Ob die Gletscher deshalb weniger an Masse verlieren werden als in den meisten Sommern der vergangenen 30 Jahre, wird man erst Ende September sehen. Dies schreiben Heinz Slupetzky und Andrea Fischer in ihrem traditionellen Gletschertagebuch.
Verspätete Eisheilige
Von Heinz Slupetzky und Andrea Fischer

Slupetzky/Fischer
Heinz Slupetzky ist Professor i. R. am Fachbereich Geografie und Geologie der Universität Salzburg. Er war Leiter der Abteilung für Gletscher- und vergleichende Hochgebirgsforschung sowie der Hochgebirgs- und Nationalparkforschungsstelle Rudolfshütte.
Andrea Fischer ist Gletscherforscherin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ihr Hauptforschungsgebiet sind Gebirgsgletscher und deren Änderung im Klimawandel.
Für science.ORF.at führt Heinz Slupetzky seit 2003 ein Gletschertagebuch - in diesen Jahren ging es mit dem Gletschereis stetig bergab, ein Ende des Trends ist nicht abzusehen.
Heinz Slupetzky und Andrea Fischer danken den angeführten Institutionen für die Bereitstellung der Informationen und G. Aigner, Kitzbühel, für die heurige Schneemessung am Stubacher Sonnblickkees Anfang Mai.
Links:
- ZAMG-Winterbilanz der Gletscher
- Kommission für Erdmessung und Glaziologie, Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
- Ergebnisse der Gletscher-Frühjahrsbegehung 2015, Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung
- Saisonprognose der ZAMG
- Glaziologie Österreich
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 29. 5., 13:55 Uhr.
Heuer waren die Eisheiligen zum eigentlichen Kalenderdatum zu warm, und nur die "kalte Sophie" nass und kühl. Die kühlen und niederschlagsreichen Tage traten dann mit einer Woche Verspätung ab 19. Mai auf. Die Eismänner waren jedoch nur scheinbar "zu früh dran". Denn aufgrund des Wechsels zum Gregorianischen Kalender wurden die Eisheiligen nur datummäßig gut eine Woche nach vorne verschoben.
Wie dem auch sei: Im Mai kommen immer wieder kühle Wetterphasen vor, die im Gebirge Schneefälle zur Folge haben. Heuer verursachten Kaltfronten, verbunden mit einer intensiven Tiefdruckentwicklung in Norditalien (Genua- bzw. Adriatief), in großen Teilen Österreichs starke Niederschläge.
Ein Wintereinbruch im Mai
Für die Gletscher ist die Witterung im Frühjahr nicht unwichtig. Heuer profitierten sie von den Eismännern: Die Neuschneegrenze sank zum Teil bis in die Täler, am 21. und 22. Mai bis 1.000 Meter Seehöhe; der Brennerpass in 1.370 Meter Höhe musste zeitweise gesperrt werden. Der Wettercharakter hielt an: Am 26. und 27. Mai schneite es wieder bis unter 2.000 Meter herab.
Die längere Schlechtwetterphase hatte für die Gletscher positive Folgen: In der Zeit vom 20. bis 27. Mai betrug die Summe der Neuschneehöhen bei der Rudolfshütte (2.317 m) 1,47 Meter. Auf den Gletschern sind bis zu zwei Meter Schnee gefallen. Das bedeutet nach der Setzung des schweren Schnees über einen Meter Schneezuwachs.

Kommission für Erdmessung und Glaziologie, Bayerische Akademie der Wissenschaften
Die Winterbilanz der Gletscher
Wie viel Schnee auf den Gletschern am Ende des Winterhalbjahres liegt, wurde wie immer Anfang Mai gemessen, das heißt vor den Starkschneefällen Ende Mai. Die Bilanz für den Winter 2014/15 liegt im Normbereich: Der Niederschlag der Wintermonate im Bereich der Österreichischen Gletscher 2014/15 (Oktober bis April) liegt um den Alpenhauptkamm ein wenig über dem langjährigen Mittel der Jahre 1981-2010.
Am Stubacher Sonnblickkees war der Früh- und Hochwinter relativ schneearm, besonders im März, und damit die Schneedecke am Ende des Winters unterdurchschnittlich. Erst im April und Mai erreichten die Schneehöhen wieder Normalwerte.

Heinz Slupetzky
Im Vergleich zum Goldbergkees (ZAMG), bei dem die mittleren Schneehöhen gegenüber dem langjährigen Durchschnitt um fünf Prozent höher waren, wurde am Messpunkt beim Stubacher Sonnblickkees ein um fünf Prozent geringerer Wert gemessen; es sind dies keine signifikanten Unterschiede.
Allerdings ist beim Sonnblickkees die Höhe der Schneedecke gegenüber dem langjährigen Mittel seit 1964 von 4,42 Metern heuer um fast 60 Zentimeter geringer; der langjährige Trend der Abnahme der Schneehöhe am 1. Mai ist nicht wirklich unterbrochen.

A. Theuermann
Gesamttrend: Winterbilanzen der Gletscher im Mittel
Die Gletscher Österreichs und Südtirols von Ost nach West: Am Hallstätter Gletscher (Dachstein), lagen Anfang Mai bis zu fünf Meter Winterschnee. Das ist genau im Mittel der neunjährigen Messreihe.Im bisher schlechtesten Winter 2014 wurden nur vier Meter Schnee gemessen, im besten fast acht Meter (2011). Allerdings sind die Nordalpen immer relativ schneereicher.

Heinz Slupetzky
Schneeschacht am Hallstätter Gletscher (Dachstein)
Auf den Gletschern rund um den Rauriser Sonnblick ergab die Winterbilanz im Mittel 4,25 Meter Schnee. Der heurige Winter liegt laut Bernhard Hynek (ZAMG) damit um ca. fünf Prozent über dem Mittel seit Messbeginn (1999-2015)
In der Venedigergruppe fiel die Winterbilanz von Mullwitzkees (Osttirol) und Venedigerkees (Salzburg) durchschnittlich aus.
Wie Christoph Mayer von der Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berichtet, war der Niederschlag am Vernagtferner (Ötztaler Alpen) im letzten Winter nahe am langjährigen Mittel.
Auch im äußersten Westen Österreichs, am Jamtalferner in der Silvretta, lag die mittlere Schneehöhe mit 3,1 Meter im Mittel der Messreihe seit 1988/89.
Die Schneeverteilung auf den Südtiroler Gletschern wurde im Winter 2014/15 stark vom Wind beeinflusst, wie Roberto Dinale vom Hydrographischen Amt in Bozen nach den Winterbegehungen am Weissbrunnferner (Ulten/Ortlergebiet), Langenferner (Martell/Ortlergebiet), Westlicher Rieserferner (Rein/Rieserfernergruppe), Hangender Ferner und Übeltalfener (beide Ridnaun, südliche Stubaier Alpen) feststellte.
Die Schneehöhen lagen somit vor allem in den Nährgebieten unter dem Durchschnitt. Im Mittel waren zweieinhalb bis drei Meter Winterschnee zu verzeichnen, insgesamt ergeben sich für die Südtiroler Gletscher nach den Auswertungen voraussichtlich leicht unterdurchschnittliche Winterakkumulationen (bis zu minus 20 Prozent – ohne den späteren Neuschneezuwachs im Mai!).
Wie immer: Der Sommer wird entscheiden!
Zunächst kommt es auf die Witterung im Juni und Juli an: Wie schnell schmilzt der Schnee der Eisheiligen ab und verhindert, dass der darunterliegende Altschnee aus dem Winterhalbjahr früh "angegriffen" wird? Zur Zeit der Sommersonnenwende mit größter Tageslänge und höchstem Sonnenstand sind die Gletscher am intensivsten der Strahlung ausgesetzt. Nur Schneefälle, die eine schützende, reflektierende Oberfläche bilden, können wirksam die Eisschmelze verzögern. In den letzten beiden Jahren, in denen die Gletscher am Ende des Haushaltsjahres im Herbst mit nur mäßigen Verlusten bis leichten Gewinnen bilanzierten, waren dafür sommerliche Schneefälle ein Hauptgrund; dabei können die Temperaturen trotzdem (leicht) überdurchschnittlich sein.
Die kommenden Wochen werden spannend. Bleibt der Schneevorrat vom Winter erhalten bzw. wird dieser nur langsam abgebaut? Das würde dann eintreten, wenn die Witterung kühl bleibt und z.B. im Juni die Schafskälte wieder Neuschnee bringt. Oder schmilzt die Einnahme an "Masse" vom Winter rasch weg? Das wäre der Fall, wenn sich der Trend von warmen Sommern mit heißen Tagen fortsetzt.
Diesbezüglich ist die Saisonprognose der ZAMG ("es ist keine exakte Vorhersage im Sinne einer 3-Tagesprognose") interessant: Für die Monate Juni, Juli und August "zeichnen sich mit fast 60 Prozent Wahrscheinlichkeit überdurchschnittliche Temperaturen ab". Besonders im August setzt sich der berechnete Trend "zu warm" fort.
Die Einnahme-Ausgabe Bilanz der Gletscher werden die Gletscherforscherinnen und -forscher wieder am Ende des Sommers messen. Dann wird sich zeigen, ob der leicht gebremste Massenverlust der Alpengletscher in den vergangenen beiden Jahren nur eine kurze Episode war – oder nicht.
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