Der künstlerische Detektiv
Die Studie auf "arXiv.org":
"Large-scale Classification of Fine-Art Paintings: Leraning The Right Metric on the Right Feature" von B. Saleh, a. Elgammal (Preprint).
Vermutlich schafft es jeder Laie, einen Picasso und einen Albrecht Dürer auseinanderzuhalten. Bei den Impressionisten Claude Monet und Édouard Manet wird die Sache schon etwas schwieriger. Sachverständige verbringen mitunter viele Jahre mit dem Studium der Werke, um Künstler und Stilrichtungen eindeutig zu erkennen. Der Kunstexperte gleiche einem Detektiv, schreibt etwa der italienische Kunsthistoriker Carlo Ginzberg in seinem Aufsatz "Spurensicherung": "Er entdeckt den Täter (den Künstler, Anm.) mittels Indizien, die dem Außenstehenden unsichtbar bleiben."
In Zeiten, in denen mit Kunstwerken Höchstpreise erzielt werden - 143 Millionen Euro hat das Picasso-Bild "Les femmes d’Alger" soeben bei einer Auktion in New York gebracht, bekommt diese Kunstsinnigkeit noch mehr Wert, im wahrsten Sinn des Wortes: Wenn es etwa darum geht, eine Fälschung zu identifizieren oder ein unbekanntes Werk einem Künstler zuzuschreiben.
Menschliche Fähigkeiten antrainieren
Im Zeitalter der Digitalisierung versucht man, akademische Fertigkeiten wie die des Kunsthistorikers zu automatisieren. Im Bereich der Kunstgeschichte ist man bis jetzt aber mehrheitlich daran gescheitert. Selbst ausgeklügelte Algorithmen bzw. Computerprogramme waren nicht in der Lage, bildnerische Werke ähnlich gut wie Experten zu analysieren, einem Künstler oder einer Stilrichtung zuzuordnen.
Das dürfte sich nun ändern. Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens machen es möglich, dass sich Computer komplizierte und schwer formalisierbare Aufgaben gewissermaßen selbst erarbeiten, mit Hilfe sogenannter neuronaler Netzwerke - "deep learning" nennt sich das in der Fachsprache. Vereinfacht gesagt funktioniert das folgendermaßen: Der Rechner erhält eine große Menge an Eingangsdaten, die er auf Ähnlichkeiten, Unterschiede und andere Auffälligkeiten durchsucht. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in jedem neuen Lernvorgang berücksichtigt. Im Lauf vieler hintereinander folgender Durchläufe kommt der Computer nach und nach zu Kriterien, die ihm helfen, auch unbekannte Aufgaben zu bewältigen.
Konkurrenz für Menschen
In manchen Bereichen der Mustererkennung sind Rechner uns Menschen schon jetzt überlegen - man denke an den Vergleich von Fingerabdrücken oder der Iris. Durch die neuen Ansätze könnten sie uns auch bei menschlicheren Fähigkeiten wie jener der Kunstsinnigkeit durchaus Konkurrenz machen, wie die aktuelle Arbeit von Babak Saleh und Ahmed Elgammal von der Rutgers University verdeutlicht.
Ausgangspunkt der Studie war eine Datenbank von 80.000 Bildern von über 1.000 Künstlern aus 15 Jahrhunderten. Sie umfasst 27 Stilrichtungen, mit 1.500 Beispielen zu jeder davon. Diese Datenfülle verdanken die Forscher dem Digitalisierungsschub der vergangenen Jahre. Zahlreiche Sammlungen sind heute elektronisch erfasst.
Ein Teil der Werke diente dem Computer als Trainingsgrundlage. D.h., mit verschiedenen erprobten maschinellen Lernverfahren "lernte" der Rechner wichtige Bildmerkmale. Dazu zählen einfache Äußerlichkeiten wie Farbe, Textur oder Linienführung, aber auch inhaltliche Kennzeichen, unter anderem welche Objekte abgebildet sind, z.B. eine Kuh, ein Haus oder ein Baum.
Das abstrakte Resultat der Lernvorgänge war ein Vektor mit 400 Dimensionen - also Merkmalen. Danach bekam der Rechner unbekannte Werke vorgelegt. Das beeindruckende Ergebnis: In über 60 Prozent der Fälle konnte er den Urheber identifizieren und bei 45 Prozent gelang ihm auch die Einordnung in die passende Stilrichtung.
Verwandte Werke
Die Untersuchung liefert laut den Forschern aber noch weitere erhellende Einsichten in die Natur der bildenden Künste. Sie zeigen: Ein ausgereifter Kunstverstand braucht mehr als Training - das gilt für den Menschen wie für die Maschine. Denn trotz der hochdifferenzierten Merkmalanalyse kam der Computer bei manchen Bildern zu zweideutigen Ergebnissen.
Als Beispiel nennen die Studienautoren etwa die Werke von Camillo Pissarro und Claude Monet, die schwer zu unterscheiden sind. Beschäftigt man sich mit der Biografie der Künstler, wird schnell klar, warum. Beide arbeiteten in Frankreich und hatten die Académie Suisse besucht. Experten wissen außerdem, dass die beiden gut befreundet waren und sich über ihre Arbeit austauschten. Die Ähnlichkeit ihrer Bilder ist also letztlich gar nicht so überraschend.
Auch bei den Stilrichtungen kam der Rechner zu manchem ambivalenten Ergebnis, das sich bei nähere Betrachtung aber immer nachvollziehen ließ: z.B. bei der Unterscheidung von Action painting und Abstrakten Expressionismus, oder jener zwischen Renaissance und Manierismus. Künstlerische Verwandtschaften und Ähnlichkeiten, die für den gebildeten Kunsthistoriker natürlich auf der Hand liegen.
Eva Obermüller, science.ORF.at