Bild oben: Scan aus dem Buch "My bondage and my freedom" des Schrifstellers und Abolitionisten Frederick Douglass
Dies meint der Philosoph Nathaniel Adam Tobias Coleman vom University College London im Gespräch mit science.ORF.at. Bei Coleman berühren sich wissenschaftliches Interesse und biografischer Hintergrund. Er streicht seinen Namen durch, weil sich dahinter die Geschichte der Sklaverei verbirgt. In dem Namen sei die historische Hoffnung weißer Sklavenhalter eingeschrieben, ihren "Sklavenbestand" beständig zu erweitern.
"Weiße Menschen haben quasi Sklaven gezüchtet. Sie haben dem Nachwuchs ihrer versklavten Afrikanerinnen europäische Nachnamen gegeben. Also eine Art Emblem, um ihren Besitzanspruch geltend zu machen. Heute besitzt diesen Nachwuchs zwar niemand mehr. Aber die Hoffnung auf den Besitzanspruch lebt in den europäischen Nachnamen weiter."

Nathaniel Coleman
Zur Person:
Nathaniel Adam Tobias Coleman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Philosophie der "Rasse" am Department of Philosophy am University College London. Seine Arbeitsschwerpunkte sind ethische, moralische, soziale und politische Philosophie mit einem Fokus auf die Versklavung afrikanischer Menschen. Er ist der erste und einzige britische Philosoph, der speziell für den Bereich der Critical Philosophy of 'Race' vom UCL beauftragt wurde.
Veranstaltungshinweis:
Coleman war Gast des Workshops "Analyzing Social Wrongs: Workshop on Social Criticism in Analytic Philosophy" am Institut für Wissenschaft und Kunst: 14. - 16. Mai 2014:
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"Afrikaner sind Philosophen"
Im Rahmen des Wiener Kongresses wurden 1814/15 die Herrschaftsverhältnisse und Grenzen Europas neu geordnet. Dabei wurde auch der Handel mit versklavten Menschen weltweit verboten. Umgesetzt wurde das allerdings erst schleppend in den Jahrzehnten danach.
Großbritannien war jenes Land, welches am Wiener Kongress von den anderen Teilnehmern forderte, den Sklavenhandel abzuschaffen - so wie es das Empire bereits 1807 getan hatte. Nach dem Beschluss hätten sich die Großmächte selbst auf die Schulter geklopft und dies als plötzliche Einsicht in die Prinzipien von Humanität und universeller Moral beschrieben, sagt Coleman. Dabei stellten sie sich nicht mehr als Versklavende dar, sondern als Emanzipatoren.
Das und anderes entlarvt sich bei genauerer Betrachtung als "Weißwaschung" der Geschichte: Neben der beschönigenden emanzipatorischen Darstellung gebe es auch die Vorstellung, dass zwar "große weiße Männer" einmal Argumente lieferten, um die Sklaverei zu rechtfertigen, sie aber dann ihre Meinung änderten und aufforderten, Afrikanern zu helfen und zu sagen: deren Versklavung sei moralisch falsch.
Doch: "Afrikanische Menschen sind Philosophen. Von jenem Moment an, wo sie entführt wurden, argumentierten sie philosophisch, dass das unrecht sei", so Coleman. Doch sie wurden nicht erhört. Selbst heute fehlen sie im philosophischen Kanon eurozentrischer Lehrpläne und werden nicht als Philosophen wertgeschätzt.
Aufklärungsphilosophen wie Thomas Hobbes oder Jean-Jacques Rousseau philosophierten und sprachen zwar über Freiheit und Sklaverei, aber nicht wirklich über die koloniale Versklavung von Schwarzen Menschen. Wenn sie dies taten, dann eher im politischen Sinne als Gegenteil von Freiheit oder metaphorisch wie die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, die damit jedoch "versklavte" wohlhabende, weiße Bürgertumsfrauen meinte. "Sie wollten sich nicht wirklich die Hände schmutzig machen, mit der tatsächlichen Sklaverei vor ihren Augen."
"Sklavenzucht" statt Sklavenhandel
Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu anderen Formen der Sklaverei wie jener der Antike sei die "Sklavenzucht" (engl.: "slave breeding") – die Reproduktion versklavter Menschen – gewesen. Darauf hatte bereits David Hume – ein schottischer Philosoph der Aufklärung – hingewiesen. Eine gesetzliche Änderung aus dem 17. Jahrhundert in den englischen Kolonien Nordamerikas – "Partus sequitur ventrem" – habe die "Sklavenzucht" unterstützt, da von nun an der gesellschaftliche Status von Frauen auf ihre Kinder überging, erklärte Coleman.
Das habe nicht nur mit einer englischen Tradition gebrochen, bei welcher der Status des Kindes von jenem des Vaters abhing, sondern ermöglichte auch, dass sich die Zahl versklavter Menschen stabilisierte bzw. vermehrte; auch dann, wenn weiße Männer Schwarze Frauen sexuell missbrauchten. Die versklavten Menschen reproduzierten sich somit selbst. Sie seien sozusagen vor Ort "gezüchtet" worden, wodurch die Großmächte keinen "Nachschub" mehr vom afrikanischen Kontinent benötigten, sagt Coleman.
Es habe den Kolonialmächten daher gut gepasst, am Wiener Kongress vom Sklavenhandel anstatt von der Sklaverei zu sprechen. Unter dem Deckmantel des sozialen Fortschritts sei es zwar verboten worden, Menschen zu kaufen und zu verkaufen, jedoch nicht, Menschen zu besitzen: Die Sklaverei wurde nicht abgeschafft, und die europäischen Imperien konnten sich weiterhin auf der Grundlage von versklavten Schwarzen Menschen bereichern.
Ökonomische Wettbewerbsvorteile zwischen den Ländern haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Schließlich ging es im Rahmen der Weltkolonialisierung um die Fragen: "Welche europäische Nation steht an der Spitze, welche europäische Nation ist wirklich weiß?"
Sklavenrevolution auf Haiti

Commons - Trisku
Toussaint Louverture, der Anführer der Haiti-Revolution, auf einem Geldschein
Ein weiterer Grund, den Sklavenhandel zu verbieten, war auch die Sklavenrevolution von Haiti. Sie begann 1791, führte zwei Jahre später zur Abschaffung der Versklavung und erreichte 1804 ihren Höhepunkt: Die vormals versklavten Afrikaner gründeten eine Republik, benannten Saint Domingue in Haiti um (was deren indigener Name war) und erklärten alle Bewohner zu Schwarzen Staatsbürgern, was für damalige Verhältnisse unglaublich war.
"Das schockierte die europäischen Imperien. Sie dachten, wir müssen etwas an der Sklaverei ändern, wir müssen den Sklavenhandel stoppen, sonst werden wir in der ganzen Karibik eine Revolution erleben", so Coleman.
Schockierend und unglaublich wurde es von ihnen auch deshalb empfunden, da Afrikaner etwas unternahmen, was im Sinne Immanuel Kants für unmöglich gehalten wurde: Der große Aufklärer dachte, dass Afrikaner unfähig wären, sich selbst vernünftig zu organisieren und zu verwalten. In Haiti taten sie jedoch genau das.
Ein Kolonialverwalter prägte das Bild von Afrikanern
Diese Ansichtsweise über die "Unfähigkeit" von Afrikanern entsprach dem damaligen Zeitgeist: So hat Edward Long , ein britischer Kolonialverwalter Jamaikas, tiefgehend die Vorstellung darüber geprägt, was ein Afrikaner sei und jemals sein könnte.
In seiner 1774 veröffentlichten "Geschichte von Jamaika" hat er die afrikanischen Menschen aus seiner kolonial-arroganten Perspektive beschrieben. Er habe gedacht, dass Schwarze Menschen rechtmäßig versklavt waren, da sie wie "Orang-Utans" seien, erklärt Coleman: "Long meinte, sie seien wie Primaten, haben die gleiche Farbe – bräunlich-schwarz – und verhalten sich in einer unzivilisierten Art und Weise. Sie sprechen seltsame Sprachen, können nicht schreiben, nehmen nicht bei intellektuellen Gesprächen teil und haben nicht die Technologien, die wir haben."
Long habe gedacht, man täte ihnen einen Gefallen, wenn man sie versklave, um sie zu "zivilisieren". Denker und Schriftsteller, die durch die Long'schen Darstellungen beeinflusst wurden, wurden als "Oran-Otang"-Philosophen bezeichnet. Diesen Begriff prägte die "Sons of Africa" – eine Anti-Sklaverei Bewegung.
"Die Söhne Afrikas"

gemeinfrei - Olaudah Equiano - Project Gutenberg eText
Olaudah Equiano
Ein führendes Mitglied der "Sons of Africa" war Quobna Ottobah Cugoano, der an der Küste Westafrikas entführt wurde. Später sei er der erste Afrikaner gewesen, der auf Englisch seine Argumente gegen die Sklaverei niederschrieb.
Das Bemerkenswerte daran sei, dass es sich bei seinen Schriften nicht um eine Erzählung oder eine Biographie, wie bei seinem Kollegen Olaudah Equiano, handelte, sondern um philosophische Argumente, die im europäischen Gedankengut der Aufklärung wurzelten; beginnend mit John Locke 100 Jahre zuvor im 17. Jahrhundert.
Cugoano habe sich zu Locke's Idee bekannt, dass jeder Mensch nur sich selbst besitze. Er argumentierte dementsprechend philosophisch, dass das auch für Afrikaner gelte. Daher können sie nicht Eigentum von anderen Personen sein. Durch die Versklavung seien Afrikaner ihrer selbst beraubt worden, meinte Cugoano. Damit sei er zu einer Schlussfolgerung gekommen, die in Locke's Gedanken angelegt sei, zu welchen dieser jedoch nicht kam. Denn Locke schrieb einmal: "Jeder freie Mann von Carolina soll die absolute Macht und Autorität über seine schwarzen Sklaven (engl.: 'negro slaves') haben."
Philosophische Zensur
"Versuchen Sie jedoch einmal Cugoano in einem philosophischen Lehrplan zu finden!", sagt Coleman. Das würde scheitern. Ebenso finde man nur "weiße Männer, normalerweise mit Bärten", wenn man auf Google-Bilder 'Philosophen' eingebe. Der philosophische Kanon sei sozial konstruiert und diskriminiere Schwarze Menschen wie Cugoano oder Anton Wilhelm Amo, ein afrikanischer Philosoph, der im 18. Jahrhundert in Deutschland lehrte und lebte. Sie wurden aus der Philosophiegeschichte quasi herausgeschrieben. Dadurch sei erzählt worden, dass versklavte afrikanische Menschen nichts Lesenswertes geschrieben haben, schon gar nichts mit philosophischem Wert. Und wenn, dann nur "Geschichten". Das sei jedoch falsch.
Diese Autoren waren Philosophinnen und Philosophen, so Coleman: Neben Cugoano und Amo seien auch die "Sons of Africa", Frederick Douglass sowie Schwarze Frauen wie die Britin Mary Prince oder die Amerikanerinnen Sojourner Truth und Harriet Ann Jacobs dazuzuzählen.
Mit der britischen Kampagne "Why is my curriculum white" oder der verwandten südafrikanischen "Rhodes must fall" werden heute Versuche unternommen, jenen Stimmen Gehör zu verschaffen, die ignoriert wurden und gegen institutionalisierte Rassismen, wie eurozentrische Lehrpläne, vorzugehen.
Wie tief rassistische Anschauungen noch immer verwurzelt sind, zeige sich unter anderem daran, dass es noch immer den einen oder anderen "Oran-Otang"-Philosophen gebe. Beispielsweise Michael Levin, ein emeritierter Professor der New York Universität, der unter anderem das Buch "The Bell Curve" aus dem Jahre 1994 verteidigt, in welchem eine Beziehung zwischen Intelligenz, sozioökonomischen Status, Ethnie sowie biologischen Faktoren hergestellt wird.
Aaron Salzer, science.ORF.at
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