagen kann sich die globale Klimapolitik nicht leisten.

Oliver Geden
Zur Person
Oliver Geden leitet an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin die Forschungsgruppe Europa. Seine Arbeitsschwerpunkte: EU-Energiepolitik und Klimapolitik. Die SWP berät die deutsche Bundesregierung und den Bundestag in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Gedens aktueller Kommentar in "Nature":
"Climate advisers must maintain integrity"
Ö1-Sendungshinweis:
Über dieses Thema berichtete auch "Wissen aktuell", 7.5.2015, 13:55 Uhr.
Mit anderen Worten: Es wird ein Vertrag ohne jegliche Verbindlichkeit werden. Kann man so das Klimaproblem lösen?
Nein, aber ich bin mir nicht sicher, ob "lösen" der richtige Begriff ist. Denn selbst wenn man es schaffen würde, die globale Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, wäre damit das Klimaproblem nicht gelöst – auch das würde im Klimasystem große Veränderungen bedeuten.
Sagen wir es so: Wir waren bislang in einer Phase mit sehr ambitionierten Zielen. Aber im Grunde genommen hat es den Staaten genügt, diese Ziele zu verabschieden – und dann hat keiner etwas gemacht.
Und nun?
Jetzt sind alle aufgefordert zu sagen, was sie tun können und wollen. Der Fortschritt ist: Alle sind dabei und es gibt keine Trennung mehr zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, zu denen sich übrigens auch China immer noch zählt.
Jetzt geht es darum, das Thema Emissionsminderungen endlich aufs Gleis zu bekommen. Wir reden darüber seit dem Gipfel 1992 in Rio. Und seitdem sind die Emissionen um fast 40 Prozent gestiegen, weil sich alle gesagt haben: Die anderen sollen mal anfangen. Das soll sich nun ändern.
Bei zwei Grad Erderwärmung wird es auf diese Weise jedenfalls nicht bleiben.
Keine Frage, dass der Vertrag von Paris das Zwei-Grad-Ziel nicht gewährleisten wird, betont sogar UNFCCC-Generalsekretärin Christiana Figueres. Die Idee ist: Man will die Zusagen bei späteren Konferenzen schrittweise erhöhen.
Das Zwei-Grad-Ziel soll, so die offizielle Formel, "in Reichweite bleiben". Man könnte sagen: Die Klimapolitik nähert sich der Diplomatie an. Denn in der Diplomatie lassen sich die einzelnen Staaten auch nur auf das festlegen, was sie selbst tun wollen.
Davon abgesehen hätte die UN ohnehin keine Sanktionsmittel, selbst bei einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag. Wir haben das beim Kyoto-Protokoll gesehen: Kanada hat seine Ziele nicht erreicht – und ist einfach aus dem Vertrag ausgestiegen. Die UNO konnte dagegen nichts machen.
Sie haben kürzlich im Fachblatt "Nature" einen Kommentar veröffentlicht, in dem Sie kritischere Töne anschlagen. Sie schreiben zum Beispiel: "Das Mantra der Klimaforschung – die Zeit wird knapp, aber das Zwei-Grad-Ziel bleibt dennoch möglich – ist wissenschaftlicher Nonsens."
Ich meinte damit: Was das Klima angeht, war es immer schon fünf vor zwölf. Es hieß immer: Wenn wir schnell etwas machen, dann ist es noch zu schaffen. Wenn man das 25 Jahre lang erzählt, während die globalen Emissionen stark ansteigen, kann etwas nicht stimmen. Entweder war es damals nicht fünf vor zwölf - oder es ist jetzt bereits fünf nach zwölf. Die Berechnungen, wie das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll, wurden im Laufe der Jahre immer dubioser.
Inwiefern?
Ich meine die Vorstellung, dass der Welt ein Emissionsbudget zur Verfügung steht, damit wir noch innerhalb des Zwei-Grad-Limits bleiben. Dieses Budget ist mittlerweile so klein, dass das Ziel realistisch nicht mehr einzuhalten ist. Deshalb haben Ökonomen damit angefangen, sich eine Verschuldungslogik zu überlegen.
Sie haben in ihren Modellen etwas kreiert, was sie "negative Emissionen" nennen. Das bedeutet, dass man irgendwann nicht nur in der Lage sein wird, überhaupt keine Emissionen mehr auszustoßen, sondern darüber hinaus der Atmosphäre sogar CO2 zu entziehen.
Das Konzept der "negativen Emissionen":
Um das Zwei-Grad-Ziel nicht zu überschreiten, dürfte die Menschheit noch 850 bis 900 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre entlassen. Sollte es mehr werden, müsste man das überschüssige CO2 später aus der Atmosphäre entfernen - falls möglich.
Die technische Umsetzung des Entzugs ist allerdings nicht gelöst.
So ist es. Die einfachste Lösung wäre: Man baut im großen Stil schnell wachsende Biomasse an, verbrennt sie in Kraftwerken, scheidet das CO2 ab und bringt es unter die Erde.
Die Wissenschaft hat verabsäumt, zwei Aspekte öffentlich zu thematisieren: Unsere Schulden steigen gegenüber dem Budget, daher wird der Betrag der notwendigen negativen Emissionen immer größer. Das hat mittlerweile Ausmaße erreicht, dass wir 500 Millionen Hektar bräuchten, um diese Biomasse anzubauen. Das entspricht dem Anderthalbfachen der Landfläche Indiens! Ich wüsste gerne: Wo soll das Land für diesen Anbau herkommen?
Und da reden wir noch gar nicht darüber, dass wir unterirdische Speicherkapazitäten für das ganze CO2 benötigen würden. Im Grunde genommen haben die Klimaforscher in ihren Modellen etwas gemacht, was in der Politik seit jeher üblich ist. Wir definieren einen Haushalt, überziehen das Konto und denken uns: Das wird später schon irgendwer ausgleichen. Ich halte das für ein fragwürdiges Konzept.
Präzisierungsfrage: Von welchen konkreten Modellen sprechen wir?
Es gibt zwei Sorten von Klimamodellen. Die einen betrachten das Erdsystem und das Klima. Die andere Sorte baut auf dieser naturwissenschaftlichen Basis auf und versucht Politikpfade zu bewerten. Das sind die Modelle, die ich meine.
Die klimaökonomischen Modelle des IPCC-Berichts versuchen die Frage zu beantworten: Mit welchen Technologien könnten wir die Emissionen auf eine möglichst kostengünstige Weise minimieren? Fragen von politischer oder gesellschaftlicher Machbarkeit werden da nicht gestellt. Und die Politik liest aus den Modellen, was sie lesen will: Das Zwei-Grad-Ziel ist noch erreichbar, Dankeschön.
Ist es aus ihrer Sicht noch erreichbar?
Nein.
Wie kommt man als Wissenschaftler dazu, eine Defizitlogik in die Modelle einzubauen, wenn sie keinen Bezug zur Realität hat?
Weil es einen Markt für solche Studien gibt. Die Politik hat eine Nachfrage nach positiven Messages generiert, die Ökonomen bewerben sich um entsprechende Gelder und rechnen das dann eben aus. Natürlich fühlen sie sich dabei unwohl, weil sie wissen, dass große Teile der Annahmen in den Modellen hinterfragbar wären.
Und sie stehen auch unter Druck. Denn wer will schon sagen, dass das nicht klappen wird? Man will ja keinen Fatalismus verbreiten und sich die Chancen vermiesen, in staatliche Beratungsgremien berufen zu werden. Im Privaten sagen viele Forscher natürlich: Das ist komplett unrealistisch, aber ich will nicht derjenige sein, der damit an die Öffentlichkeit geht.
Die Einführung und Ausweitung der Verschuldungslogik ist schrittweise passiert. Die Maßstäbe haben sich schrittweise verschoben. Wir müssen jetzt endlich eine rote Linie ziehen.
So, wie Sie das beschreiben, klingt das nach Opportunismus an der Grenze zur Unredlichkeit.
Das halte ich für eine treffende Formulierung. Man muss allerdings sagen: So ist die Wissenschaft heutzutage eben organisiert, und zwar in allen Disziplinen. Wenn Geld für gewisse Fragestellungen da ist, gibt es immer eine gewisse Verführung. Man muss sich immer die Frage stellen: Macht man dabei mit oder nicht?
Jeder, der Ministerien von innen kennt, weiß, dass Politik und Administrationen gewisse Erwartungen hegen, was die Ergebnisse der von ihnen in Auftrag gegebenen Studien anlangt. Und es gibt auch die Praxis, Studien nicht oder sehr viel später zu veröffentlichen, wenn einem die Ergebnisse nicht gefallen.
Das Schlimme an den klimaökonomischen Modellen ist: Die Forscher beschönigen das Nicht-Handeln der internationalen Politik durch dubiose Berechnungsmethoden. Das kann man, weil es ohnehin Science Fiction ist, auch noch viele Jahre so weitermachen.
Interview: Robert Czepel, science.ORF.at
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