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Porträtfoto des Philosophen Odo Marquard

Lob der Skepsis: In memoriam Odo Marquard

Der deutsche Philosoph Odo Marquard ist am Wochenende im Alter von 87 Jahren gestorben. Marquard, 1928 in der hinterpommerschen Stadt Stolp geboren, gehörte zu den einflussreichsten Vertretern der modernen philosophischen Skepsis.

Philosophie 12.05.2015

Als Angehöriger der von Helmut Schelsky so genannten "Skeptischen Generation" fand der frühere "Adolf-Hitler-Schüler" Marquard als Student des legendären Münsteraner Philosophen Joachim Ritter in den späten 1940er Jahren zur Philosophie.

Brillanter Stilist mit Humor

Ö1 Sendungshinweis:

Aus Anlass des Todes von Odo Marquard wiederholt Ö1 eine Sendung, die Günter Kaindlstorfer zu seinem 85. Geburtstag gestaltet hat: Salzburger Nachtstudio, 13.5, 21 Uhr.

Nachrufe zu Odo Marquard:

Marquard lehrte von 1965 bis 1993 an der Universität Gießen. "Marquard hat weit über die Universität hinaus in die Mitte der Gesellschaft gewirkt", erklärte Unipräsident Joybrato Mukherjee. 2008 war Marquard mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland von Bundespräsident Horst Köhler ausgezeichnet worden.

"Die Wende zur Skepsis war für jene Generation, zu der ich gehöre, nicht das Außergewöhnliche, sondern das Normale", erinnerte sich Marquard 1981: "Außergewöhnlich war nur, dass ich mit dieser Wende zur Skepsis unter die Philosophen geriet. Denn Philosophie als Studium: das bedeutet – damals wie heute – in aller Regel nicht den Beginn einer erfolgreichen Karriere, sondern den Beginn einer persönlichen Tragödie."

Eine Tragödie, die Odo Marquard durch die Jahre hindurch auf durchaus leichtfüßige Weise zu interpretieren wusste: Seine philosophischen Essays, in ihrer Mehrzahl bei Reclam erschienen, verbinden stilistische Eleganz und hintersinnigen Humor mit dem Humanismus des skeptischen Aufklärers. Seinen Anhängern gilt Odo Marquard als einer der brillantesten Stilisten der deutschen Nachkriegsphilosophie: "Philosophie muss von der Art sein, dass zumindest der Autor sie versteht", hat der Ironiker aus Gießen einmal postuliert.

Der Mensch - ein Mängelwesen

Im Zentrum des Marquardschen Denkens steht der Mensch als Mängelwesen. Seine limitierte Lebenszeit ermöglicht es dem Menschen nicht, philosophische und erkenntnistheoretische Fragen letztgültig zu beantworten. Davon ausgehend entwickelt Odo Marquard nicht nur seine "kompensatorische Philosophie", sondern auch sein "Lob des Polytheismus" und der Gewaltenteilung sowie seine "Apologie der Bürgerlichkeit".

Zum 85. Geburtstag des Giessener Philosophen erschien bei Reclam ein neues Werk aus Marquards Feder: "Endlichkeitsphilosophisches. Über das Altern". Mit dem Altwerden, dem "Lebensabschnitt der Zukunftsverminderung", hat sich Odo Marquard auch in früheren Texten schon auseinandergesetzt: "Im Alter schrumpft die eigene Zukunft gegen null", diagnostizierte der damals 85-jährige.

Dadurch könne der alte Mensch sich eine Radikalität leisten, die Jüngeren nicht zu Gebote stünde: "Alte Menschen können unbekümmerter nicht nur merken, sondern auch reden ... Das kann man ausnutzen; man kann das eigene Taktbedürfnis einschläfern und dadurch zuweilen schamlos offen sein."

Ö1 Wissenschaft/science.ORF.at

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