"Der größte Logiker seit Aristoteles" - so beschrieb Albert Einstein den österreichischen Mathemaiker Kurt Gödel, der - wie so viele andere Anhänger des Wiener Kreises - seine größten wissenschaftlichen Erfolge im Exil feierte. Diese Schicksale, die rassitische und politische Verfolgung und Vertreibung des philosophischen Zirkels, stehen ab kommender Woche im Mittelpunkt einer Ausstellung im Hauptgebäude der Universität Wien: "Der Wiener Kreis - Exaktes Denken am Rand des Untergangs", anlässlich des 650-Jahr-Jubiläums der Alma Mater Rudolphina.

George M.H. van de Velde, Enschede, NL
Ausstellung spannt historischen Bogen
Kuratiert wurde die Ausstellung vom Wissenschaftshistoriker Friedrich Stadler, wissenschaftlicher Leiter des Instituts Wiener Kreis der Universität Wien, und dem Mathematiker Karl Sigmund, die dafür einen Bogen von 50 Jahren gespannt haben. "Dieser Bogen beginnt mit einem Streit zwischen den Physikern Ludwig Boltzmann und Ernst Mach über die Frage, ob Atome tatsächlich existieren", erläutert Karl Sigmund. Boltzmann war ein Verfechter der "Atomistik". Der Positivist Mach lehnte diese Theorie ab, da wir, wie er sagte, Atome nirgends wahrnehmen können.
50 Jahre später, Ende der 1940er Jahre, kam es erneut zu einem Streit zwischen zwei Wissenschaftlern, die dem Wiener Kreis nahe standen: Karl Popper und Ludwig Wittgenstein. Die beiden Denker ereiferten sich über die Frage, ob philosophischer Probleme denn tatsächlich existieren würden. "Genau in dieser Zeitspanne war Wien eine Hauptstadt der Philosophie, die viele Wissenschaftler nachhaltig geprägt hat. Und weil die meisten dieser Wissenschaftler Österreich in den 1930er Jahren verlassen mussten, war die 'wissenschaftliche Weltauffassung' des Wiener Kreis im Exil besonders erfolgreich", betont der Mathematiker Sigmund.
Ö1 Sendungshinweis:
Über dieses Thema berichtet auch das Dimensionen-Magazin, am 15.5.2015 um 19.05Uhr.
Wissenschaftliche Weltauffassung
Der Wiener Kreis formiert sich in den 1920er Jahren als Gruppe von Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Disziplinen rund um den Physiker und Philosophen Moritz Schlick. Sie begründeten die Wissenschaftstheorie des Neopositivismus oder logischen Empirismus.Ihr Ziele fassten die Mitglieder des Wiener Kreises 1929 in ihrer programmatischen Schrift "Wissenschaftliche Weltauffassung" zusammen: "Sauberkeit und Klarheit werden angestrebt, dunkle Fernen und unergründliche Tiefen abgelehnt."

Institut Wiener Kreis
"Damals war diese 'wissenschaftliche Weltauffassung' etwas heiß Umstrittenes, denn sie richtete sich gegen völkische und kirchliche Denkweisen. Deswegen wurden diese Theorien verteufelt und die Mitglieder des Wiener Kreises beruflich kurz gehalten", ergänzt Karl Sigmund. Nur die wenigsten fanden eine fixe Anstellung an der Universität Wien. Vielversprechende Nachwuchswissenschaftler, wie Kurt Gödel, mussten sich mit kleinen, schlecht bezahlten Lehraufträgen durchschlagen.
Wissenschaft soll dem Leben dienen
Den Titel "Wissenschaftliche Weltauffassung" hatten die Philosophen des Wiener Kreises bewusst gewählt, um sich von der metaphysisch vorbelasteten Vokabel "Weltanschauung" abzugrenzen. Denn sie lehnten jeden Versuch der Wahrheitsfindung, der nicht auf empirischen Erkenntnissen und systematischen Untersuchungen beruhte, kategorisch ab.
Veranstaltungshinweis:
Die Ausstellung "Der Wiener Kreis - Exaktes Denken am Rand des Untergangs" wird am 19. Mai im Hauptgebäude der Universität Wien eröffnet, wo sie bis zum 31. Oktober zu sehen sein wird.
Das Manifest benennt bereits sehr deutlich, dass es um die Zukunft des rationalen Geistes im Österreich der 1920er und 30er Jahre nicht gut steht. In der Programmschrift verbinden sich wissenschaftliche und gesellschaftliche Forderungen. Unter anderem sollte das wissenschaftliche Wissen systematisiert und vereinheitlicht werden. Nur so könne es für den Aufbau einer vernünftigen gesellschaftlichen wie politischen Ordnung effizient genutzt werden. In diesem Sinn "dient die wissenschaftliche Weltauffassung dem Leben", wie es der letzte Satz des Manifests eindringlich formuliert.
Politisches Engagement und Verfolgung
Dementsprechend waren einige Mitglieder des Wiener Kreises im Wien der 1930er Jahre auch sozialpolitisch aktiv: Der Nationalökonom und Soziologe Otto Neurath engagierte sich in der Siedlerbewegung, die die Wohnungsnot in Wien lindern wollte, der Philosoph Edgar Zilsel setzte sich für die Volksbildung ein.

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Buchtipp
Karl Sigmund: "Sie nannten sich Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs." Wiesbaden, SpringerSpektrum 2015.
ISBN 978-658-08534-6
Bereits zur Zeit des Austrofaschismus wurde der politische Druck so groß, dass etliche Mitglieder des Wiener Kreises Österreich verlassen mussten. Moritz Schlick, die zentrale Figur des philosophischen Zirkels, wird 1936 in der Universität Wien auf dem Weg zu einer Vorlesung von einem antisemitischen, ehemaligen Studenten erschossen. Einer der wenigen, der in Wien bleiben konnte, war der Philosoph Viktor Kraft. Erst 1950 erhält er eine Professorenstelle an der Universität Wien. Zwei Jahre später emeritiert er 70-jährig.
Vergessen in Österreich, Erfolg im Exil
Krafts Nachfolger verhindert jedoch, dass die Arbeit des Wiener Kreises an der Universität fortgeführt wird, sagt der Mathematiker Karl Sigmund: "Es hat damals groteske, bürokratische Verrenkungen gegeben, um Erich Heintel als Professor für Philosophie an die Universität Wien berufen zu können. Heintel war ein bekannter Gegner des Wiener Kreises, ein Substanzmetaphysiker und aktives NSDAP-Mitglied." Erst in den 1970er Jahren können die Gedanken des Wiener Kreises an der Universität wieder diskutiert und weiter gedacht werden.
Seit 1991 widmet sich das "Institut Wiener Kreis" der Dokumentation und Weiterentwicklung des Logischen Empirismus an der Universität Wien. Wegen der Vertreibung des Wiener Kreises und seiner Sympathisanten wurden viele Errungenschaften dieser Wissenschaftler erst im Exil als solche erkannt.
Errungenschaften, die unseren Alltag bis heute nachhaltig beeinflussen. Wie die Arbeiten des Logikers Kurt Gödels, der wie der Philosoph Rudolf Carnap in die USA emigrieren musste, resümiert Sigmund: "Alle Algorithmen, die dafür sorgen, dass unsere Smartphones funktionieren und unsere Apss, dass wir 'googeln' können, sie alle basieren auf formalen mathematischen Sprachen, die bereits in den 20er und 30er Jahren entwickelt wurden, und zwar im Umfeld des Wiener Kreises."
Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft
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