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Anton Zeilinger in seinem Büro

"Ich hätte noch ambitionierter sein können"

Seine Teleportationsexperimente haben ihm in der Öffentlichkeit den Spitznamen "Mr. Beam" eingebracht. In Fachkreisen gilt er als versierter und streitbarer Vertreter seiner Zunft: Anton Zeilinger, Akademie-Präsident und Österreichs wohl bekanntester Physiker, wird am 20. Mai 70 Jahre alt.

70. Geburtstag 20.05.2015

In einem Interview blickt Zeilinger auf seine Karriere zurück, spricht über eine "Spionageaffäre" und seinen wichtigsten wissenschaftlichen Beitrag: verschränkte Teilchen, die den Weg zum Quantencomputer bereiten könnten.

Zu aktuellen politischen Fragen der Akademie der Wissenschaften - etwa die im Raum stehende Ablösung von Forschungsinstituten wie CeMM und IMBA - wollte er sich nicht äußern.

Zur Person

Anton Zeilinger ist in der Öffentlichkeit vor allem wegen seiner aufsehenerregenden "Beam-Experimente" bekannt - "Quantenteleportation" nennen Physiker diese Übetragung von Information mit Hilfe verschränkter Teilchen.

Für seine wissenschaftlichen Beiträge erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die Isaac-Newton-Medaille 2008 und den Wolf-Preis für Physik 2010. Zeilinger hat das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Wien und Innsbruck mitbegründet. Seit März 2013 ist er Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Anlässlich seines 70. Geburtstags am 20. Mai findet an der Universität Wien und an der ÖAW ein international besetzter Kongress statt: "International Conference on Quantum Physics of Nature 2015".

Ö1 Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch das "Mittagsjournal", 20.5.2015, 12:00 Uhr.

science.ORF.at: Stimmt es, dass Sie einmal verdächtigt wurden, ein Spion zu sein?

Anton Zeilinger: Ja, ich wurde 1975 in Beirut gemeinsam mit einem Forscherkollegen von Palästinensern festgenommen. Das war eine Woche nach Beginn des Bürgerkriegs. Wir wurden verdächtigt, israelische Spione zu sein - die Argumentation war: Am Beginn eines Bürgerkriegs sind alle abgereist, außer die, die israelische Spione sind. Wir wurden von einem PLO-Kommandanten verhört und er sagte zu uns: "Sie müssen mir beweisen, dass Sie keine israelischen Spione sind." Und ich antwortete: "Das ist aber eine sehr interessante Frage. Wie kann man so etwas beweisen?"

Wie kamen Sie aus dieser Situation wieder raus?

Durch ein langes Gespräch mit Argumenten konnten wir unser Vis-à-vis überzeugen, dass wir tatsächlich harmlos sind.

Die Aufforderung des Kommandanten, das Unbeweisbare zu beweisen, ist ein paradoxe Machtdemonstration. Dass Sie vor allem die Logik des Satzes gesehen haben, könnte auch mit ihrer Beschäftigung mit Physik zu tun haben.

Das ist durchaus möglich. Ich glaube, es liegt einem Wissenschaftler einfach nahe, sich solche Fragen zu stellen.

Jedenfalls ist die Quantenphysik ein Fach mit vielen paradoxen Erscheinungen. Niels Bohr hat einmal gesagt: "Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, kann sie unmöglich verstanden haben." Sind Sie entsetzt?

Überhaupt nicht. Die Quantenphysik ist eine wunderbare Beschreibung der Natur, extrem präzise, mathematisch wunderschön – nur gibt es nach wie vor intuitive Probleme damit.

Laut Quantentheorie kann ein Ding an zwei verschiedenen Orten existieren. Wie gehen Sie mit so einer Vorstellung um?

Das ist eine schlampige Ausdrucksweise, die oft verwendet wird, auch von Physikern. Das Teilchen ist nicht an zwei Orten gleichzeitig, sondern der quantenmechanische Zustand, der die Wahrscheinlichkeit beschreibt, ist an diesen Orten. Das heißt: Wir sprechen nur dann von zwei Orten, wenn keine Information über den genauen Aufenthaltsort des Teilchens vorhanden ist. Wenn man die Quantentheorie auf reine Information reduziert, dann ist sie schon viel weniger kontraintuitiv.

Es liegt eine Information über einen möglichen Ort vor, bevor das Teilchen überhaupt einen Ort hat?

Nein. Es ist falsch anzunehmen, das Teilchen wäre an einem bestimmten Ort. Aber es wäre auch falsch anzunehmen, das Teilchen wäre an mehreren Orten gleichzeitig. Über den Ort kann keine Aussage gemacht werden.

Das klingt alles recht unproblematisch. Dennoch haben Sie selbst vor zwei Jahren in einer Umfrage an Fachkollegen festgestellt: Was die richtige Interpretation der Quantentheorie betrifft, gibt es in Fachkreisen nach wie vor keine Einigkeit. Der Dissens ist Programm. Warum?

Ich glaube, das hat zwei Gründe: Erstens ist noch nicht klar, was diese Theorie für unser Weltbild bedeutet. Und zweitens gibt es noch viele Leute, die den sogenannten klassischen Wirklichkeitsbegriff retten wollen. Wie Einstein – er hat etwa noch argumentiert: Das Teilchen muss an einem bestimmten Ort sein, alles andere wäre unvernünftig. Aber das wird sich ändern.

Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass sich Kugelschreiber auf diesem Tisch an einem definierten Ort befindet, obwohl er aus Quanten besteht. Oder?

Ja, er liegt an einem definierten Ort, weil er kein quantenmechanisches Objekt ist. Und weil er nicht von seiner Umgebung isoliert ist: Er tauscht ununterbrochen Information mit seiner Umgebung aus.

Wo ist die Grenze zwischen quantenmechanischem Objekt und Kugelschreiber?

Die Grenze liegt nicht in der Größe des Objekts, sie entsteht durch die Isolation von der Umgebung: Es darf in der Umgebung keine Information darüber vorliegen, wo das Objekt ist.

Würden Sie sich im Experiment auf diese Weise von der Welt isolieren, hätten auch Sie Welleneigenschaften?

"Würde" ist eine falsche Voraussetzung. Denn wenn ein Lebewesen keine Information mit der Umgebung austauscht, stirbt es sofort.

Aber tot könnte auch ein Mensch Welleneigenschaften besitzen?

Im Prinzip vielleicht. Aber das ist so weit weg von jeder Technologie, dass ich das eigentlich nicht beantworten möchte.

Ein Blick zurück auf ihre Karriere. Was war aus Ihrer Sicht Ihr wichtigster wissenschaftlicher Beitrag?

Die Entdeckung und experimentelle Verwirklichung der Verschränkungen vieler Teilchen. Das hat Wege eröffnet, die für Quantencomputer bedeutsam sind.

Welche Arbeit war das konkret?

1989 habe ich mit meinen Kollegen Greenberger und Horne vorgeschlagen, dass man drei Teilchen miteinander verschränken könnte. Das ist das sogenannte Greenberger-Horne-Zeilinger-Theorem. Die Umsetzung im Experiment gelang zehn Jahre später.

Was ist die Quintessenz der Arbeit?

Wenn ich nicht zwei Teilchen verschränke, wie es schon Schrödinger und Einstein diskutiert haben, sondern drei, ergeben sich vollkommen neue Möglichkeiten für die Informationsverarbeitung. Solche Zustände werden heute bereits in einfachen Prototypen von Quantencomputern realisiert. Die Quanteninformation lässt sich auf viele Systeme verteilen.

Etwas flapsig ausgedrückt, wenn Sie an Schrödingers Katze denken, die gleichzeitig tot und lebendig ist: Ich kann viele Katzen herstellen, die sich in einer Überlagerung von tot und lebendig befinden. Und wenn ich eine einzelne Katze anschaue und durch Messung feststelle, sie ist tot – dann sind alle anderen auch tot.

Was war der größte Fehler Ihrer Karriere?

Ich war bei meinen Zielen nicht immer so ambitioniert, wie ich hätte sein können. Manchmal macht man eben nur das nächste sich Anbietende, aber nicht das übernächste oder überübernächste. Das sage ich auch allen jungen Kollegen: Versucht in euren Zielen so ambitioniert wie möglich zu sein.

Was wäre heute in Ihrem Fach so eine ambitionierte Idee?

Ein ganz wichtiges Ziel ist es, Quanteninterferenz bei lebenden Systemen herzustellen. Man könnte die Wechselwirkung eines Nanobakteriums mit seiner Umwelt so hinzimmern, dass es nach wie vor lebt und sich trotzdem in einer Überlagerung – "Superposition" – von zwei Orten befindet. Das ist eine Riesenherausforderung.

Das wäre die nächste Revolution in Ihrem Fach?

Ich mag das Wort "Revolution" nicht. Denn die wirklich interessanten Dinge werden nicht vorhergesehen.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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